Geschichte eines Erholungsheimes Geschichte eines Erholungsheimes: Wo schon Höppner Gläser spülen musste
Gernrode/MZ. - Nur 24 bis 49 Mark kostetdie Übernachtung mit Vollpension pro Gast.Die einfache Ausstattung wird nicht nur inKauf genommen, die alten Tische und Stühle,die Kommoden und Schränke aus vergangenenZeiten und selbst die einst lieb gewonnenePlastikzuckerdose können schon als Stilelementbetrachtet werden. Die Auslastung des Hausesliegt in diesem Jahr bei 45 Prozent freutsich Heimleiter Thomas Fuhrmann. Bessere Zeitenhatte es freilich vor der Wende gegeben, alsdas Haus auf 70 Prozent kam und jeder Kirchenmitarbeiter,der nach Gernrode wollte, angesichts der Nachfrage"nur alle zwei Jahre einmal kommen durfte".Das Heim "Osterhöhe" ist nach wie vor einevangelisches Erholungsheim des DiakoniewerkesHalle. 1891 ließ der Chef der Hallenser Diakonissendas Heim als Sommerhaus bauen. Soziale Nöteund Industrialisierung hatten bei fehlenderSozialgesetzgebung in den Städten zu Problemenfür viele Menschen geführt. Die Diakonissenwollten da helfen. Die Arbeit im Sozialdienstwar für die Frauen hart und deshalb wurdefür die Diakonissen jährlich ein dreiwöchigerUrlaub in Gernrode angeordnet. Nur eine Wocheim Jahr war für Besuche bei den Eltern oderVerwandten vorgesehen. In der Blütezeit derDiakonie gab es in Halle 450 Diakonissen,heute sind es rund 50.
Zwei Tage nach der Bombardierung Dresdens kamen die ausgebombten Schwesternschülerinnen in Gernrode an. Nachdem sie im Sommer zurückkehrten, bezogen Breslauer Schwestern das Haus. Ab 1962 diente es wiederals Schwesternheim. Gernröder, die als Kinderauf dem Weg zum Osterteich am Heim vorbeikamen,erinnern sich noch heute, dass sie dann immerganz artig waren, weil aus jedem Fenster einHäubchen herausguckte.
Von 1963 bis 1990 war Schwester Liselotte Hausmutter auf der Osterhöhe. Den Gernrödernist sie immer noch ein Begriff, weil sie morgensmit der "Schwalbe" zum Bäcker sauste und spätermit dem Trabi durch die Schlaglöcher holperte.Ihr hat das Heim viel zu verdanken, erklärtFuhrmann. Sie leitete viele Bauarbeiten indie Wege.
Im Mai 1982 wurde der Erholungsbetrieb aufder Osterhöhe aufgenommen. Waren anfangs diekirchlichen Mitarbeiter mit 30 Prozent beiden Übernachtungszahlen gegenüber den Diakonissenin der Minderheit, so drehte sich das Verhältnisspäter um. Zur Wendezeit waren noch fünf Prozentder Gäste Diakonissen, inzwischen sind siekaum noch hier zu Gast. Die heutigen Bewohnerdes Erholungsheimes auf der Osterhöhe sindsehr vielschichtig. Im Sommer war das Hausmit Kindern belegt, die hier über ein LeipzigerReisebüro ein Ferienlager machten. Klassenfahrtenund Jugendreisen, für Kinder- und Jugendarbeit,Tagungen, Seminare, Seniorenfreizeiten oderUrlaub für geistig behinderte Menschen stehtdas Haus offen. Vor der Wende, so hat derHeimleiter erfahren, war auch der heutigeMinisterpräsident Reinhard Höppner mehrmalszu Gast im in Gernrode immer noch "Schwesternheim"genannten Haus. Höppners Schwiegervater hatden Hanggarten am Steilen Weg angelegt. Vorwenigen Jahren lernte Fuhrmann den Regierungschefselbst kennen. Der Ministerpräsident war ganzprivat zu einem Treffen der Familie seinerFrau nach Gernrode gekommen und als Fuhrmannan diesem Abend in sein Heim kam, begegneteer dem Regierungschef in der Küche: er spülteGläser ab.
Investitionen in die Bausubstanz sind demDiakoniewerk nicht möglich. Nach der Wendegab es verschiedene Konzeptionen. Eine Diplomarbeitsah ein Tagungshotel für 15 Millionen Marksamt Tiefgarage vor. Ideen für ein Familienzentrumzur Erholung und Beratung wurden ebenfallsfür gut befunden und als förderfähig eingeschätzt,doch es fehlt an Eigenmitteln. Also läuftes wie bisher. Die nahe Selketalbahn und derOsterteich, Gernrode und die umliegenden Ortelassen Stammgäste immer wieder gern auf die"Osterhöhe" kommen. Vielleicht ist es aberauch das Flair vergangener Zeiten. Auf altenFotos im Flur schauen noch die Diakonissenaus den Fenstern.