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Geriatrische Tagesklinik Geriatrische Tagesklinik: Und abends wieder nach Haus

Von unserer Redakteurin Kerstin Beier 02.02.2001, 19:26

Aschersleben/MZ. - Ein Schlaganfall hat den 72-jährigen Otto Hüttel zu einem anderen Menschen gemacht. Liebenswert, aber anders als vorher. Bis vor kurzem stand er mitten im Leben - ein Mann aus der Landwirtschaft und stark wie ein Baum. Die Krankheit, die so plötzlich kam, hat nicht nur Teile seines Körpers gelähmt, sondern auch sein Gefühlsleben aus dem Gleichgewicht geschüttelt. Früher wäre es ihm nie passiert, dass er scheinbar ohne Grund weinen muss.

Trotzdem: Er lernt, wieder ohne Hilfe zu laufen, sein häusliches Leben weiterzuführen. Ein "Pflegefall" will und soll er nicht werden. Die Geriatrische Tagesklinik, angesiedelt in der Inneren Klinik I am Krankenhaus in Aschersleben, hilft ihm dabei. Jeden Tag kommt er hierher, gemeinsam mit sechs Leidensgenossen - alle im hohen Rentenalter, alle mit Altersleiden, alle haben eine schwere Krankheit gerade hinter sich. Doch sie stecken voller Lebensmut und voller Humor. Wenn Schwester Ilona Wiesenberg sie morgens gegen 8 Uhr an der großen Glastür empfängt, kokettieren sie mit ihrem "Schwesterchen". Die vier "Schwesterchen", darunter eine Ergo- und eine Physiotherapeutin, sind hier in der Tagesklinik immer die gleichen. So kann sich Vertrauen aufbauen, der Umgang ist fast familiär - und deshalb wird das morgendliche Wiegen, Blutdruck- und Temperaturmessen nicht zur lästigen Routine, sondern gibt Gelegenheit für den ersten Schwatz des Tages.

Gegen neun geht es ans Turnen. Die fünf Männer und zwei Frauen sitzen im Kreis, ihre Augen hängen an den Lippen von Physiotherapeutin Nicole Wagner, während sie eine biegsame, stachelbewehrte Gummirolle erst in der rechten, dann in der linken Hand immer wieder zusammendrücken. Wenig später gleitet die Stachelrolle erst über den rechten, dann über den linken Oberschenkel - geführt von abgearbeiteten, knotigen Händen. Bei manchen geht es etwas langsamer, bei anderen schneller. Beim Unterschenkel wird es schon schwieriger. "Nur so weit, wie jeder runterkommt", mahnt die junge Frau und warnt vor übertriebenem Eifer. "Wer ne Pause braucht, macht eine. Wir trainieren nicht für Olympia, sondern nur für uns." Der Kassettenrekorder spielt leise Schlagermusik, die Patienten haben gelernt, in den Pausen zwischendurch tief ein- und auszuatmen.

Unter ihnen ist der 86-jährige Heinrich Erholdt, dem man nicht mehr ansieht, dass er vor vier Monaten zwei Herzinfarkte überstand. Inzwischen liegen eine Bypass-Operation hinter ihm und Tage, in denen er nicht einmal alleine essen konnte. Doch irgendwann ging es wieder aufwärts. Und als man ihn fragte, ob er lieber zur Kur oder in die Tagesklinik möchte, entschied er sich für letztere. Bereut habe er es keinen Augenblick, sagt er. Drei Wochen war er hier - tagsüber von 8 bis 15 Uhr - "und die Zeit hat mir sehr gut getan." Er weiß es zu schätzen, dass die Ärztin "jeden Tag zur Visite kommt." Heute heißt es Abschied nehmen, der letzte Tag ist angebrochen.

Die betreuende Ärztin Dr. Ute Junghanns, die die Geriatrische Tagesklinik vor einem Jahr aufbaute, freut sich über das Vertrauen ihrer Patienten. Die Internistin ist zusätzlich auf dem Spezialgebiet der Geriatrie ausgebildet und stellt in ihrer Arbeit immer wieder fest, dass Alter nur schwer eine Lobby findet. Zwar zahlen die Krankenkassen den notwendigen Aufenthalt in der Klinik als Alternative zur Kur, doch "selbst vielen meiner Kollegen ist einfach nicht bekannt, was wir hier machen", weiß sie. Und so sind es nur wenige Ärzte, die einen Aufenthalt in der Tagesklinik in Betracht ziehen. "Im Gegensatz zu früher wissen wir heute, dass man altersphysiologische Defizite sehr wohl beeinflussen kann." Ziel sei es, die Selbständigkeit der alten, oft gebrechlichen Leute mit Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfall, Osteoporose, Parkinson oder Depressionen so lange wie möglich zu erhalten.