Süßer Aal und Löwenzahnsalat Süßer Aal und Löwenzahnsalat: Vielfalt prägt die Küche an der Ostsee

Wismar/dpa. - Ein Fischbrötchen mit Bismarckhering oder Schillerlocke auf die Hand - so lässt sich ein Bummel durch den alten Hafen der Hansestadt Wismar auch kulinarisch passend gestalten. Der Geruch von frisch geräuchertem oder gebratenem Fisch beherrscht vielerorts die Mittagszeit an Mecklenburg-Vorpommerns Ostseestränden und Seen. Dabei prägt eine große Vielfalt die Küche der Küste.
«Seezunge in Weinteig, Lachsfilet, Heilbuttsteak und Meeresfrüchte» werden zum Beispiel mit dem «Fischteller Kogge» im Timmendorfer Hafen der Insel Poel serviert. Zander mit Röstmandeln und Zitronensoße wetteifert mit Lachs auf Blattspinat, etwas abgeschlagen scheint die klassische Scholle mit Speckstippe.
«Die Mecklenburger Küche - früher eher deftig, fett und süßsauer - kommt gemäß dem Zeitgeschmack heute leichter daher», sagt Manfred Hanekamp, Chef des «Forellenhofes» auf Poel sowie des historischen «Rauchhauses Möllin» bei Gadebusch. Sogar mediterrane Elemente machen die klassische Fischküche im Norden attraktiver für Gaumen und Augen.
Viele Kräuter und Gewürze sowie natürlich heimische Backpflaumen und Äpfel kommen bei Hanekamp in den Fischtopf. «Aal mit Backobst oder Wels mit Limonen - das ist ein Fest für die Sinne», schwärmt der Wirt. Rund ums Salzhaff zwischen Wismar und Rerik bekommt der Gast außerdem nur in wenigen Sommerwochen eine regionale Leckerei serviert: Ostseekrabben, die «kleinen Hummer aus Mecklenburg», kocht und pult jede Fischerfamilie meist nur für den Hausgebrauch.
Meist vergeblich sucht der Ostseeurlauber dagegen einen richtig urigen Räucherofen nach Vorbild der Bornholmer «Rogerien». Nur auf Rügen und Usedom kann er sich gelegentlich frisch geräucherten Fisch direkt aus dem heißen Rauch «angeln» und im Stehen vom Pappteller speisen. «Für die kleinen Küstenfischer ist die Direktvermarktung vor Ort aber schon ein wichtiges Standbein ihrer wirtschaftlichen Existenz», sagt der Geschäftsführer des Landesverbandes der Kutter- und Küstenfischer, Norbert Kahlfuß aus Sassnitz auf Rügen.
Fern der Küste belohnen einige Binnenfischer Erlebnishungrige mit Natur-Kost pur: Jörg Rettig zum Beispiel schaukelt seine Gäste im Fischerkahn über den Sternberger See zwischen Güstrow und Schwerin bis in die Seitenarme, erklärt Flora und Fauna und verwöhnt die Naturfreunde nebenher mit warmem Räucherfisch und kühlem Bier.
Ebenso ein Geheimtipp ist Norddeutschlands tiefstes Binnengewässer, der Schaalsee an der früheren innerdeutschen Grenze. Die Natur blieb dort fast ein halbes Jahrhundert nahezu unberührt, und die Fischer bieten heute wie eh und je eine seltene Köstlichkeit: Die lachsartige Edelmaräne, die sonst nur noch im Bodensee und der Masurischen Seenplatte vorkommt, schmeckt geräuchert und gebraten.
Dem Vorurteil des «Arme-Leute-Essens» aus Mecklenburg-Vorpommern will Jörg Gleissner einen Riegel vorschieben. Der Küchenchef des Hotels «Sankt Hubertus» in Heringsdorf auf Usedom gilt als Kenner der vorpommerschen Esskultur. «Geschichte und Gerichte der Region hängen eng zusammen», sagt er. Bis heute werden Rebhuhn oder Schwein in Honigkruste nach der mehr als tausendjährigen Honigküche der Slawen zubereitet, Kräutersuppen, Fisch und Löwenzahnsalat hingegen nach Art der Klosterköche aus der Zeit der Christianisierung.
«Die Schweden brachten Geschmack mit, Salziges und Süßes», sagt Gleissner. So gehen Apfelfleisch und Pflaumenbraten auf die Nachbarn im Norden zurück. «Die moderne Küchenkunst der Küste ist spannend, vielseitig, offen für Trends und gesund», resümiert Gleissner.
Dabei haben viele Häuser ihre eigenen Spezialitäten entwickelt, mit denen sie Geschichte lebendig halten und Geschichten erzählen. So bewahren die Koserower auf Usedom die Tradition der Jahrhunderte alten Heringssalzerei an der Ostsee: Deftige Gerichte gibt es hier in einer der letzten erhaltenen Salzhütten des Landes inmitten einer denkmalgeschützten Fischersiedlung. Auf Tauchstation mit Käpt'n Nemo, dem Fantasiehelden Jules Vernes, gehen dagegen Gäste des Restaurants «Nautilus» in Neukamp auf Rügen: In täuschend echter U-Boot-Kulisse serviert Chefkoch Gerd Klatte Hering und Krabben aus «Nemos Kombüse».