Oktoberfest Gesangsverein Oktoberfest Gesangsverein: Hier sind Namibia China und Samoa typisch deutsch

Wer sind „die Deutschen“? Was eint sie? „Vielleicht verbindet dieses Völkchen zuallererst seine Unsicherheit“, mutmaßt Autor Manuel Möglich im Vorwort seines Buches „Deutschland überall“. Vielleicht.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, brach Möglich zu einer anderthalbjährigen Reise auf, die ihn erstaunlicherweise überall hinführt - nur nicht nach Deutschland. Der Journalist und Fernsehreporter unternimmt ein großartiges Experiment, den Versuch, „sich der Heimat aus der Ferne zu nähern“.
Deutscher Herrengesangsverein in New York
Um mehr über Deutschland zu erfahren, bereiste der Autor die fünf Kontinente: Er lauscht im Big Apple dem Herrengesangsverein „Deutscher Liederkranz der Stadt New York“, er trifft einen „deutschen Häuptling auf Samoa“, wandelt auf kaum noch sichtbaren deutschen Spuren im chinesischen Tsingtao. Das Ergebnis, das er gerade während einer Lesereise vorstellt: ein Buch mit feinfühligen Beobachtungen, aus denen das Nachdenkliche und Fragende spricht, das die Deutschen ausmachen könnte. Vielleicht.
„Sind die Auswanderer die deutscheren Deutschen?“
Der Journalist, auch bekannt durch seine Serie „Wild Germany“ auf ZDFneo, sprach mit den Nachfahren früherer Kolonialherren, aber auch mit Auswanderern und Emigrierten. Was denken sie über „jenes Land, das ihnen nah und fern zugleich ist?“ Und: „Sind sie am Ende die deutscheren Deutschen?“ Sein Weg führt ihn auch nach Namibia, in das Land, das dreißig Jahre lang eine deutsche Kolonie und danach Protektorat Südafrikas war.
Namibier über ihre Kindheit in der DDR
In der namibischen Hauptstadt Windhoek trifft er auf Deo, der perfekt Deutsch spricht, weil er als Flüchtlingskind in der DDR aufgenommen wurde und dort zwölf Jahre lebte. Seine Eltern waren Befreiungskämpfer der SWAPO von Namibia. „Wir waren bei den jungen Pionieren und der FDJ“, erzählt Deo über seine Zeit in der DDR. „Das war Pflicht.“
„In Wuppertal habe ich bessere Freunde gefunden als in Namibia“
Später nach der Wende machte Deo in Wuppertal eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. „In Wuppertal habe ich bessere Freunde gefunden als in Namibia“. Deo schwärmt von der Bundesrepublik, dem Land, das „viel sozialer“ sei als Namibia. Er spart für seine Rückkehr. „Vielleicht wurde er zum deutschen Patrioten, als ihm klar war, dass er womöglich nie wieder nach Deutschland zurückgehen kann“, schreibt der Autor. Vielleicht.
Möglich ist immer auf der Suche nach deutschen Spuren, nach Lichtblicken, aber auch den Schatten der Vergangenheit. „Es ist zum Heulen mit uns Deutschen und den Nazis: Entweder bilden wir uns ein, überall welche zu sehen, oder wir übersehen sie da, wo sie tatsächlich sind.“
Nazi-Devotionalien in Namibia
Der Journalist ist erleichtert, dass er das Gerücht, dass in Lüderitz von manchen Deutschnamibiern nicht nur der Geburtstag des Kaisers sondern auch Adolf Hitlers Geburtstag gefeiert wird, nicht verifizieren kann. Doch dann stößt er in einem Antiquitäten-Laden in Swakopmund auf eine Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ und weitere Nazi-Devotionalien. Die Vergangenheit verfolgt uns. Überall und nirgends.
Die Höhner beim Karneval in Windhoek
Ein Stück subversive deutsche Kultur könnte man dagegen beim namibischen Ableger des rheinischen Karnevals in Windhoek erwarten. Doch vergebens. Die Folgen der Apartheid sind fast überall im Land noch zu spüren, auch hier: Nahezu alle feiernden Gäste des „Internationalen Abends“ sind weiß, wie Möglich feststellt. „Beim Personal verhält es sich umgekehrt.“ Im Hintergrund erklingt das Lied der Kölner Karnevalsband Höhner: „Echte Fründe ston zusamme, ston zusamme su wie eine Jott un Pott“.
Oktoberfest im brasilianischen Blumenau
Von einem Volksfest zum nächsten. Möglichs nächste Station: Das Oktoberfest im brasilianischen Blumenau, der Stadt, die von deutschen Einwanderern 1850 zur Zeit der deutschen Kolonisation gegründet wurde. „Rund zehntausend Kilometer von Deutschland entfernt spielt eine brasilianische Blaskapelle in Fake-Lederhosen, neben ihr steht ein hundert Jahre alte deutsche Lokomotive, und im Hintergrund erhebt sich dieses mächtige Fachwerkhaus. Und überall Palmen. Einmal ertönt ein „Prosit der Gemütlichkeit“, was sonst.“
Musik aus Deutschland? „Helene Fischer und Mickie Krause“
Der Besucher wendet sich an eine der brasilianischen Sängerinnen der Oktoberfest-Band, die auch deutsche Vorfahren hat. „Musik aus Deutschland scheint für die Brasilianer hier vor allem Blasmusik zu sein. Kennt ihr auch andere, neue Musik aus Deutschland?“, fragt er. „Klar!“ erwidert die Brasilianerin: „Helene Fischer und Mickie Krause. Und Rammstein.“
„Angela Merkels Russisch ist viel besser als ihr Englisch“
Möglichs Suche nach Deutschland auf fünf Kontinenten endet schließlich in New York. Ein Amerikaner unterstellt der deutschen Bundeskanzlerin, kein Englisch zu sprechen. Wie könne so jemand überhaupt Kanzlerin werden?, fragt der Mann. Das stimme nicht ganz, entgegnet Möglich. „Angela Merkel spricht Englisch, ihre Mutter war sogar Englischlehrerin. Allerdings ist ihr Russisch viel besser, es soll beinahe perfekt sein. Welche Fremdsprachen beherrscht eigentlich Barack Obama?“
Der Autor ist irritiert von seiner unmittelbaren Antwort. Er hat gerade, ohne es zu wollen, Angela Merkel verteidigt. Macht ihn das zu einem typischen Deutschen? Vielleicht.
Informationen zum Buch
Manuel Möglich: Deutschland überall. Eine Suche auf fünf Kontinenten. 283 Seiten, Rowohlt Berlin, 19,95 Euro.




