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Motorradtour Motorradtour: Kurven und Knödel

Von HANS-ULRICH KÖHLER 09.06.2011, 16:05

Halle (Saale)/MZ. - Kurz nach zehn ist der Schnee auf den Geranien geschmolzen. Morgen ist Juni. Vom Balkon des Hotels "Condor" sehe ich eine faszinierende Winterbergwelt. Die über 2 000 Meter hohen Gipfel rund um St. Vigil Enneberg sind über Nacht tief eingeschneit. Kein Tag, um mit dem Motorrad Dolomiten-Pässe zu überqueren?

Doch! Losfahren, rät Konrad Leimegger, das wird ein guter Tag. Der Hotelier kennt sich bestens aus mit Bergen und Wetter. Der Südtiroler lebt im Sommer zu einem Großteil davon, Biker von seinem Hotel aus auf Pässefahrt durch eine Landschaft zu schicken, die für viele Motorradfahrer die schönsten Strecken Europas bietet.

Konrad Leimegger kennt fast jede Kurve, und jeden Pass sowieso. Seit vielen Jahren führt er Motorradfahrer auf Touren, die ihren Anfang hier in der Südtiroler Ferienregion Kronplatz nehmen. Von Mai bis Oktober ist hier Biker-Zeit. Und manchmal überrascht eben die Nacht mit Frühlings-Schnee.

Alles Ausnahmen, wiegelt Leimegger lachend ab, Südtirol habe meist Biker-Traumwetter, was ich mal glauben will. Aber vorgesorgt habe er dennoch. Trockenräume für Regen nasse Kombis warten, das nötigste Werkzeug und ein Hochdruckreiniger für Schlamm-Maschinen auch. Und jede hat ein Dach "über den Kopf".

Meine meteorologische Skepsis bezahle ich an diesem Tag mit Verzicht. Denn eigentlich wollte ich aus Leimeggers Tourenbuch das Top-Angebot abfahren: 13 Pässe an einem Tag ! Dafür ist es gegen elf zu spät. Denn für die 370 Hochgebirgskilometer sind fast neun Stunden (mit Pausen) angesetzt. Es geht 9 398 Meter bergan und 9 398 Meter bergab, erfährt der Motorrad-Urlauber im Roadbook, das er gratis erhält. Wer es nicht so extrem mag, kann sich aus den fünf Strecken des Tourenbuches "Kurvenkönig" das Passende aussuchen. Alle Strecken hat der Chef mit seiner Harley selbst abgefahren, alle hat er im Buch mit vielen touristischen Informationen versehen.



Keine 13 Pässe heute. Aber Passkönig könnte ich an diesem Tag noch werden, wenn ich mich sputete. Neun Pässe muss ich schaffen und ihre Überquerung möglichst mit dem Passstempel dokumentieren. Dann würde mir Konrad Leimegger - ausnahmsweise - den Titel "Passkönig" verleihen, verspricht er mit Augenzwinkern. Denn eigentlich muss man dafür auf fünf Touren alle 36 Dolomitenpässe überqueren. Ich bastle mir meine eigene Königs-Runde.

Eine halbe Stunde später stehe ich oben auf dem Grödnerjoch, azurblau der Himmel, tief verschneit die bizarren Berge der Sella-Gruppe - aber die Serpentinen der Auffahrt sind staubtrocken. Wie machen die das nur über Nacht? Schnell hole ich den Stempel und weiter. Kurz runter, dann wieder hoch im Kurvenkarussell, das Sellajoch ruft. Stempel Nummer zwei abfassen, während das Motorrad im Parkplatz-Schnee wartet. Beim Weg hinüber zum Pordoijoch lerne ich ein Hinweisschild ernst zu nehmen: Tornante! Spitzkehre! 27 Haarnadelkurven führen mich hinauf zum dritten Stempel auf 2 239 Meter - und 27 hinab.

Dann packt mich der Pässe-Rausch: S. Pellegrino ruft, Valles wird überflogen, der Rolle Pass abgehakt - aber kein Stempel, schade! Als die Nachmittagsmüdigkeit kommt, ist in Falcade Zeit für Südtiroler Speckknödel - köstlich! Eine halbe Stunde später geht es hinauf zum verschneiten Passo di Giau. Gigantisch die Felsen dort oben, die weiten Täler rings um! Bikern aus allen Ländern wird hier das Herz weit: Mehr Dolomiten geht wohl nicht! Erst recht nicht, wenn Abendsonne die Felsen in dunkles Rot taucht. Wem das alles nicht reicht an Kurvenspaß kann Nachschlag haben. Konrad Leimegger hat zusammen mit sieben anderen Hoteliers aus den schönsten Biker-Gegenden ein Netzwerk geknüpft: Dolomiten, Kaunertal, Serfaus im Inntal. Überall gilt: Let's bike together - geführte Touren und Hotels warten.

Beim Weg hinab vom Giau habe ich unerwartet Anlass, mich an Leimeggers morgendliche Stallorder zu erinnern: Rechts! Immer rechts fahren in den Kurven. Dort bin ich zum Glück, als ein Golf rasant die Tornante Nummer fünf schneidet. Mein Herzschlag macht einen Satz. Schade, dass ich gerade nicht meinen Mittelfinger heben kann - Haarnadelkurve vier naht.

Rechts! Andere Fahrtipps gibt der bikende Hotelier nicht. Wer hierher kommt, ist in aller Regel eine erfahrener Fahrer und weiß mit vielen PS umzugehen. Nicht selten hat er schon 1 000 Kilometer Anfahrt auf dem Tacho, 710 sind es von Halle. Bequemere nutzen den Autozug von Berlin bis Bozen, von dort erreichen sie in reichlich einer Stunde St.Vigil Enneberg, rechts vom Pustertal gelegen. Dorthin rolle ich am Abend über den Cimbanche Pass, ein Winzling mit 1 529 Metern. Und wieder kein Stempel und auch der letzte in der Tagesrunde versagt mir die amtliche Dokumentation: Furkelpass geschafft - aber ich kann es nicht beweisen.

Neun Pässe sind komplett, als ich pünktlich zum Abendessen am Hotel ankomme. Außer Pässe, Täler, Kurven und Schnee nichts gesehen. Das zauberhafte Bruneck verpasst. Messners vier Bergmuseen geschnitten, nicht mit der Seilbahn hinauf zum Kronplatz gegondelt. Kritische Fragen zur Sinnhaftigkeit meiner Tour stellt mir am Abend niemand. Der Weg ist Bikers Ziel. Und ich bin Passkönig. Ein kleiner.