Grünkohl ist ein traditionelles Winteressen
Oldenburg/Hamburg/dpa. - Wenn es draußen kalt wird und die Felder mit Frost überzogen sind, stehen in vielen Regionen wieder Kohlgerichte auf den Speisekarten. An einem Gemüse allerdings scheiden sich die Geister: Dem Grünkohl.
Zwar war Grünkohl schon Griechen und Römern bekannt. Südlich von Ostwestfalen ist das Gemüse heute aber kaum verbreitet. Das mag einerseits an dem etwas unanständig klingenden Namen der traditionellen Beilagenwurst «Pinkel» liegen, andererseits ist das Klima verantwortlich. In der nördlichen Küstenregion gedeiht Grünkohl am besten - und daher vermuteten Forscher, dass er in Norddeutschland seinen Ursprung hat, erläutert Bettina Tammen von der Tourismus und Marketing GmbH in Oldenburg, einem Zentrum der Grünkohl-Liebhaber. Andernorts kommt das Gemüse selten auf den Tisch.
«Bei Grünkohl gibt es ganz klar ein Nord-Süd-Gefälle», sagt Rosemarie Kolep von der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift «essen & trinken». Die Bremer nennen den Grünkohl Braunkohl, andere Namen sind «Oldenburger Palme», Kraus- oder Winterkohl. Gerade dieser Name kommt nicht von ungefähr. Denn am besten schmeckt Grünkohl, wenn er nach dem ersten Frost geerntet wird.
«Das ist zum einen wichtig, um Ungeziefer vom Kohl runterzubekommen», sagt Hildburg Abel vom «Bümmerstedter Krug» in Oldenburg. Ihr Restaurant kocht den Kohl für das jährliche Oldenburger Grünkohl-Essen der Bundesregierung in Berlin. «Zum anderen trägt der Frost dazu bei, die Stärke im Kohl in Zucker umzuwandeln, sonst ist er zu bitter.» Den gleichen Effekt gebe es aber, wenn der Kohl vor der Verwendung künstlich gefrostet wird.
Gegen den Einsatz von erntefrisch eingefrorenem Grünkohl aus dem Tiefkühlregal spricht nach Ansicht von Kolep daher nichts - zumal die Zubereitung von frischem Grünkohl aufwendig ist. «Sie müssen die Blätter zuerst blanchieren, dann abstrippen und können erst dann die Rohmasse weiterverarbeiten», erklärt die Ernährungswissenschaftlerin. Im Kühlschrank ist frischer Kohl bis zu einer Woche haltbar. Wird er zu lang gelagert, bekommt er gelbe, welke Blätter.
Der «Bümmerstedter Krug» verwendet für seine Grünkohl-Gerichte relativ grob gehackte Blätter, etwa einen mal einen Zentimeter groß. «Dann wird er nicht so suppig, sondern sämig», sagt Inhaberin Abel. Dafür werden zunächst klein gehackte Zwiebeln in einem großen Topf angedünstet und mit Fleischbrühe aufgefüllt. «Die Brühe bringt den Geschmack in den Kohl.» Dann kommen die zerkleinerten Blätter dazu. Das Ganze muss etwa zwei Stunden kochen. Gewürzt wird mit Senf, Salz, Pfeffer und einer Prise Piment. Die Bekömmlichkeit lässt sich durch Kümmel, Anis und Fenchel steigern.
Zum Andicken verwendet Abels Küche Hafergrütze, mit Haferflocken geht es aber auch. «Was noch zum Kohl-Essen gehört, ist eine ordentliche Fleisch- und Wurstplatte», sagt Tammen. Viele Rezepte schreiben daher vor, dass Schweinebauch oder Speck direkt mit dem Kohl in den Topf gehören. Nach 45 Minuten kommen Kasselerscheiben dazu, in den letzten 20 Minuten Kochwürste und Pinkel. Letztere werden eigens für die Grünkohlsaison hergestellt. Sie bestehen aus einer Masse aus gewürzter Grütze mit Speckwürfeln, Bauchfleisch und Zwiebeln, die in eine Wursthaut - den Pinkeldarm - gestopft ist.
Salz- oder Bratkartoffeln runden das Mahl ab. Der Hauptzweck dieses Gerichts habe über Jahrhunderte darin gelegen, sich über die Wintermonate hinweg etwas «anzufuttern», sagt Tammen. Heute ist die Deftigkeit nicht mehr jedermanns Sache. Auch in der gehobenen Küche aber ist Grünkohl zum Beispiel zu Lamm, Gänsekeule oder Ente à l'Orange verbreitet.
«Und man muss Grünkohl ja nicht mit fetten Beilagen kombinieren - man kann ihn auch als Suppe essen oder vegetarisch zubereiten», rät Kolep. Für die fleischlose Variante werde er mit Gemüsebrühe angesetzt und zum Beispiel mit Orangensaft, abgeriebener Orangenschale und Orangenfilets verfeinert: «Das gibt eine schöne Frische.» Klassisch werden zu Grünkohl herbes Bier und kalter Weizenkorn gereicht. Abel empfiehlt allerdings einen trockenen Rotwein: «Mir schmeckt das besser, außerdem wurde er früher traditionell dazu getrunken.» Und bekömmlicher als Bier sei er obendrein.
Grünkohl gehört - wie alle Kohlsorten - zu den gesündesten Gemüsen überhaupt. Denn er enthält unter anderem viel Vitamin C, Eisen, Beta-Karotin und Ballaststoffe, erläutert Rosemarie Kolep von der Zeitschrift «essen & trinken». Die enthaltenen Bioaktivstoffe, die sogenannten Glukosinolate, schützen darüber hinaus die Gesundheit: Sie stärken die Abwehrkräfte. Im Winter jede Woche ein Kohlgericht zu essen, hält die Ernährungswissenschaftlerin daher für sinnvoll.