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Gesundheitsmotiv Gesundheitsmotiv: Wandern und die Entdeckung der Langsamkeit

Von Andreas Heimann 16.05.2006, 13:09

Marburg/dpa. - Rainer Brämer hat diesen Wandel gewissermaßen am eigenen Leib erfahren: Seit 15 Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem Thema. «Damals war Wandern völlig out.» Heute gilt der Leiter der Forschungsgruppe Wandern an der Universität Marburg als gefragte Koryphäe.

Brämer nimmt für die «Profilstudie Wandern» jährlich Befragungen vor, um herauszufinden, was Menschen dazu bringt, die Wanderschuhe anzuziehen. «Das Gesundheitsmotiv hat eindeutig gewonnen», sagt der Wissenschaftler. Aber das mit weitem Abstand wichtigste Motiv sei der Wunsch, die Natur zu genießen.

Und den Experten wundert das auch nicht: Wandern ist die Entdeckung der Langsamkeit in einer Arbeitswelt, in der alles immer schneller wird. «Der Zwang zu ständiger Konzentration führt zu Überlastung», sagt Brämer. «Umso wichtiger werden Auszeiten.» Das gilt gerade für Kopfarbeiter, die viel am Schreibtisch sitzen. Nur so lässt sich erklären, warum Wandern gerade bei den besser Ausgebildeten attraktiv ist. «Jeder zweite Wanderer hat Abitur oder ein Studium absolviert», sagt Brämer.

Genau die Zielgruppe von Manuel Andrack: Der Partner von Harald Schmidt hat die einjährige «kreative Pause» seines Chefs genutzt, um 2005 ein Buch übers Wandern zu schreiben. Dessen Titel bringt die aktuellen Trends gewissermaßen auf den Punkt: «Wandern ohne Hut und Stock». Andrack bevorzugt deutsche Mittelgebirge und Touren, die nicht in Quälerei ausarten: «Mehr als vier Tage am Stück war ich noch nie unterwegs», erzählt der 40-jährige Kölner. «Die längste Tagesetappe waren mal 50 Kilometer. Und das war eindeutig zu viel.»

Für weniger exzessive Touren schultert Andrack aber regelmäßig den Rucksack, immer abseits des Asphalts. Es sei ein fast sinnliches Erlebnis, sich in der Landschaft zu bewegen. «Was ich allerdings hasse, sind Rundwanderwege. Ich finde es schon gut, eine Strecke hinter mich zu bringen.»

Der moderne Wanderer ist eher Individualist: «Die Neigung, im Verein zu wandern, nimmt tendenziell ab», sagt Rainer Brämer. Zwar zählen die 56 Vereine des Deutschen Wanderverbandes immerhin 600 000 Mitglieder - aber angesichts von rund 41 Millionen Deutschen, die zumindest gelegentlich wandern, ist das nur ein Bruchteil.

Modisch haben Wanderer längst den Anschluss an Gegenwart gefunden. «In den Sechzigern waren Wanderklamotten total altmodisch», sagt Ingo Seifert vom Deutschen Wanderverband in Kassel. «Heute trägt jeder Zweite Jack-Wolfskin-Jacken. Das ist geradezu hip.»

Von wegen Holzfällerhemd und karierte Kniestrümpfe: Die zeitgemäße wasser- und winddichte Outdoorjacke ist atmungsaktiv, und das Fleeceshirt verfügt über etliche Reißverschlusstaschen. Speziell fürs Wandern entwickelte Sportsocken haben gepolsterte Plüschsohlen, und für längere Touren gibt es Gel-Fußbetteinlagen zur Fußentlastung.

Literatur: Manuel Andrack: Du musst wandern - Ohne Hut und Stock im deutschen Mittelgebirge, KiWi, ISBN: 3-46203-488-X, 8,90 Euro; Tobias Zick: Heimatkunde - zu Fuß und allein durch die Provinz, Herder, ISBN: 3-45128-315-8, 14,90 Euro.

www.wanderbares-deutschland.de