Tradition Tradition: Heilen durch Hungern
Darmstadt/dpa. - Die jahrhundertealte Tradition des Fastens hat er medizinisch geadelt: Otto Buchinger. Der Arzt, der am 16. Februar vor 125 Jahren in Darmstadt geboren wurde, kurierte sich selbst mit einer Fastenkur von einem lebensbedrohenden Gelenk-Rheumatismus. Von diesem Erfolg angetrieben, entwickelte er nach dem ersten Weltkrieg die Theorie des Heilfastens. Sein Lehrbuch «Das Heilfasten und seine Hilfsmethoden» wird heute in der 23. Auflage verkauft, und seine Nachkommen behandeln in zwei Kliniken in Bad Pyrmont im Weser- Bergland und in Überlingen am Bodensee Patienten nach dieser Methode.
Otto Buchinger diente nach seinem Medizinstudium als Arzt bei der kaiserlichen Marine. Dort entwickelte er sich jedoch zum Pazifisten und gehörte zu den engsten Freunden des ermordeten Revolutionärs Hans Paasche. Nach dem ersten Weltkrieg wandte er sich, nicht zuletzt wegen seiner Krankheit, der ganzheitlichen Medizin zu. Er bekannte sich zur Homöopathie, obwohl diese damals noch mit dem Vorurteil der Kurpfuscherei zu kämpfen hatte. Er selbst unterzog sich regelmäßig Fastenkuren und erreichte so das hohe Alter von 88 Jahren. Buchinger starb am 16. April 1966 in Überlingen.
Bei der Erstellung seines Fastenplanes griff er auf Erfahrungen antiker und mittelalterlicher Ärzte zurück wie Hippokrates, Paracelsus und Galen. Außerdem orientierte er sich an Fastentraditionen, die in allen Weltreligionen als Weg zur Gotteserfahrung gepflegt werden. Nach seiner Lehre erzielt das Fasten seine heilende Wirkung nur durch ergänzende seelische Behandlung, etwa innere Einkehr und Gebet.
Dieser ganzheitliche Ansatz wird auch heute noch in den nach ihm benannten Kliniken befolgt, allerdings ohne den religiösen Bezug. «Eine Heilfastenkur hat nichts mit Hungern oder Diät zu tun», betont Enkel Andreas Buchinger, ärztlicher Leiter der Klinik in Bad Pyrmont. Entscheidend sei, dass sich die Patienten von ihrem Alltag lösen und auf Alkohol, Nikotin und Koffein verzichten. Nach einigen «Abbautagen» mit weniger Essen, folgen Fastentage, an denen die Patienten nur zwei bis vier Liter Flüssigkeit zu sich nehmen. Der Darm muss während dieser Zeit regelmäßig entleert werden, am besten mit Einläufen. Zur Kur gehören außerdem sportliches Training, therapeutische Gespräche sowie Ernährungsberatung.
Ein drei- bis vierwöchiges Heilfasten wird empfohlen bei ernährungsabhängigen Krankheiten, wie erhöhter Blutdruck oder Blutzucker, bei Rheuma, Hautkrankheiten und Allergien. Dabei ist ärztliche Beratung notwendig. Immer mehr Menschen fasten allerdings nach Einschätzung von Andreas Buchinger für ein oder zwei Wochen ohne besonderen Anlass und nur mit Anleitung von Lehrbüchern.
Die Meinungen über die medizinische Wirkung des Heilfastens gehen auseinander. Für Andreas Buchinger aktiviert das Fasten die Selbstheilungskräfte, Fett wird abgebaut und das Herz-Kreislaufsystem stabilisiert. Außerdem werden Alterungs-Enzyme und andere unliebsame Stoffe ausgeschieden. Zur Veranschaulichung bezeichnet Buchinger sie als «Schlacken», obwohl er weiß, dass dieser Begriff medizinisch nicht korrekt ist.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in Frankfurt hält diese «Schlacken-Theorie» für fragwürdig. Nicht verwertbare Substanzen würden bei gesunden Menschen durch den normalen Stoffwechsel ausgeschieden. Fasten sei außerdem in keinem Fall ein Ersatz für eine medizinisch notwendige Therapie. Allerdings könne es Impuls für eine Verhaltensänderung sein: «Die positiven Erfahrungen einer Fastenkur führen oftmals zu einer gesundheitsbewussten Lebensführung.»