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Diabetes den Kampf angesagt Diabetes den Kampf angesagt: Oft kann auf Spritzen und Pillen verzichtet werden - Richtige Ernährung und viel Bewegung gegen die Diabetes

Von Bärbel Böttcher 20.06.2019, 08:00
Manja Hinz beim Einkauf - in den Körben finden sich lauter gesunde Sachen.
Manja Hinz beim Einkauf - in den Körben finden sich lauter gesunde Sachen. Andreas Stedtler 

Halle (Saale) - Ständig ein Durstgefühl, häufiges Wasserlassen, dazu Abgeschlagenheit, mitunter Sehstörungen. Wer sich mit diesen Beschwerden beim Hausarzt vorstellt, muss auf die Diagnose nicht lange warten: Diabetes mellitus. Auch Zuckerkrankheit genannt. Der Name kommt aus dem Griechischen. Wörtlich übersetzt bedeutet er honigsüßer Durchfluss.

Denn bei einem unerkannten Diabetes gelangt Zucker durch die Nieren in den Urin. Und der wird dann richtig süß. Ein Umstand, den sich Ärzte in fernen Zeiten zur Diagnose zunutze gemacht haben. Sie probierten den Urin. Nun, heute gibt es da bessere Methoden.

Beim Diabetes spielt ein Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird, eine entscheidende Rolle - das Insulin. Es reguliert den Blutzuckerspiegel. „Beim Diabetiker funktioniert dieser Regulationsmechanismus nicht mehr“, sagt Professor Roland Willenbrock, Chefarzt der Medizinischen Klinik II des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Was gefährlich sei. Denn ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel zerstöre langfristig alle Gefäßsysteme. Und das ziehe viele Folgeerkrankungen nach sich. Er zählt auf: Verkalkung der Arterien, Herzinfarkt, Schlaganfall, Schäden an den Augen, Durchblutungsstörungen in den Beinen, Nervenschädigungen. Auch die Nieren können betroffen sein. „Die meisten Dialysepatienten sind Diabetiker“, unterstreicht er.

Allerdings sind zwei Typen des Diabetes zu unterscheiden. Beim Typ-1-Diabetes werden durch Entzündungsprozesse die Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört, die das Insulin produzieren. Die betroffenen Patienten müssen sofort und ihr gesamtes Leben lang mit dem Medikament Insulin behandelt werden.

Typ-2-Diabetes: Übergewicht ist größter Risikofaktor für Erkrankung

Anders ist das beim Typ-2-Diabetes, unter dem etwa 95 Prozent aller Diabetiker leiden. „Der größte Risikofaktor, daran zu erkranken, ist - neben einer genetischen Veranlagung - das Übergewicht“, sagt Willenbrock. Und da die Zahl übergewichtiger Menschen zunehme, sei es auch nicht verwunderlich, dass die Krankheit immer häufiger auftrete. Rund sieben Millionen Deutsche leben mit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 2. Das sind 8,5 Prozent der Bevölkerung. In Sachsen-Anhalt trifft es etwa 250 000 Menschen (rund elf Prozent). Zudem könne nicht mehr von Altersdiabetes die rede sein. Denn zu den Patienten gehörten auch immer mehr Jüngere. „Und die sind alle übergewichtig“, fügt der Mediziner hinzu.

„Beim Diabetes Typ 2 wird der Zucker im Körper nicht mehr verarbeitet“, erklärt Roland Willenbrock. Zwar werde noch Insulin produziert. Aber der Körper spreche darauf nicht an. Der Blutzuckerspielgel steige sozusagen ungebremst. Insulinresistenz heißt der Fachbegriff dafür. Das sei ein schleichender Prozess. Weshalb der Diabetologe davor warnt, rasch das Medikament Insulin einzusetzen. Er rät: Insulin möglichst gar nicht oder spät und, wenn nötig, möglichst wenig. „Denn“ , so erklärt er, „viele Patienten nehmen unter einer Insulin-Therapie weiter zu.“ Was es immer schwerer macht, die Krankheit in Schach zu halten. Außerdem sei die Gefahr einer Unterzuckerung groß. Die kann bei einer Überdosierung eintreten - etwa wenn durch sportliche Aktivität mehr Zucker verbraucht wird als abgeschätzt. Und das kann lebensgefährlich sein.

Diabetes in den Griff bekommen: Eine Frage des Lebensstils

Was also tun? Ein guter Ersatz seien Tabletten. Aber: „In einer frühen Phase kann der Patient die Krankheit aber auch durch eine Änderung seines Lebensstils wieder in den Griff bekommen“, sagt Willenbrock. Im Klartext: Wer sich gesund ernährt, mehr bewegt und sein Gewicht reduziert, kann auf die Tabletten möglicherweise verzichten. So mancher Diabetes verschwindet wieder.

An dieser Stelle kommt Manja Hinz ins Spiel. Sie ist am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara für das Ernährungsmanagement zuständig. Zu ihrem Aufgabengebiet gehört die Ernährungsberatung von Diabetikern. Und da sie weiß, dass es für einen Menschen so gut wie unmöglich ist, seine Essgewohnheiten von heute auf morgen radikal zu ändern, geht sie dabei sehr behutsam vor.

Dabei erklärt die Expertin nicht nur allgemein, wie eine gesunde Ernährung aussehen könnte, welche Nahrungsmittel den Blutzuckerspiegel schnell, welche langsam und welche gar nicht ansteigen lassen. Manja Hinz geht ganz individuell auf den Menschen ein, der gerade vor ihr sitzt. Sie hat sich vorher genau aufschreiben lassen, was derjenige isst und trinkt, und kann ihn so gezielt auf Schwachstellen hinweisen. Gemeinsam wird dann ein Ernährungsplan erarbeitet.

Gesunde Alternativen suchen: Richtige Ernährung kann der Schlüssel sein

Ziel ist es, herauszufinden, ob es für die bevorzugten Lebensmittel nicht vielleicht eine gesündere Alternative gibt. Sie erntet oft Erstaunen, wenn sie den Patienten vor Augen führt, dass der vermeintlich so gesunde Fruchtjoghurt eine wahre Zuckerbombe ist. In 200 Gramm einer beliebten Sorte mit Kirschen verbergen sich rund 26 Gramm, was aus dem Kleingedruckten auf dem Becher hervorgeht und etwa neun Stück Würfelzucker entspricht.

Aber deshalb künftig auf das geliebte Milchprodukt verzichten? Muss nicht sein. „Ich empfehle, auf fettarmen Naturjoghurt umzusteigen“, sagt Manja Hinz. Der enthält nur den natürlichen Milchzucker. Im 200-Gramm-Becher schlägt der mit sechs Gramm zu Buche. Was soviel ist wie zwei Stück Würfelzucker. Untergerührt werden kann dann noch eine von zwei empfohlenen Portionen frisches Obst. Fertig ist die gesunde Mahlzeit.

Einen ähnlichen Aha-Effekt löst die Ernährungsberaterin aus, wenn sie auf die Getränke zu sprechen komme. „Getränke werden unterschätzt“, sagt sie. Für viele sei es unvorstellbar, dass beispielsweise Orangensaft fast genauso viel Zucker enthält wie Cola. Dabei ist von Saft die Rede, der nur die natürliche Süße der Früchte enthält. „Die bessere Variante ist hier Wasser oder ungesüßter Tee“, rät Maja Hinz. Wohl wissend, dass der Umstieg schwer fällt. „Patienten mögen keine radikalen Änderungen“, sagt sie. Und auch keine Verbote. Weshalb sie für kleine „Sünden“ ganz oben in der Spitze der Ernährungspyramide einen Platz reserviert hat.

Appell an Politik: Arzt wünscht sich klare Ansagen

Das alles findet die volle Zustimmung von Chefarzt Willenbrock. „Doch“, so sagt er, „das erzählen wir schon seit 30 Jahren. Und trotzdem werden die Menschen immer dicker, ernähren sich immer schlechter.“ Der Arzt wünscht sich klarere Ansagen der Politik an die Ernährungsindustrie. Es ärgert ihn, dass auf deren Druck die Lebensmittelampel verhindert werde, dass alle verantwortlichen Minister da mitspielten. „Wir reden uns hier den Mund fusslig. Aber wenn die Politik nicht mithilft, ist es mühsam. Und sie hilft nicht mit“, betont er.

Bewegung verbrennt Zucker und hat positiven Einfluss

Für Manja Hinz indes ist Ernährung nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht die Bewegung. „Sie ist gerade für Diabetes-Patienten wichtig. Durch Bewegung wird Zucker verbrannt und das hat einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf“, unterstreicht sie. Doch die Palette von Ausreden der Patienten sei groß. Aber auch hier zeigt sie ihnen Alternativen auf. Die halbe Strecke mit Fahrrad zur Arbeit und den Rest mit der Bahn, das sei doch auch schon was.

Roland Willenbrock ist da mit sich selbst rigoroser umgegangen. Er habe akzeptiert, dass er gegen seinen inneren Schweinehund nicht ankommt. Fast jeder Versuch, vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen, sei gescheitert. Mal sei die Zeit knapp gewesen, mal das Wetter schlecht. „Und dann habe ich das Auto abgeschafft und fahre jetzt bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit“, erzählt er. Pro Tour sechs Kilometer.

Ob so eine radikale Lösung für jedermann praktikabel ist, das sei dahingestellt. „Aber gesunde Ernährung und Bewegung kann man in seinen Tagesablauf integrieren, egal wie beschäftigt man ist“, unterstreicht Manja Hinz. „Man muss nur wollen.“ (mz)