1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Finanzen
  6. >
  7. Privatinsolvenz: Privatinsolvenz: So gelingt der Abstieg vom Schuldenberg

Privatinsolvenz Privatinsolvenz: So gelingt der Abstieg vom Schuldenberg

Von Bärbel Böttcher 11.09.2017, 10:00
Unterm Strich ein dickes Minus. Die Zahl überschuldeter Menschen wächst.
Unterm Strich ein dickes Minus. Die Zahl überschuldeter Menschen wächst. Andreas Stedtler 

Das Sofa und die Sessel der Schneiders (Name geändert) waren mit den Jahren recht unansehnlich geworden. Die drei Kinder der Familie hatten an den Möbelstücken deutliche Spuren hinterlassen. Nun, da der Nachwuchs aus dem Haus war, sollte eine neue Garnitur angeschafft werden. Und wenn man schon einmal dabei war, konnte auch gleich renoviert werden.

Allerdings - das Geld dafür hatten die Eheleute nicht übrig. Und so nahmen sie einen Kredit auf. 2 000 D-Mark liehen sie sich von der Bank. Deren Mitarbeiter versprachen: „Die Rückzahlung ist in kleinen Raten möglich.“

Kredit aufnehmen: Viele Verlockungen der Konsumwelt

Weil das anfangs so gut klappte und weil die Verlockungen der schönen neuen Konsumwelt nach der Wende in den 1990er Jahren groß waren, blieb das nicht der einzige Kredit.

Noch ehe der erste getilgt war, kamen neue hinzu. „Und mit einem Male steckten wir tief in den Schulden und kamen nicht wieder heraus“, erzählt Beate Schneider. Was mit 2 000 D-Mark angefangen hatte, war am Ende zu einem Schuldenberg von 10 000 Euro angewachsen.

Wenn Raten und Zinsen das Budget auffressen

Raten und Zinsen fraßen das Budget der Familie regelrecht auf. Zumal das Familieneinkommen im Wesentlichen aus dem Lohn des Mannes bestand. Beate Schneider, die als Küchenhilfe gearbeitet hatte, war nach der Wende beruflich nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Sie versuchte mit Mini- und Gelegenheitsjobs etwas zur Haushaltskasse beizusteuern.

Die Bank, die es den Schneiders zunächst sehr leicht gemacht hatte, an Geld zu kommen, forderte es bald immer nachdrücklicher zurück. Sogar der Gerichtsvollzieher stand eines Tages vor der Tür. Er fand nicht Pfändbares. Denn was für eine einfache Lebensführung notwendig ist, dazu gehören auch Möbel, darf er nicht mitnehmen.

Das Ehepaar versuchte verzweifelt, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Nahm sogar neue Schulden auf, um die alten zu bedienen. Und geriet so nur noch tiefer in den Schlamassel.

Die Rente verschärfte das Problem: 150 Euro zum Leben

Viele Jahre strampelten die beiden sich ab. Als Werner Schneider dann in Rente ging, spitzte sich die Lage dramatisch zu. Von den reichlich 1 000 Euro Rente, die er bekommt, mussten Raten, Miete und alles andere beglichen werden. 150 Euro blieben im Monat zum Leben.

Nächtelang lag Beate Schneider wach und grübelte. Allein, das war ihr klar, würden sie den Schuldenberg niemals abtragen können. Sie selbst konnte und kann auch heute finanziell nichts mehr beitragen. Für die Rente fehlen der 62-Jährigen die Jahre, wie sie sagt.

Für Hartz IV sind die Bezüge ihres Mannes, der inzwischen ein Pflegefall geworden ist, um wenige Euro zu hoch. „Ich wusste nicht mehr weiter“, sagt sie. Bis ihr ein Bekannter riet, sich an die Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes in Dessau-Roßlau zu wenden.

Existenzgrundlage sichern: Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes in Dessau-Roßlau

Dort traf sie auf Felix Zimmermann, einen zertifizierten Schuldner- und Insolvenzberater, zu dem sie sofort Vertrauen fasste. „In Fällen wie diesen ist es erst einmal wichtig, die Existenzgrundlage der Betroffenen zu sichern“, sagt er. Das heißt, sicherzustellen, dass Miete, Strom, Wasser und die wichtigsten Versicherungen - das sind Privathaftpflicht- und Hausratversicherung - gezahlt werden können.

Felix Zimmermann sorgte dafür, dass die Einnahmen der Ehepartner auf sichere Konten gehen. Pfändungsschutzkonten heißen die in der Fachsprache. Auf ihnen ist das Geld vor dem Zugriff von Gläubigern geschützt. Zumindest bis zu einer bestimmten Grenze. Die liegt derzeit bei 1 133 Euro pro Person.

Gibt es im Haushalt eine unterhaltspflichtige Person, dazu zählen etwa Ehepartner, erhöht sie sich um etwa 420 Euro. Gehören Kinder zur Familie, steigt die Summe weiter. Wichtig sei, dass Ehepartner getrennte Konten führen, erklärt der Berater. Ginge alles Geld auf einem Konto ein, wäre diese Freigrenze möglicherweise schnell überschritten.

Ratenzahlung oder Einmalzahlungen vereinbaren

Als Nächstes hat Felix Zimmermann überprüft, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, die Schulden abzubezahlen. Konkret hieß das: Die Dessauerin erteilte ihrem Berater eine Vollmacht und der setzte sich mit den Gläubigern in Verbindung. „Möglich ist es, mit ihnen Raten- oder Einmalzahlungen zu vereinbaren. Mitunter verzichtet auch jemand mal auf das Geld“, erklärt er.

Doch im Fall von Beate Schneider scheiterten alle Versuche einer außergerichtlichen Einigung. „Sie hat dann mit meiner Hilfe einen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt“, sagt Felix Zimmermann. Eine Möglichkeit, die es seit 1999 gibt. Jetzt wartet sie darauf, dass das Verfahren eröffnet wird.

Privatinsolvenz: Insolvenzverwalter prüft verwertbares Vermögen

Folgt das Insolvenzgericht einem solchen Antrag, wird ein Insolvenzverwalter bestimmt. Der prüft dann, ob es verwertbares Vermögen gibt, das zu Geld gemacht werden kann. Etwa ein Auto. Wobei es gewisse Spielräume gibt. Braucht der Schuldner das Auto für den Weg zur Arbeit, darf er es behalten. Allerdings wird in der Regel ein teures Modell gegen einpreiswertes getauscht.

Sechs Jahre lang muss der Betroffene dann Wohlverhalten zeigen. Das heißt, dass er Erwerbsnachweise vorlegt: Lohnabrechnungen, ALG-II-Bescheide, Rentenbescheide. Es wird geschaut, wie viel davon laut Pfändungstabelle zur Schuldentilgung verwendet werden kann. Auch hier gibt es Grenzen. Das heißt aber auch, dass er so simple Dinge wie Wohnungswechsel melden muss.

„Es kann jeden treffen“

„Nach diesen sechs Jahren ist dann eine Restschuldbefreiung möglich“, sagt Felix Zimmermann. Sie umfasse alle Schulden, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens aufgelaufen waren.

Mit einigen Ausnahmen: Geldstrafen, Bußgelder oder Schulden, die nachgewiesenermaßen im Wissen gemacht wurden, dass das Geld nicht zurückgezahlt werden kann, gehörten genauso wenig dazu wie Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern, betont der Insolvenzberater.

Aus letzteren könnte rasch ein neuer Schuldenberg werden. Nämlich dann, wenn ein Arbeitsloser, der finanziell nicht in der Lage ist, Unterhalt zu zahlen, sich nicht um Arbeit bemühe. Weise er nicht genügend Bewerbungen vor, verlange das Jugendamt den Unterhaltsvorschuss zurück.

Früh zur Schuldnerberatung gehen

„Wichtig ist es, dass verschuldete Menschen so früh wie möglich zur Beratung kommen“, sagt Felix Zimmermann. Die Leiterin der Dessau-Roßlauer Beratungsstelle, Mandy Rüdiger, fügt hinzu, dass Betroffene oft ganz lange versuchten, ohne Hilfe klar zu kommen.

So wie auch Beate Schneider. Sie hat sich geschämt, über ihr Problem zu sprechen. Bis sie merkte, dass es vielen Menschen ähnlich geht wie ihr. „Es kann wirklich jeden treffen“, sagt Mandy Rüdiger. Vom Ungelernten bis hin zum Promovierten. In letzter Zeit hätten die meisten Ratsuchenden einen Berufsschulabschluss und auch einen Job.

Überschuldung: Beratungsbedarf steigt

Als wichtigste Überschuldungsgründe nennt Felix Zimmermann in diesem Zusammenhang ein dauerhaft niedriges Einkommen, Trennung beziehungsweise Scheidung und Arbeitsplatzverlust. Die häufigsten Gläubiger seien Versandhäuser, Mobilfunkanbieter und Banken.

Mandy Rüdiger registriert zudem einen gestiegenen Beratungsbedarf. 2016 haben bei der Diakonie in Dessau-Roßlau im Rahmen der Schuldner- und Insolvenzberatung 315 Menschen vorgesprochen. 65 Mal wurde der Antrag auf eine Privatinsolvenz gestellt. Ein Jahr zuvor waren es 216 Fälle. 64 Mal wurde der Antrag auf private Insolvenz gestellt.

Schulden werfen lange Schatten

Finanziert wird das Beratungsangebot übrigens größtenteils von Stadt und Land. Für einen nicht unerheblichen finanziellen Anteil muss das Diakonische Werk Dessau selbst aufkommen.

Beate Schneider bereut es sehr, dass sie sich nach der Wende vom Konsum blenden ließ. „Wir hätten einfach unser bescheidenes Leben fortsetzen sollen“, sagt sie. Die Schulden von damals werfen lange Schatten. So richtig froh wird sie erst wieder sein, wenn dieses traurige Kapitel endgültig beendet, sprich: wenn das Insolvenzverfahren überstanden ist. Doch ein bisschen besser schlafen kann sie schon heute. (mz)