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Probleme bei Kindern Tipps und Hilfe für Eltern bei verhaltensauffälligen Kindern

Ob verträumt, unkonzentriert oder übermäßig aggressiv: Immer wieder gibt es Kinder, die aus der Reihe zu tanzen scheinen. Doch wie lässt sich am besten einschätzen, was (noch) normal ist - und was hilft bei Auffälligkeiten? Eine Expertin gibt Tipps für Eltern.

Von Helene Kilb Aktualisiert: 27.05.2024, 15:38
Wenn das Kind nur träumend in der Schule sitzt, könnte es an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom liegen – oder auch nicht. Für Eltern ist es wichtig, herauszufinden, wie ihre Kinder ticken.
Wenn das Kind nur träumend in der Schule sitzt, könnte es an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom liegen – oder auch nicht. Für Eltern ist es wichtig, herauszufinden, wie ihre Kinder ticken. (Foto: imago stock&people)

Abtsdorf/Wittenberg. - Das erste Mal, dass jemand sie auf ihre Tochter ansprach, war in der Grundschule, sagt Sylvia B. „Der Klassenlehrerin war aufgefallen, dass Lena mit dem Arbeitstempo der anderen Kinder nicht Schritt halten konnte.“

Für Sylvia B., die mit ihrer 13-jährigen Tochter in Abtsdorf bei Wittenberg lebt, war das keine wirkliche Überraschung: „Lena war schon als kleines Kind sehr verträumt. Sie hat sich immer endlos Zeit gelassen und für die einfachsten Sachen ewig gebraucht, etwa fürs Ausziehen im Kindergarten“, erzählt sie. „Mit ihrer wortgewandten Art hat sie das aber immer wettgemacht, zum Beispiel sagte sie dann Sätze wie ,Ich kann nicht schneller, ich bin doch noch so klein!’ sodass die Situation letztlich wieder lustig erschien.“

Lesen Sie auch: Hat das Kind ADHS? Experten-Tipps für Eltern

In der Grundschule zeigte sich das Problem vor allem beim Schreiben. Auf Empfehlung der Klassenlehrerin besuchte Sylvia B. mit ihrer Tochter eine Ergotherapie, um die Feinmotorik zu verbessern und ihre Konzentrationsfähigkeit zu trainieren. „Das hat uns auf jeden Fall weitergebracht“, sagt sie. „Doch das Verträumte blieb.“

Verhalten von Kindern ist immer individuell

Die Abtsdorfer Familie ist kein Einzelfall: Auch andere Kinder scheinen anders zu sein als ihre Altersgenossen. Manche sind extrem ängstlich und anhänglich, andere häufig unkonzentriert und unruhig oder auch schnell aggressiv. Gerade, wenn das eigene Kind mit seinem Verhalten sich selbst oder anderen Menschen schadet, kostet das Eltern im Alltag viel Kraft. Doch was können sie tun, wenn ihnen ihr Kind in irgendeiner Form speziell oder sogar verhaltensauffällig vorkommt? Die Antwort kennt die Diplompädagogin und Familientherapeutin Jana Ehrlich, die bei der Diakonie Wittenberg als Erziehungs- und Familienberaterin arbeitet.

Kinder können nicht ,repariert’ werden, sodass sie quasi angepasst an die Umgebung oder ihre Mitmenschen sind.

Jana Ehrlich, Familientherapeutin

Vorneweg sei eins gut zu wissen: „Schon die Frage, was normal ist und was nicht, ist sehr schwierig zu beantworten. Das ist ja immer mit einer sehr individuellen Bewertung von außen verbunden. Auch ist der Übergang fließend von einem Verhalten, das nicht so gerne gesehen ist, bis hin zu einem Verhalten, das gewissermaßen krankhaft ist und einer psychiatrischen Diagnose zugeordnet werden kann.“

Werden Einschränkungen nicht erkannt, reagieren Kinder mit auffälligem Verhalten

Darüber hinaus gibt Ehrlich zu bedenken: „Meiner Erfahrung nach liegt der Fokus von Eltern oder auch Lehrern oft auf „auffälligen“ Verhaltensweisen und Situationen. Wenn ich die Eltern frage, was alles gut läuft oder welche guten Eigenschaften das Kind hat, braucht die Antwort oft sehr lange.“

 Familientherapeutin Jana Ehrlich
Familientherapeutin Jana Ehrlich
(Foto: Andreas Benedix)

Und: Generell gibt es viel Varianz, was die Persönlichkeiten von Kindern angeht. „So gibt es etwa Kinder, die von Natur aus eine geringe Frustrationstoleranz oder Entwicklungsstörungen wie ADHS haben“, sagt Ehrlich. „So ist es für manche Kinder natürlich schwieriger, sich in bestimmten Situationen angemessen zu verhalten“, sagt Ehrlich.

„Werden bestimmte Entwicklungsstörungen wie eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Einschränkungen in der kognitiven Entwicklung nicht erkannt, reagieren Kinder aufgrund von Überforderung oft mit auffälligem Verhalten.“

Erziehungs- und Familienberatungsstellen können Auskunft geben

Sie rät: „Wenn Eltern sich Sorgen machen, durch das kindliche Verhalten verunsichert sind oder das Gefühl haben, ihr Kind verhält sich auffällig, können sie eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle aufsuchen.“

Sinnvoll sei das insbesondere, wenn das Verhalten schon mindestens ein halbes Jahr lang andauere oder die Kinder sogar bereits von Geburt an begleite. „Ein weiterer Gradmesser wäre, ob das Verhalten eine Gefahr für das Kind selbst oder für andere Menschen darstellt und wie sehr das Kind selbst darunter leidet“, sagt Ehrlich.

Bei Lena B. traf vieles davon nicht zu: „Ich habe nie wirklich gedacht, dass etwas mit ihr nicht stimmt“, erzählt ihre Mutter. „Schließlich hat Lena einfach nur für alles lange gebraucht.“ Für die Schule erhielt Lena einen Nachteilsausgleich, durch den sie mit den anderen Kindern Schritt halten konnte. „So kam Lena relativ gut durch die Grundschulzeit“, sagt Sylvia B.

Lehrerin macht Eltern auf Verhalten des Kindes in der Schule aufmerksam

Auch der Schritt in die Realschule verlief ohne große Schwierigkeiten – bis dann in der siebten Klasse das Thema erneut auftauchte: „Die Klassenlehrerin erzählte uns, dass sie sich Sorgen um Lena macht“, sagt Sylvia B., „weil sie oft so vertieft in ihre Gedanken ist, dass sie mit den Aufgaben nicht hinterherkommt.“ Stattdessen sitze Lena oft da, schaue aus dem Fenster, träume vor sich hin. Die Klassenlehrerin tippte deshalb auf das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, kurz ADS.

Sylvia und Lena B. besuchten eine Erziehungsberatung und anschließend einen Kinderpsychologen. „Dort hat Lena viele Tests gemacht, zum Beispiel einen Intelligenztest und Konzentrationstests“, erzählt Sylvia B. „Heraus kam: nichts. Kein ADS, keine andere Diagnose, alles im grünen Bereich. Das Problem ist tatsächlich nur das Schulsystem, in dem Lena eben nicht so sein kann, wie sie ist.“

Wenn das Kind nur träumend in der Schule sitzt, könnte es an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom liegen – oder auch nicht. Für Eltern ist es wichtig, herauszufinden, wie ihre Kinder ticken.
Wenn das Kind nur träumend in der Schule sitzt, könnte es an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom liegen – oder auch nicht. Für Eltern ist es wichtig, herauszufinden, wie ihre Kinder ticken.
(Foto: imago stock&people)

Umsonst waren die Termine für sie aber trotzdem nicht. „Nach den Beratungsgesprächen waren meine Tochter und ich irgendwie glücklich und noch mehr miteinander verbunden.“ Darüber hinaus waren sie wie eine Art Bestätigung: „Meine Tochter ist eben so, wie sie ist.“

Eine Diagnose hilft das Verstehen des Kindes

Eine Diagnose – etwa ADHS oder Autismus – macht es Eltern leichter, ihr Kind zu verstehen: „Das hilft, Verhaltensweisen besser einzuschätzen oder vielleicht doch mal eine unterstützende Medikation zu erhalten“, sagt die Familienberaterin Jana Ehrlich. „Aber auch diese Kinder können nicht ,repariert’ werden, sodass sie quasi angepasst an die Umgebung oder ihre Mitmenschen sind. Vielmehr müssen das Kind selbst und seine Eltern einen Weg finden, damit zu leben und trotzdem gut im Alltag zurechtzukommen.“

Das gilt letztlich für alle Kinder, egal ob mit oder ohne Diagnose. „Nicht immer muss es das Kind sein, was Unterstützung braucht“, sagt Ehrlich. „Für Eltern ist es wichtig, das Kind besser zu verstehen, zu begreifen, warum es sich wie verhält“ – gerade bei „schwierigen“ Verhaltensweisen, etwa unkontrollierten Wutausbrüchen, Aggressionen oder Lügen.

„Entsprechend geht es dann darum, die Eltern so weit zu stärken, dass sie gute Ideen haben, wie sie ihr Kind unterstützen können, ihm helfen können, mit seinem Verhalten zurechtzukommen oder Verhaltensalternativen zu lernen“, sagt Ehrlich.

Welche Hilfe es für Familien gibt

Eltern, die sich Gedanken über das Verhalten ihres Kindes machen, können sich kostenfrei beraten lassen. Neben der Diakonie bieten auch andere Verbände Familienberatungen an, etwa pro familia, die Caritas oder die AWO.

Dort arbeiten meist ausgebildete (Sozial-)Pädagogen und Psychologen, die Eltern und Kindern Unterstützung bei individuellen familienbezogenen Problemen bieten. Daneben können Eltern sich an eine Frühförderstelle wenden.