Ernährung Ernährung: Kein knallharter Zähneschocker

Bonn/Wurzen/dpa. - Birnen sind wahre Gaumenschmeichler - vorausgesetzt, sie sind wirklich reif. Aber viel zu oft werden die eigentlich butterzarten Früchte knochenhart oder mehlig verkauft. Wahrer Genuss kann da nicht aufkommen. Dabei ist das säurearme Kernobst eine Wohltat für jeden Magen - und ersetzt mit seiner Süße kalorienreiche Leckereien. Nicht nur als Dessert oder auf Kuchen, sondern auch in Salaten, zusammen mit Käse, Geflügel oder Wild überzeugen Birnen, die zu Unrecht im Schatten des Apfels stehen.
Lediglich 2,3 Kilo Birnen lassen sich die Bundesbürger pro Jahr im Schnitt schmecken, so Elke Bienentreu von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in Bonn. Äpfel schlagen dagegen mit 17,4 Kilo zu Buche. Dieser Vorsprung war nicht immer so groß, weiß Andreas Zschammer von der Prüfstelle Wurzen (Sachsen) des Bundessortenamts in Hannover. Aber die vergleichsweise einfache Kultivierung im hiesigen Klima und seine bessere Lagerfähigkeit ließen den Apfel zum Liebling des Erwerbsanbaus aufsteigen.
Und so ist Deutschland kein kommerzielles Birnenland. In guten Erntejahren werden rund 60 000 Tonnen erzeugt, sagt Bienentreu. Eine deutlich größere Menge wird importiert - aus Italien, Argentinien oder Chile. Wegen des Blütenfrosts im April und der anhaltenden Trockenheit fallen die heimische Ernte dieses Jahr mäßig und die Früchte kleiner aus als gewohnt, sagt Egon Treyer von der Marktgemeinschaft Bodensee-Obst in Friedrichshafen.
Die Birnenzeit beginnt im Spätsommer. Frühsorten wie «Bunte Julibirne» oder «Frühe aus Trévoux» sind meist nur in Privatgärten, auf dem Wochenmarkt oder beim Hofvermarkter zu finden. Denn vor allem die frühen Früchte halten sich nicht lange: Sollen sie saftig sein, müssen sie binnen 14 Tagen verkauft werden. Nur drei Herbst- und Wintersorten - «Conference», «Concorde» und «Alexander Lucas» - sind laut Treyer für den hiesigen Erwerbsanbau interessant.
Viele Birnen kommen - hartreif gepflückt und im Kühllager aufbewahrt - knallhart in den Laden, kritisiert Zschammer. Und der Verbraucher frage mit Recht: «Was habe ich denn da für eine feste Rübe gekauft?» Immerhin können sich die Direktvermarkter ein größeres Sortenspektrum leisten. «Da ist in den letzten Jahren Bewegung hineingekommen.» Vor allem frühreife Birnen bringen Abwechslung in die Zeit zwischen Erdbeeren und Pflaumen - und sind in aller Regel weich genug, um sich nicht daran die Zähne auszubeißen.
Für den griechischen Dichter Homer waren Birnen eine Göttergabe. Nicht nur im antiken Griechenland wurde das meist tropfenförmige Obst, dessen Wildformen sich mit der Völkerwanderung bis nach Europa verbreitet hatten, geschätzt und veredelt. Auch die Römer erweiterten das Sortenspektrum. Im zweiten Jahrhundert waren unter anderem Honig-, Königs-, Quitten- und Venusbirne bekannt - Namen, die noch heute gebräuchlich sind. Jenseits der Alpen führten mittelalterliche Klöster das antike Wissen um die Birnenkultur fort.
Die damaligen Früchte waren allerdings noch recht hart. Daher wurde empfohlen, sie zu kochen. Der Rohverzehr galt als bedenklich, wenn nicht sogar als giftig. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts avancierte das Kernobst zur Modefrucht der europäischen Höfe. Das goldene Zeitalter der Birnenzucht begann Mitte des 18. Jahrhunderts, als in Frankreich und Belgien systematisch selektiert wurde. Der größte Teil heutiger Sorten - weltweit werden mehr als 2500 gezählt - stammt noch aus dieser Zeit.
«Wer ein richtiger Birnengenießer ist, der schält seine Birne», erklärt Zschammer. Dies sorge dafür, dass die Schale den zarten Schmelz auf der Zunge nicht verdirbt. Sollten die Früchte beim Kauf noch hartreif sein, werden sie einige Tage bei Zimmertemperatur in einer Obstschale aufbewahrt. Eine leichte Druckprobe zeige, wann die Birne weich genug ist, so der Fachmann.
Leckermäuler schwören auf den kulinarischen Klassiker «Birne Helene». Sie wurde eigens zur Aufführung der Operette «Die schöne Helene» von Jacques Offenbach im Jahr 1864 kreiert. Mit weitaus weniger Kalorien als herkömmliches «Knabberzeug» stillen getrocknete Birnenchips den Hunger auf Süßes. Aber Birnen harmonieren ebenso mit pikanten Begleitern. «Käse ist prädestiniert, aber es sollten kräftige Käsesorten sein», empfiehlt Rose Marie Donhauser, gelernte Köchin und Kochbuchautorin aus Berlin. So schmecken zum Birnentoast beispielsweise Roquefort oder Gloucester, ein englischer Hartkäse.
Warmen Kopfsalat drapiert Donhauser mit einer karamelisierten Walnuss-Birnen-Mischung auf einer Platte aus luftgetrockneten Schinkenspezialitäten. Birnen-Carpaccio mit Parmesanspänen ist ein zarter Kontrast zu geräucherter Forelle. Als Soße passt die «Göttergabe» bestens zu Geflügel. Und gekrönt mit Preiselbeeren sowie verfeinert mit Schmand und Mascarpone ist sie das I-Tüpfelchen von Wildgerichten.
Ihren Ruf als Schonkost verdanken die Früchte ihrem geringen Fruchtsäureanteil. «Das Obst tut dem Magen gut», erklärt Donhauser. Und bei dem vor allem in Norddeutschland beliebten Gericht «Birnen, Bohnen und Speck» helfe es, das Fett zu verdauen. Dennoch ist danach ein Birnenbrand - ein Williams - nicht zu verachten.