Daumenkino Daumenkino: Jeder sein eigener Spielberg
Düsseldorf/dpa. - In Hollywood kosten Filme oft hunderte Millionen Dollar. Es geht aber auch billiger, quasi kostenlos. Mit etwas Schwung abgeblättert, genügt ein zusammengeklebtes Heftchen mit Strichzeichnungen, um die Illusion bewegter Bilder entstehen zu lassen.
«Daumenkino» nennen sich diese Low-Budget-Produktionen, und sie stoßen auf wachsende Resonanz beim Publikum. Vorläufiger Höhepunkt dieser Erfolgsgeschichte ist eine Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf. Bis zum 17. Juli können dort mehrere hundert Daumenkinos und artverwandte Fingerübungen von 170 Künstlern besichtigt werden. Kurator Christoph Schulz musste mühsam nach Material fahnden, denn zuvor hatte niemand die Zwitter aus Buch und Film für ausstellungswürdig gehalten. «Viele sind zum ersten Mal zu sehen», sagt Schulz.
Vor allem Schulklassen stürmen die Ausstellung und machen sich ohne Hemmungen an den zugänglichen Exponaten zu schaffen. Ältere Besucher sind dagegen überrascht, dass sich selbst Künstlerprominenz wie Andy Warhol, Keith Haring oder Bruce Nauman an den Miniaturen versucht hat. Die lange Geschichte der bewegten Geschichtchen steigert den Respekt zusätzlich: Das Medium wurde bereits 1868 von dem englischen Drucker John Barnes Linett patentiert. Kunsthistorisch betrachtet handelt es sich um eine vorfilmische Animationstechnik.
Aber warum wird sie gerade jetzt wiederentdeckt, wo doch inzwischen der Computer die Standards beim Trickfilm setzt? Kurator Schulz glaubt, dass beides zusammenhängt: «Im großen Kino kann man ja nicht mehr unterscheiden, was echt und was simuliert ist. Es gibt ein naives, spielerisches Bedürfnis an einfacher Animation.»
Auch Sigrun Köhler vom Produktionsteam «Böller und Brot» aus Stuttgart sieht im Daumenkino einen sympathischen Gegenpol zur Hochtechnologie Hollywoods. Köhler bewarb sich vor zehn Jahren mit einem Karton voller Daumenkinos bei der Filmakademie Ludwigsburg - und wurde angenommen.
Und mit den Kleinkunstwerken lässt sich inzwischen auch eine Existenz aufbauen. Das beweist das Brüderpaar Holger und Michael Schack aus Leipzig. Ihr 1998 gegründeter Verlag ist auf Daumenkinos spezialisiert und profitiert von deren Aufschwung. Seit einem Jahr hätten sich die Zugriffe auf die Internetseite verdreifacht, sagt Holger Schack, die Verkaufszahlen im Buchhandel immerhin verdoppelt.
Doch die Daumenkinos sind nicht nur betriebswirtschaftlich wertvoll, sondern auch pädagogisch. «Was sich auf dem Gesicht von Kindern abspielt, wenn sie an einem Daumenkino basteln, ist faszinierend», sagt Thomas Herbst vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ) in Stuttgart. Das LMZ beliefert Schulen mit Unterrichtsmaterialien, unter anderem einem Bastelbogen, mit dem sich ein Mutoskop herstellen lässt, ein Daumenkino mit Holzkurbel.
Die konzentrierte Arbeit an ihren kleinen Kunstwerken bewirkt bei den Schülern Erstaunliches, wie Herbst selbst in Workshops beobachtet hat: «Sie sind so ruhig und ausdauernd bei der Sache, dass die Lehrer sie kaum wiedererkennen.»