1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Ausbildung: Ausbildung: Gesucht sind nicht nur Mitarbeiter in Dönerbuden

Ausbildung Ausbildung: Gesucht sind nicht nur Mitarbeiter in Dönerbuden

Von Deike Uhtenwoldt 01.09.2005, 07:19
Deutsch-türkische Erfolgsgeschichte: Kemal Sahin - Chef der Santex Moden GmbH in Würselen bei Aachen - beschäftigt in diesem Jahr allein mehr als 70 Auszubildende (Foto: dpa)
Deutsch-türkische Erfolgsgeschichte: Kemal Sahin - Chef der Santex Moden GmbH in Würselen bei Aachen - beschäftigt in diesem Jahr allein mehr als 70 Auszubildende (Foto: dpa) Santex Moden

Essen/Hamburg/dpa. - Hohe Ziele hat sich Geschäftsführer Hasan Semsek für seine Auszubildenden gesetzt: Bis zu 20 Stunden die Woche erklärt der 34-Jährige das Geschäftskonzept der Kette «Cafe Extrablatt», das er am Standort Bochum führt.

Noch stecken die drei angehenden Fachkräfte für Systemgastronomie, zwei Deutsche und ein Deutsch-Tunesier, in der Ausbildung, aber für ihren Chef steht fest: «Die sollen später auch einmal als Führungskraft dastehen.»

Hasan Semsek steht für eine neue Generation von türkischstämmigen Selbstständigen: jung, selbstbewusst, gut ausgebildet. Zwar hat der in Köln geborene Sohn türkischer Einwanderer sein Betriebswirtschaftsstudium nicht beendet. «Weil ich schon während des Studiums als Betriebsleiter bei der Gastronomiekette eingestiegen bin. Das Café war genau mein Ding.» Seine Erfahrung und die internen Qualifikationsnachweise der Kette reichten aber, um den Ausbilderschein zu bekommen. Die Industrie- und Handelskammer bat lediglich zu einem persönlichen Gespräch, eine Prüfung musste Hasan Semsek nicht ablegen.

Ermöglicht wurde das unbürokratische Vorgehen durch die Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) in 2003 für fünf Jahre sowie das Projekt «Unternehmensfestigung durch Persönlichkeitsentwicklung.» Im Oktober 2002 ist es in Nordrhein-Westfalen gestartet, um innerhalb von drei Jahren 500 Ausbildungsplätze in strukturschwachen Regionen des Ruhrgebietes zu schaffen. «Immerhin 420 junge Menschen haben durch unser Projekt schon einen Ausbildungsplatz bekommen, 11 Prozent sind Deutsche», sagt Projektmitarbeiter Caner Aver. «Und das Potenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.»

Längst hat Vural Öger, Gründer des Reiseunternehmens Öger Tours, etliche Nachahmer gefunden: Nahezu 60 000 türkischstämmige Unternehmen gibt es in Deutschland. Vor 20 Jahren gab es gerade ein gutes Drittel davon. «Selbstständigkeit ist innerhalb der türkischen Kultur hoch angesehen und wird durch das familiäre und soziale Umfeld unterstützt», erklärt Gülay Kizilocak, Projektleiterin im Zentrum für Türkeistudien in Essen, den Gründungsboom. Die arbeitsmarktpolitische Kehrseite dieser Familienbetriebe: Sie haben keine Angestellten und sie bilden nicht aus.

90 Prozent der Unternehmer haben weniger als zehn Mitarbeiter. Aber je länger sie die deutsche Sozialisation durchlaufen, umso vielfältiger werden auch die Branchen. «Es gibt mehr als nur Dönerbuden und Gemüsehändler», sagt Gülay Kizilocak. Inzwischen haben sich auch viele türkischstämmige Handwerker, Rechtsanwälte oder Steuerberater selbstständig gemacht.

Was die Gründer eint: Sie unterschieden sich von deutschen Unternehmen durch höhere Flexibilität, größeres Servicebewusstsein und familiäre Arbeitsatmosphäre. «Das gilt selbst für die ganz Großen», sagt der Journalist Ali Yumusuk, der zusammen mit dem Autor Lutz Hunger 32 Erfolgsgeschichten türkischer Unternehmer in Deutschland zusammen getragen hat.

Der größte Unternehmer außerhalb der Türkei ist Kemal Sahin. 72 Ausbildungsplätze offeriert seine Santex Moden GmbH in Würselen bei Aachen in diesem Jahr. 60 davon sind Einzelhandelskaufleute, aber auch eine Fachkraft für Lagerwirtschaft und ein Werbekaufmann stehen im Angebot. Damit will das Textilunternehmen gerade auch türkischen Jugendlichen eine Chance auf einen Ausbildungsplatz geben, sagt Frank Kourten, stellvertretender Ausbildungsleiter.

Die interne Zielquote liege etwa bei 50 Prozent, nicht immer wird sie erreicht: Türkische Sprachkenntnisse seien keine Voraussetzung, aber eine ansprechende Bewerbung und überzeugende schulische Leistungen, so Kourten. «Wer viele unentschuldigte Fehlzeiten in seinem Zeugnis hat, hat bei uns keine Chance.» Wer sie bekommt, arbeitet in einem internationalen Unternehmen, das versucht, das Beste aus beiden Kulturen zu verbinden: «Die türkische Gastfreundschaft und die deutsche Zuverlässigkeit beispielsweise.»

Die Mischung macht den Reiz aus, sagt auch Susanne Dorn, Projektleiterin bei der Arbeitsgemeinschaft türkischer Unternehmer und Existenzgründer Hamburg. «Das ist nicht nur fruchtbar für die Unternehmenskultur, sondern auch für einen selbst.» Der Verein berät und qualifiziert Unternehmer wie Auszubildende. Bei Bedarf wird auch eine Verbundausbildung koordiniert. So geschehen zwischen der türkischen ÍSBank, die nicht alle Schwerpunkte im Ausbildungsplan abdeckt, und der Hamburger Sparkasse, die nun die Lücken schließt.

Fast jede bundesdeutsche Großstadt hat Initiativen dieser Art. Durch sie wird die Zahl der Ausbildungsplätze steigen, ist sich Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien sicher. Immerhin 260 000 Mitarbeiter beschäftigen die türkischstämmigen Betriebe bundesweit, 35 Prozent sind Deutsche. Der Einstieg gelingt oft über Praktika und den persönlichen Kontakt. Offenheit für andere Kulturen sowie Einsatzbereitschaft sind gefragt.

Literatur: Ali Yumusak, Lutz Hunger: Türkische Unternehmer in Deutschland, TEIA Lehrbuch Verlag, ISBN 3-935539-91-6, 16,95 Euro.