Wolfgang Engel Wolfgang Engel: Meister der Metapher
Leipzig/MZ. - Und dort geht es immerhin um "ein Pfund Fleisch, zunächst am Herzen" - also genau um das, was dem scheidenden Intendanten des Schauspiels Leipzig im übertragenen Sinne mit dem Ende des Saison fehlen wird. Natürlich, es ist der Lauf der Welt: Wolfgang Engel wird am 13. August 65 Jahre alt werden.
Erschöpfende Kämpfe
Er hat sich in den Grabenkämpfen der lokalen Kulturpolitik erschöpft, seine Mundwinkel folgen immer öfter den herabhängenden Spitzen seines Schnurrbarts. Und doch - welch eine Ära geht zu Ende, wenn dieser Regisseur sein Haus in die Hände des Nachfolgers Sebastian Hartmann legt! Um die Wirkung Wolfgang Engels auf die Gegenwart angemessen würdigen zu können, muss man weit in der Vergangenheit und ein Stückchen südöstlich von Leipzig beginnen - im Dresden der 80er Jahre.
Wer hier Hebbels "Nibelungen" oder Kleists "Penthesilea" gesehen hat, die "Shakespeare-Sonette" oder die legendäre DDR-Erstaufführung von Becketts "Warten auf Godot", wird diese unmittelbaren Erschütterungen seines Daseins kaum vergessen können. Engel war schon damals ein Meister der politischen Metapher, die er in Einzelschicksalen fand. Seine Inszenierungen zählten zum Besten, was das gute DDR-Theater zu bieten hatte - und er selbst wurde zu einer seiner letzten moralischen Instanzen, als im heißen Wende-Herbst nach dem "Titus Andronicus" die berühmte Erklärung "Wir treten aus unseren Rollen heraus" verlesen wurde. Da probte er in Dresden gerade Goethes "Faust" und machte mit seinem Ensemble in den Pausen ernst - als Avantgarde der Demonstranten. Ist es eine verklärte Erinnerung - oder war es damals wirklich Wolfgang Engel, der im Fachblatt "Theater der Zeit" mit Hosenträgern posierte, auf denen in kyrillischen Buchstaben die Worte "Glasnost" und "Perestroika" zu lesen waren?
Weil dieser eigentlich leise, feinsinnige Theatermacher mehr Zivilcourage als andere Intellektuelle hatte, musste er später weniger Aufhebens darum machen. Als er 1995 von seinem Intermezzo in Frankfurt am Main nach Sachsen heimkehrte und Leipziger Schauspiel-Intendant wurde, eröffnete er seine erste Spielzeit mit Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten". Diesen Blick auf das Theater als Ort des Ungewissen hat er sich bewahrt - weswegen seine letzte Spielzeit die grundsätzliche Frage "Sind Sie sicher?" stellt. Wenn man diese drei Worte auf Engels nachhaltige Wirkung im kurzlebigen Theaterbetrieb anwendet, darf man sie allerdings unbedingt bejahen.
Sprungbrett für Talente
Regisseure wie Konstanze Lauterbach und Thomas Bischoff, Michael Thalheimer und Enrico Lübbe, Sascha Bunge sowie natürlich Armin Petras waren am Schauspiel Leipzig zu entdecken, ehe man ihre Namen andernorts als Wertsteigerung einkaufte. Auch für junge Darsteller bewährte sich sein Haus als Sprungbrett - das Beste, was eine ostdeutsche Bühne angesichts ihrer beschränkten Finanz-Möglichkeiten leisten kann. Und wenn man wissen will, wie ein Ensembletheater à la Engel zu seinen besten Zeiten ausgesehen hat, wird man künftig nach Magdeburg schauen können. Dort arbeitet Tobias Wellemeyer, ein ehemaliger Assistent des Dresdner "Faust"-Regisseurs, inzwischen als Generalintendant. Und der hat sich jüngst von seiner grandiosen Schauspiel-Entdeckung Franziska Melzer erzählen lassen, wie sie zum Theater kam. Die erste Sehnsucht, sagte sie, habe ein Foto im Wohnzimmer ihrer Großmutter geweckt. Und das zeigte Kleists "Penthesilea" von 1986. Regie: Wolfgang Engel.
Preisverleihung am Sonntag im Anschluss an den "Kaufmann von Venedig", Beginn der Vorstellung im Leipziger Schauspielhaus um 19.30 Uhr