Niedecken bei "Maischberger" zum Missbrauch "Maischberger": Kölner Musiker Wolfgang Niedecken berichtet von Missbrauch

Wolfgang Niedecken hat am Mittwochabend bei „Maischberger“ von Missbrauchserfahrungen aus der Jugendzeit berichtet. In seinem Internat in Rheinbach hat er schlimme Erlebnisse mit einem Priester gemacht. So wurden Schüler, die die Vokabeln wiederholt nicht gelernt hatten, bestraft – mit einem Stock verprügelt, den man sich selber schneiden musste. Wenn man Pech hatte, wurde man danach abends „zum Trost“ noch aus dem Bett geholt, und dann wurde „gefummelt“. „Dadurch, dass wir dann bei dem Peiniger auch noch beichten mussten, war es 'perfekt'“, so Niedecken sarkastisch. Er und seine Mitschüler hätten sich noch selber die Schuld für die Übergriffe gegeben.
Der BAP-Musiker hatte bereits 1990 in seiner Biographie darüber geschrieben, auch in seinen Songs verarbeitete er seine Erfahrungen. Es habe aber nie jemand so richtig wahrgenommen. Inzwischen kann er relativ nüchtern über die schlimme Zeit sprechen, er habe das gut verarbeitet. „Es war der perfekte Psychoterror“, konstatiert er aber im Nachhinein. „Sittenstrolch“ nennt Niedecken den Pater anfangs – das sei ja wohl etwas untertrieben, meint Maischberger daraufhin. Niedecken korrigiert sich zu „pädophiler Sadist“. Für ihn hatte das Leiden ein Ende, als sein Vater von den Vorfällen erfuhr und dafür sorgte, dass der Peiniger die Schule verlassen musste.
Das Problem: Nie sprach jemand ein Wort darüber, der Pater wurde niemals zur Rechenschaft gezogen, sondern nur versetzt. Niedeckens gläubiger Vater verweigerte ebenfalls die Diskussion über das Thema. 30 Jahren später kommt nun die Missbrauchsstudie der Kirche. Niedecken kritisiert die Scheinheiligkeit bei vielen Kirchenmännern, denn es werde immer nur das zugegeben, was ohnehin bekannt sei. Kardinal Reinhard Marx nimmt er allerdings seine Betroffenheit und echte Entschuldigung ab.
„Ich trug Häschenunterwäsche, er nannte sein Glied 'Spatz'“
Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Kirche, hat einen undankbaren Job, auch im ARD-Talk. Er muss sich fragen lassen, warum die Aufarbeitung so lange gedauert hat. Die Mühlen der Kirche mahlen eben langsam, so rechtfertigt er sich indirekt. Seit 1946 gibt es 3677 Opfer und 1670 Beschuldigte, so steht es in der Studie. Ackermann ist erschüttert über das Ausmaß des Missbrauchs. Das Bewusstsein dafür musste sich offenbar erst langsam unter den Kirchenoberen entwickeln.
Niedecken fragt Ackermann: „Wenn ich meine Stasiunterlagen anfordere, kriege ich die Informationen. Wenn ich den Orden frage, was ist eigentlich aus dem Pater geworden, der mich damals missbraucht hat, kriege ich die überhaupt?“ Ackermann sagt, dazu habe sich die Kirche verpflichtet. Wenn der Fall in seinem Bistum passiert wäre, dann „würde ich ihnen die Information geben“, so der Bischof.
Matthias Katsch, der selber am Berliner Canisius-Kolleg zum Opfer wurde, schätzt die Zahl der Opfer noch viel höher als in der Studie angegeben. Noch gebe es aber kein gesellschaftliches Klima, das es diesen einfach mache, über Missbrauch zu sprechen. Journalistin Christiane Florin findet noch stärkere Worte für das Versagen der Kirche bei der Aufarbeitung: „Die Kirche mauert noch immer“, findet sie. Es dürften bislang keine Namen genannt werden, nur ein geringer Teil der Akten sei ausgewertet worden. Es sei scheinheilig, wenn die Kirche sich jetzt als große Aufklärerin feiern lasse.
Nach Wolfgang Niedecken schildert auch Claudia Mönius ihre erschütternde Erfahrungen Anfang der 80er Jahre. Seit sie elf war, wurde sie von einem Priester missbraucht. „Ich trug Häschenunterwäsche, er nannte sein Glied 'Spatz'. Das 'Spiel', das er dann mit mir machte, hieß 'Spatz sucht Häschen'.“ Ihr ganzes Leben litt sie unter den Erinnerungen, sie konnte sich viele Jahre lang nur in ältere Männer verlieben. Erst viel später sei ihr klar geworden, was tatsächlich geschehen war. Sie ist empört über die „laue“ Diskussion und regt sich über die „Bestrafung“ des Täters durch die Kirche auf: Dem Priester, der sie peinigte, wurde verboten, die heilige Eucharistie zu feiern. Das sei die „härteste Bestrafung“, so die Kirche in einem Schreiben an Mönius. Sie kann darüber nur fassungslos lachen.
Auch Maischberger und Bischof Ackermann sind fassungslos. Ackermann spricht von „Kooperation mit der Staatsanwaltschaft“ und sagt, die Reaktion der Kirche im Fall Mönius sei definitiv „zu wenig“ gewesen. Die Archive zu öffnen, sei aber nicht die einzige Lösung. Florin findet dagegen: „Jetzt ist der Staat gefordert. Es geht um die Verfolgung von Straftätern.“ Auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sei eine Möglichkeit, die Kirche zur Freigabe von Akten zu zwingen. Als es um die Lösung der strukturellen Problemen der katholischen Kirche wie verkniffene Sexualmoral oder Zölibat geht, bleibt Bischof Ackermann ebenfalls schwammig – obwohl er zugeben muss, dass „diese Lebensform irgendwie magnetisch auf Menschen wirkt, die dafür gerade nicht geeignet sind.“