Im Spinnwebhaus

08.08.2016, 22:01
Ludwig Trepte (l) und Ben Litwinschuh in einer Szene des Films „Im Spinnwebhaus”. Foto: SWR/missingFilms
Ludwig Trepte (l) und Ben Litwinschuh in einer Szene des Films „Im Spinnwebhaus”. Foto: SWR/missingFilms SWR/missingFilms

Berlin - Dieser Film ist nichts für Spinnenhasser. Überall krabbeln sie herum, spannen ihre Netze an allen Ecken und Enden. Irgendwann hängen sie tief in den Raum herab.

An der Spüle türmt sich dreckiges Geschirr, am Boden klebt der Siff. Mittendrin drei Kinder, die sich ihre kleine Welt zurechtgezimmert haben: mit einer Höhle aus Stofffetzen. In Eigenregie managt der zwölfjährige Jonas das Leben für sich und seine jüngeren Geschwister. Das Ganze hält Regisseurin Mara Eibl-Eibesfeldt kontrastreich in Schwarz-weiß. Ihren ersten Spielfilm „Im Spinnwebhaus” zeigt das Erste am heutigen Dienstag (22.45 Uhr).

Die Mutter des Trios flüchtet - vor Dämonen - in eine Psychiatrie, der Kontakt zum Vater ist eher sporadisch. So beginnt schon nach etwa 15 Minuten eine Art Fantasiewelt in bester Pippi-Langstrumpf-Manier. Die Drei verschwören sich bei einem Schweigepakt.

Jonas (Ben Litwinschuh) entwirft ein Konzept, wie sie möglichst unbehelligt von der Außenwelt ihr Leben fortführen können: Er bringt die kleine Schwester Miechen zum Kindergarten. Erfindet Ausreden, um das Fernbleiben der Mutter zu erklären. Verknotet einen Plastikstuhl als Kindersitz auf seinem Fahrrad. Sammelt Kerzen vom Friedhof, als der Strom ausfällt. Und kümmert sich auch um Bruder Nick.

Nachts schleicht Jonas sich um die Häuser auf der Suche nach Essen. Dort begegnet er dem geheimnisvollen Felix (Ludwig Trepte). Mit Spinnennetz-Tattoo im Gesicht kommt der Erwachsene dem Kleinen allzu oft unangenehm nah, spricht im Flüsterton - stellenweise wirkt es ein bisschen gruselig. Etwa wenn er über Spinnen zischt: „Wenn sie dich einwickeln, bringen sie dich dorthin, wohin du dich wünschst.”

Oder als Jonas ihn fragt, wo er eine Herdplatte herbekomme, und auf die Frage, was er damit will, antwortet: „Erwachsen werden.” Da reimt Felix: „Erwachsenwerden ist ein Verderben, nimmt dir die Luft und lässt dich sterben.” Dann wieder tanzen sich die beiden in Trance, Felix stellt den Kindern Fahrräder vor die Tür. Lange wird der Zuschauer im Unklaren gelassen, welche Absichten der Außenseiter im speckigen Ledermantel hegt: Will er den Kleinen wirklich helfen?

Inspiriert sei der Film von einer realen Geschichte, sagt Eibl-Eibesfeldt. Eine alleinerziehende Mutter habe ihre vier Kinder 2007 alleine gelassen. „Ein zwölfjähriger Junge übernahm über Monate die Rolle des Familienoberhaupts. Niemand merkte etwas. Als die Kinder entdeckt wurden, waren die Spinnweben in der verwahrlosten Wohnung bis auf die Kopfhöhe der Kinder hinuntergewachsen.”

Nun ist ihre Aufbereitung des Stoffes das Finale der Reihe „FilmDebüt im Ersten”, die Nachwuchsregisseure fördert. Beim Prix Europa 2015 wurde das fesselnde Werk als Bestes Fernsehdrama ausgezeichnet.

Kameramann Jürgen Jürges fängt die Welt der Kinder aus deren Perspektive, deren Augenhöhe ein: Auf der Kirmes etwa wirkt alles viel größer, der Rummel viel wuseliger. Der Zuschauer ist hautnah dabei. Besonders emotional sind die Blicke von Miechen, wenn sie im Karussell strahlt - oder traurig dreinblickt, als ihr Bruder ihr die verfilzten Haare unter einer Schüssel auf ihrem Kopf abschneidet.

Jonas wird reifer. Irgendwann sagt er Dinge, die Erwachsene sagen: „Warum kann man euch nicht einmal alleine lassen?”, „Warum machst du dich nicht nützlich?”. Er ergründet auch das Geheimnis um die Dämonen seiner Mutter - und doch nimmt die Geschichte eine andere Wendung. (dpa)