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Science Fiction Science Fiction: Robinson im Weltraum

Von STEFFEN KÖNAU 12.11.2010, 17:01

Halle (Saale)/MZ. - Das gigantische Raumschiff ist abgestürzt, soviel steht fest. Es liegt da, acht Kilometer lang, acht breit, unüberschaubar, eine Trümmerlandschaft zum Verlieben und eine wunderbare Kulisse für eine große Geschichte, da war sich Karsten Kruschel sofort sicher. "Allerdings ist der zweite Gedanke dann schon gewesen, wie ich das Raumschiff so da runter bekomme, dass etwas übrig bleibt, was den Überlebenden von Nutzen sein kann." Denn wenn acht Kilometer Stahl, Elektronik und Technik einfach so aus dem Himmel fallen, Kruschel wiegt den kurzgeschorenen Kopf: "Da lässt sich nicht viel mit den Resten machen."

Nicht mal in Science-Fiction-Romanen, wie sie der gebürtige Havelberger schreibt, seit er als Teenager den Spaß daran entdeckte, sich eigene Planeten und ganze Universen auszudenken. Nicht Vater Heinz Kruschel, zu DDR-Zeiten hochproduktiver Autor und gelegentlich auch im utopischen Fach unterwegs, sei daran schuld gewesen, ist Kruschel sicher. "Eher einen inneren Drang" macht der 51-Jährige verantwortlich, dass ihm gerade der Überraschungshit der SF-Saison geglückt ist. Mit dem Epos "Vilm - Der Regenplanet" begeistert Kruschel eine beständig wachsende Fangemeinde, die die Abenteuer der mit dem Riesenraumschiff "Vilm van der Oosterbrijk" abgestürzten Allkolonisten verschlingen wie Kruschel selbst früher Bücher von Lem und den Strugatzkis. Eben erst hat er den Deutschen Science-Fiction-Preis verliehen bekommen, den zuvor Größen wie Andreas Eschbach oder Frank Schätzing erhalten hatten.

Dabei ist Kruschel, der in Magdeburg Pädagogik studierte und während seiner Wanderjahre eine Zeit lang Hallenser war, nicht eben der Prototyp eines Bestsellerautoren, der nach den jeweils gängigen Markterwartungen schreibt. Der kleine Mann mit den wachen Augen hinter der Brille brachte sein erstes Buch während der Armeezeit zu Papier. "Immer auf Nachtwache", erinnert er sich, "da hatte ich Ruhe." Die ist mit dem Erscheinen des Bandes allerdings weg: Gerade war die Mauer gefallen, "die Leute interessierten sich für alles, nur nicht für Science Fiction".

Karsten Kruschel hat sich anderweitig durch die wilden Jahre nach dem Ende der DDR geschlagen. Als Chefredakteur eines Bau-Fachmagazins kommt er nicht mehr zum Schreiben. Bis der Bauboom im Osten abebbt. "Dann stand ich auf einmal da." Kruschel heuert bei Call-Centern an, jobbt als PR-Berater und spürt doch, dass er am glücklichsten ist, wenn er nachts, ein paar große Kopfhörer übergestülpt und David Bowie oder Pink Floyd im Ohr, am Rechner sitzen und fanstastische fremde Welten aus eigenem Anbau besuchen darf.

Die liebste ist ihm dieses Vilm, das Regenplanet heißt, weil es hier wirklich pausenlos schüttet. Kein Ort, den jemand freiwillig besucht. Außer, er möchte gern wissen, wie es weitergeht mit den interstellaren Erben von Robinson Crusoe. Wie der Schiffbrüchige haben die Frauen und Männer hier nur, was vom zum Glück in zehntausenden Einzelteile halb wohlbehalten abgestürzten Raumschiff übrig blieb, um eine neue Zivilisation aufzubauen. Das aber tun sie, wenn auch völlig anders, als zu erwarten wäre.

Kruschels Buch, schon Mitte der 90er als 550-Seiten-Trumm in einer ersten Fassung fertig, funktioniert oberflächlich gelesen als Abenteuerroman mit einer Atmosphäre, die verblüffend an die auf dem Planeten Pandora aus dem Filmhit "Avatar" erinnert. Doch bei genauerer Betrachtung steckt mehr dahinter - Parabeln und Gleichnisse purzeln wie Figuren aus einer Matroschkapuppe. Zum Erstaunen auch des Schöpfers des von zahllosen Rätseln durchwirkten Vilm-Universums. Etliche Verlage hatten sein Manuskript abgelehnt, mehr als zehn Jahre feilte er daran, schrieb um, erweiterte und kürzte, unter seinen Kopfhörern eingetaucht in den Strudel der Geschehnisse. "Und nun schreibt mir Leute aus Hongkong, dass sie eine Verbindung zur Migrationsdebatte entdeckt haben."

Manche Anspielung auf die Realität sei natürlich beabsichtigt, sagt Kruschel, der inzwischen hauptberuflich bei einem Lexika-Verlag in Leipzig arbeitet. "Aber auf andere Parallelen haben mich erst Leser hingewiesen." Gut so, denn das Schreiben, sagt der Wahl-Espenhainer, mache ihm am meisten Freude, wenn "es" schreibe. "Ich habe zwar einen Plan, was passieren soll", lächelt Karsten Kruschel, "aber wenn ich's dann geschrieben habe, stelle ich fest, dass die Dinge doch oft anders gelaufen sind."

Deshalb tue er sich ja auch so schwer, die Flut an Fragen zu beantworten, die über das Internet einläuft. "Die Leser wollen Sachen wissen, die ich selber nicht weiß." Doch Karsten Kruschel ist dabei, Licht in die verregneten Rätsel der Parallelwelt zu bringen. Im Frühjahr erscheint "Galdäa", das im Vilm-Kosmos spielt. Und das erste Kapitel von "Vilm"-Band drei, sagt er, sei auch schon geschrieben.