1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Schauspiel Leipzig: Schauspiel Leipzig: Lieder singen und Tanzbein schwingen

Schauspiel Leipzig Schauspiel Leipzig: Lieder singen und Tanzbein schwingen

Von Andreas Hillger 26.09.2003, 16:09

Leipzig/MZ. - Die Animateure blähen die Brust und fletschen die Zähne: "Eine ganz tolle runde Sache" versprechen Jessica und Mike für die nächsten zwei Stunden. Damit es beim Gute-Laune-Training mit rhythmischem Klatschen und La-Ola-Welle aber noch ein bisschen gemütlicher werden kann, locken sie gleich zu Beginn die Separatisten vom Rang in die Parkettreihen.

Wenn die hohe Kunst des Theaters in der Vorwegnahme und Ersatzbefriedigung von Bedürfnissen besteht, dann ist dem Schauspiel Leipzig mit seinem Schlagerabend "Weiße Rosen aus Athen" zweifellos ein Meisterstück gelungen. Am Ende eines heißen Sommers, der das Nostalgie-Gefühl steigerte, sehnt sich ein bestens disponiertes Team unter Leitung seines Intendanten Wolfgang Engel in Ferne und Vergangenheit.

Doch dass man von dieser "magisch hellen Tropennacht vor dem Frauenhaus in Algier" mehr erwartet als eine flotte Nummern-Revue, liegt am selbst gesetzten Maßstab: Mit "Tschia, tschia, tschia, tscho" hatte das Ensemble vor einigen Jahren noch bewiesen, dass sich luftige Melodien durchaus zur kritischen Masse verdichten lassen.

Nun also hat man jene Abteilung ausgebaut, die sich damals unter einem gigantischen Cocktailschirmchen zwischen Westpaket und Brigadefeier behauptete - und füllt sie mit Pauschal-Urteilen über Pauschal-Urlauber. Von Anfang an sitzen alle in einem Bus - und feiern bis zur Pinkelpause kurz vor Bari, ehe das Hotel Aphrodite in Agiocampos in Sicht kommt. Die noch verbleibende Zeit bis zur Abreise wird mit neckischen Strandspielen und der Wiederkehr des ewig Gleichen gefüllt. Im "einzigen original italienischen Café in Griechenland" trösten die Kellner ihr Gastarbeiter-Heimweh, während Jess schon die Stechuhr zückt und die Trillerpfeife in Anschlag bringt.

Stets aber wird getanzt und gesungen: Von zwei kleinen Italienern und griechischem Wein, von heißen Nächten in Palermo und vergessenen Farbfilmen, von Carmen und Isabella, Fernando und Hernando. In den besten Fällen funktioniert das Liedgut als sentimentale Folie, die über den ungenügenden Alltag gelegt wird – zumal, weil Jens-Uwe Günthers musikalische Arrangements und Mei Hong Lins Choreografien den Rhythmus diktieren. Doch woraus sich diese emotionalen Eskalationen entwickeln und wohin sie führen, wissen Regie und Dramaturgie nur selten. Die Front der Liegestühle, die nicht von ungefähr an Marthalers großartige Kleinkunstabende erinnert, bleibt ebenso ungenutzt wie die Kulisse der Säulenstümpfe auf der Showtreppe.

Kurz vor der Abreise aber gibt es doch noch einen Moment, in dem sich FDGB-Heim und Ballermann überschneiden: Trunken singen die Einen da von "Spaniens Himmel", während die Anderen die "Schwarzbraune Haselnuss" ins Feld führen. Dann ist auch schon alles vorbei – und die Animateure müssen dringend animiert werden.

Nächste Vorstellung am 12. Oktober, 20 Uhr