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Sarah Kirsch Sarah Kirsch: Malen am Deich unter dem hohen Flug des Bussards

Von Christian Eger 15.04.2005, 17:41

Halle/MZ. - Whisky lieber allein

Das erstaunt auf den ersten Blick. Denn populärer noch als die Dichtung der Sarah Kirsch ist das Klischee, das von ihrer Poesie im Umlauf ist. Es stammt aus den 70er Jahren und zeigt sich wie jene selbst optimistisch, fabelhaft, pastellfarbig bunt. Es meint, die Kunst der Kirsch zu erfassen, in dem es Attribute ihrer Verswelt aufzählt: Schafe, Sterne und Wolken, die durch nicht wenige ihrer Gedichte ziehen. Die wechselnden Könige des Herzens, die steten Königinnen der Literaturgeschichte - die Droste ("der Droste würde ich gern Wasser reichen") und Bettine ("Nein, es ist gar nicht / Leichter geworden").

Aber Sarah Kirschs Poesie taugt weder ästhetisch noch politisch zur Kuschelkunst, auch nicht zur Geste der feministischen Schwester: Die Herz-Dinge sind nie herzig, das Ländliche nie bieder, schon gar nicht harmlos. Es steckt viel Ideologie-Ironie und soziale Aggressivität in diesen Versen; Kitsch-Fraktionen beliefert die Autorin nicht, auch wenn sich diese gern zu ihren Füßen sammeln. "Epitaph" heißt das letzte Gedicht ihres jüngsten Gedichtbandes "Schwanenliebe" (2001): "Ging in Güllewiesen als sei es / Das Paradies beinahe verloren im / Märzen der Bauer hatte im / Herbst sich erhängt." So ein Gedicht schreibt sich keine Partei auf ein Plakat. Interessanter aber als die Fertigkeit, in Versen sozial Klartext schreiben zu können, ist der Umstand, dass bei Sarah Kirsch trotz alledem dabei ein "Schöntext" entsteht. Was hier eben auch heißt: die Dinge beim Namen nennen, den Leser über Spiel und Distanz in Freiheit zu setzen. Besser lakonisch als schlurfend langzeilig. "Trennung" von 1973: "Jeder trinkt seinen Whisky für sich / ,Three Swallows' er / ,Four Roses' ich".

In dem halbstündigen Porträtfilm von Leonore Brandt, den der MDR am Sonntag ausstrahlt, ist davon einiges zu begreifen: die Dichterin selbst, die über ihr Leben plaudert; die alte Dorfschule im nordsee-nahen Tielenhemme, in der Sarah Kirsch seit 1984 wohnt. Die Pop-Variante der Dichterinnen-Verklärung auch: Marcel Reich-Ranicki, der über Sarah Kirsch einherredet, "ihre Gedichte drücken Gefühle, Empfindungen aus". Ach, sagt man da, und freut sich, dass sich auch für solche Papp-Sätze noch Mikrofone finden. Wie anders hingegen das quicke Statement des halleschen Dichters Wilhelm Bartsch, der gemeinsam mit seiner Frau - der Malerin Susanne Berner - seit fünf Jahren mit Sarah Kirsch befreundet ist. Und Bartsch sagt da, dass "ein Insignum der Meisterschaft" der Kirsch "die schöne Abwesenheit jeglichen Weihrauches" sei, dass diese Poesie sich ganz ohne ein "Brimborium" ereigne.

Kein Weihrauch, gern aber Nebel von Norden her, den Sarah Kirsch wie süchtig liebt; kein Brimborium, aber die Dinge wie mikroskopisch farbig und ganz nah ran - das jeweils Eigene. Was da wohl mitwirkt? Bürgerliche Antipathetik, Harzer Wirklichkeitssinn? 1935 wurde die Dichterin als Ingrid Hella Irmelinde Bernstein im Südharz-Nest Limlingerode geboren, die ersten drei Jahre verbringt sie dort im Pfarrhaus ihres Großvaters. Halberstadt folgt, wo sie den NS-Alltag erlebt. Aus Protest gegen den Antisemitismus des Vaters wird sich Ingrid später den Namen Sarah wählen. Biologiestudium in Halle, wo sie den Dichter Rainer Kirsch heiratet. Erste Veröffentlichungen, nach der Ehe-Trennung ab nach Berlin. Ausreise 1977: die Welt, der Norden, fortan große Preise.

Selten und wie Funken schlagend kurze, aufmunternde Statements. Auch zur DDR-Literatur. Dass diese eine "uninteressante Untergruppe" sei, bis auf - zum Beispiel - die Bücher Adolf Endlers. Auf die Frage, ob es eine DDR-Erfahrung gäbe, die sie nicht missen wolle, sagte Sarah Kirsch 2002: "Sich durchgehauen zu haben, ohne in den Dreck zu geraten. Das ging." Heute schreibt und malt Sarah Kirsch in ihrem Haus am Deich, unter dem hohen Flug des Bussards. "Ich sehe lieber 'ne Handvoll Moos als beliebige Menschen", schreibt sie in "Spreu". Ein Festakt zum Fest? Die Agentur meldet: Sarah Kirsch ist verreist.