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Pierre Richard Pierre Richard:

08.04.2012, 17:01
Pierre Richard.
Pierre Richard. Reuters Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Der Weg zu seiner Wohnung im noblen16 Arrondissement in Parisführt über eine Baustelle: Die Teppicheim Eingangsbereich sind abgeklebt,dann geht es weiter durch den Innenhof,bis wir auf einen freundlichen älteren Herrenmit roter Brille und Fleecejacke treffen.Der französische Komiker und SchauspielerPierre Richard bittet uns in sein Arbeitszimmer,das vollgestopft ist mit Büchern,DVDs und anderen Devotionalen,die sich angesammelt haben. Auf demSchreibtisch thront eine gewaltige Büste,die ihn in jüngeren Jahren zeigt, mutmaßlichin einer Zeit, als er noch mit Filmenwie „Der große Blonde mit dem schwarzenSchuh“ Europa zum Lachen brachte. Dasist fast 40 Jahre her, aber der 77-Jährigemacht immer noch Filme.

Seine neue Tragikomödie „Und wenn wiralle zusammenziehen?“ erzählt die Geschichtevon fünf Senioren, die in eine WGziehen, und sich dabei von einem deutschenEthnologie-Studenten helfen undbeobachten lassen. Richard spielt nebenJane Fonda, Geraldine Chaplin und DanielBrühl. Es soll nicht sein letzter Film sein,sagt er im Gespräch mit Martin Scholz undAxel Veiel.

Monsieur Richard, Sie sind jetzt 77, drehennach wie vor Filme. Können Sie dem Älterwerdenetwas Positives abgewinnen?

Richard: Nein. Es gibt nichts Schönes amÄlterwerden. Und dabei bin ich ein sehrpositiv eingestellter Mensch. Was mirAngst macht, sind Krankheiten, nicht unbedingtder Tod. Auch wenn er in meinemKopf inzwischen wesentlich präsenter ist,als noch vor 20 Jahren. Es heißt ja immer,mit dem Alter werde man weiser (lacht).Ich weiß nicht, ob das stimmt. Vielleichtverstehe ich manches heute besser, abererleuchtet bin ich deshalb nicht. Andererseitsgrübele ich jetzt auch nicht die ganzeZeit über die Last des Älterwerdens.

In Ihrem neuen Film „Und wenn wir alle zusammenziehen?“dürfen Sie immerhin denEhemann von Jane Fonda spielen …

Richard: Nicht schlecht, was?! Als mir derFilm-Produzent am Telefon sagte: „JaneFonda spielt deine Frau“ – war ich wie vomBlitz getroffen. Jane Fonda ist nicht nur einegroßartige Schauspielerin, sie ist einMythos – zumindest für Männer meinerGeneration. Ich muss gestehen, vor unseremersten Treffen war ich nervös. Vor Beginnder Dreharbeiten hatte der Produzentdann alle Schauspieler zu einem Essen inParis eingeladen. Jane kam auf mich zuund sagte: „Komm her, setz dich an die Seitedeiner Frau!“ Sie hat mich angeguckt,mich geradezu fixiert. Erst dann sagte sie:„Ich mag meinen Ehemann sehr.“

Alles andere wäre für Ihre weitere Zusammenarbeitvermutlich weniger wünschenswertgewesen.

Richard: Das stimmt. Später stellte sichheraus, dass Jane an dem Abend selbstsehr nervös war. Nicht wegen mir. Siemachte sich Sorgen, dass ihr Französischinzwischen eingerostet sein könnte.

Sie hatte zuletzt 1972 in Jean Luc Godards„Tout va bien“ auf Französisch gespielt.

Richard: Ja, und ihr Französisch ist nachwie vor sehr gut. Sie hatte dennoch Angst,dass ihre Aussprache nicht korrekt wäre.Da verstand ich: Auch Legenden sindmanchmal unsicher und menschlich.

1968 war Jane Fonda mit ihrer Rolle der Barbarellazur Ikone der freien Liebe aufgestiegen.Damals provozierte sie noch mit einemStriptease in der Schwerelosigkeit, im neuenFilm spricht sie nun ganz offen über Masturbationund Sex im Alter. Themen, die, obwohlsie oft in Filmen behandelt werden, immernoch tabuisiert sind. Stört Sie das?

Richard: Ich finde es großartig, wie JaneFonda im Alter von 74, vom Sex spricht –ganz selbstverständlich, mit einer Leichtigkeitund Freiheit, die den prüden Amerikanernfremd ist. Aber sehen Sie, vor 40,50 Jahren war es noch völlig tabu, über Sexim Alter überhaupt zu sprechen. Inzwischenleben die Menschen länger, sie bewahrenihre Gesundheit und ihre Lebenskraft.Die Alten unternehmen viel mehr alsfrüher, warum sollten sie nicht nach wievor ein erfülltes Sexualleben haben, solangesie können? Es gibt keinen Grund, dieseBedürfnisse zu unterdrücken.

An einer Stelle wird – sehr dezent – eine Sex-Szene zwischen Geraldine Chaplin und ihremvon Guy Bedos gespielten Mann gezeigt.

Richard: Ja, unser Film geht sehr frei, aberwürdevoll mit dem Thema um. Vielleichtträgt dies ja zur Entkrampfung bei.

Es ist ein Film über die letzte Herausforderungder 68er – das Altwerden. Fünf Freundeziehen am Ende des Lebens in eine WG –sie streiten über Krankheiten, und den Lebenshunger,der noch da ist. Fällt es früherenRebellen schwerer, alt zu werden?

Richard: Auch sie werden alt – so ist dasnun mal. Und davon erzählt dieser Film.Wobei ich selbst 68 eher ein Revolutionärwider Willen war. Ich war zwar auch aufden Barrikaden, aber mehr als Zuschauer.Ich war damals ja bereits 32 Jahre alt. Aberin Paris war man zwangsläufig mit dabei.Was mich an der Bewegung damals vor allemfaszinierte, war dieses Genie DanielCohn-Bendit, der mit Leichtigkeit seine Redenhielt und sich scheinbar von nichtsund niemandem beeindrucken ließ. Nichtmal, wenn er mit Ministern sprach.

Haben Sie für sich eine Antwort auf die Fragegefunden, wie man in Würde alt wird?

Richard: Sehen Sie, unser Film handelt janicht nur vom Sex im Alter, er beschreibtauch die Einsamkeit, die man von einemgewissen Alter an empfinden kann, wennman seinen Lebenspartner verloren hat,wenn man sich von einer Gesellschaft imStich gelassen fühlt.Was dieWürde des Alternsbetrifft: Während der Dreharbeitensind wir Schauspieler, alle über 70, einenTag lang in ein Altersheim gegangen. Ichkann Ihnen gar nicht sagen, wie froh wirwaren, am Abend wieder nach Hause gehenzu dürfen. Es war furchtbar.

Haben Sie Angst davor?

Richard: Ich bin mir bewusst, dass ich wegenmeiner finanziellen Situation zu denPrivilegierten gehöre. So wie es aussieht,werde ich im hohen Alter nicht aus allemherausgerissen, und wohl auch nicht alleinsein. Ich habe Kinder und Enkel, die michlieben, die sich um mich kümmern.

In den 70ern hatten Sie als „großer Blondermit dem schwarzen Schuh“ Ihren größten Erfolg– Sie waren der Tollpatsch, der alle zumLachen brachte. In dem neuen Film spielenSie Albert, der wider Willen zum Tollpatschwird, weil er unter Demenz leidet.

Richard: Das ist eine interessante Schnittmengezwischen diesen beiden Rollen. Beideirren oft herum. Ich spiele oft Personen,die etwas außerhalb der normalen Wirklichkeitleben, die nicht angepasst sind,nur dass es bei Albert eben gesundheitlicheGründe sind, die zur Unangepasstheitführen. Es fiel mir nicht schwer, jemandenzu spielen, der zwar da ist, der aber nichtgenau weiß, wo er ist. Albert hat Alzheimer.Trotzdem reizt sein Verhalten manchmalzum Lachen.

Monsieur Richard, Ende der 70er waren Sieals großer blonder Komiker aus Paris inDeutschland so bekannt wie Asterix undObelix, haben Millionen Deutsche zum Lachengebracht. Kann der Humor leichterGrenzen überschreiten als die Politik?

Richard: Ich denke schon. Dieselben Filme,die in Frankreich die Leute zum Lachenbringen, können das auch in Düsseldorfoder Berlin. Ich habe in München oderauch Berlin meine Filme gezeigt, und wurdewunderbar aufgenommen. Meine Filmeliefen genauso gut wie in Frankreich.

Der Humor-Transfer von Frankreich nachDeutschland klappt gut: Zuletzt war „Willkommenbei den Sch´tis“ auch bei uns einErfolg. Umgekehrt scheint es in Frankreichkein ausgeprägtes Interesse an deutschenKomödien zu geben. Woran liegt das?

Richard: Wegen der Masse der amerikanischenFilme, die in Frankreich auf denMarkt drängen, kommen bei uns andereausländische Filme nicht zum Zug. Ichkenne das zeitgenössische deutsche Kinoleider nicht, weil die meisten Filme bei unskaum oder gar nicht gezeigt werden. Gibtes denn deutsche Komödien?

Daniel Brühl, der in Ihrem neuen Film einenStudenten spielt, der die Senioren-WG ausethnologischer Sicht erforscht, ist immer wiedermal in Komödien zu sehen.

Richard: Oh, „Goodbye Lenin“, sicher,jetzt, wo Sie Brühl angesprochen haben,fällt mir zumindest dieser Film ein.

Kennen Sie den?

Richard: Wen? Daniel Brühl?

Nein, seinen Film „Goodbye Lenin“.

Richard: Ich habe nur davon gehört, ihnaber leider nicht gesehen. Mein Fehler. Ichverspreche, ich gehe gleich los und kaufmir die DVD. Daniel ist ein unglaublichcharmanter Typ. Ich habe die Zusammenarbeitmit ihm sehr genossen. Ich werdedemnächst wieder einen Film mit Danielmachen.

Der Film ist eine deutsch-französische Co-Produktion. In der Film-Branche klappt sowasöfter …

Richard: Für meine Begriffe immer nochzu selten, aber es ist gut, dass es überhauptzustande kommt.

Wie steht es denn heute um die oft beschworenedeutsch-französische Freundschaft,fast 50 Jahre nach der Unterzeichnung desElysée-Vertrag? Gibt es die noch oder ist siemehr denn je eher eine Zweckgemeinschaft?

Richard: Ich kann das nur aus meiner persönlichenSicht schildern. Ich selbst bin inDeutschland immer sehr warmherzig undsehr freundschaftlich aufgenommen worden.Wenn ich in Südfrankreich, im Midi,bin, wo ich ein Weingut besitze, kommenoft deutsche Touristen vorbei, sagen, wiesehr sie sich freuten, mich zu sehen. Ichhabe immer eine sehr enge Verbindung zuden Menschen in Deutschland gehabt – ichsage ausdrücklich zu den Menschen, nichtzu den Politikern. Ich mag auch die Russen,aber nicht unbedingt Putin. Ich magauch die Kubaner, Castro eher weniger.

Was genau mögen Sie an den Deutschen?

Richard: Ihre ausgesprochene Freundlichkeit.So sind jedenfalls meine Erfahrungen.Wenn ich mir die Generation der heute20-Jährigen ansehe, meine sechs Enkelbeispielsweise, dann haben die überhauptkeine Ressentiments gegenüber den Deutschen.Meine Enkel würden einem deutschenFreund nie sagen: „Vergiss bloßnicht, was beim Ersten Weltkrieg passiertist!“ Ich würde sogar sagen, dass die jungenFranzosen von heute mehr Gemeinsamkeitenmit den Deutschen haben alsmit den Engländern. Das hat nicht nur mitKriegen zu tun, sondern einfach mit derMentalität. Die Engländer scheinen mirmanchmal weiter von uns weg zu sein.

Und Daniel Brühl ist für Sie ein Vertreter einerneuen deutschen Generation?

Richard: Absolut. Aber dazu muss ich Ihneneine kleine Geschichte erzählen. Ichhabe eine Enkelin, die 18 ist. Während einerDrehpause zu „Und wenn wir alle zusammenziehen“kam sie hierher in meinBüro und fragte: „Drehst du einen neuenFilm, Opa?“ „Ja.“ „Mit wem denn?“ „MitJane Fonda.“ „Aha.“ Längeres Schweigen„Und wer noch?“ „Mit Guy Bedoz“, der istin Frankreich eine Ikone, müssen Sie wissen.„Aha“ „Geraldine Chaplin.“ „Mmh.“„Und dann noch ein junger Kollege ausDeutschland … Daniel Brühl.“ Da ist siedann laut „DANIEL BRÜHL“ schreiend ausihrem Sitz gesprungen . Da hatte ich dannauf meine alten Tage wieder was gelernt,nämlich, dass Daniel Brühl bei den jungenFranzosen sehr, sehr populär ist.

Wo er fließend Französisch spricht.

Richard: Nicht nur das. Er spricht ja nichtnur Französisch, eigentlich alles, Spanisch,Englisch sowieso. Daniel hat offenbardieses Charisma, das auf die junge Generationwirkt.

Kennt Ihre Enkelin auch Tokio Hotel?

Richard: Aber sicher doch. Was glaubenSie denn?! Im Moment ist das zwar einbisschen abgekühlt, aber vor zwei Jahrengab es da kein Halten mehr. Ich habe ihrsogar mal eine CD von Tokio Hotel gekauft.Ich wusste, dass sie die Musik mag, hatteselbstmal reingehört. Und als ich dann mitdiesem Geschenk kam, hatte sie sich sehrgefreut – und ich konnte zeigen, dass ichnoch nicht völlig von gestern war.

Angela Merkel hatte alle erstaunt, als siesich in den französischen Präsidentschaftswahlkampfeinmischte und sich für Sarkozystark machte. In Deutschland haben sichviele gefragt, was sie da geritten hat …

Richard: Die Frage kann man durchausstellen. Als Franzose bin ichmir auch nichtsicher, ob Madame Merkel für Sarkozy tatsächlicheine Hilfe war.

Sigmar Gabriel von der SPD hat später nachgezogenund sich demonstrativ hinter SarkozysHerausforderer Francois Hollande gestellt.Da gab es auf einmal deutsch-französischeFreundschaften auf allen Ebenen.

Richard: Da wirkte doch vieles aufgesetzt.Erstens glaube ich nicht, dass man sich alsStaatschef auf diese Weise in den Wahlkampfeines anderen Landes einmischensollte. Zweitens: Nehmen wir mal an, dassHollande gewinnt, was ja wahrscheinlichist. Dann wäre Madame Merkel gezwungen,ihn zu empfangen. Da gäbe es dann jawomöglich ein kleines Ressentiment Hollandesihr gegenüber, weil sie ja zuvor seinenKonkurrenten unterstützt hat. Ichglaube umgekehrt auch nicht, dass sichein französischer Präsident in die Wahlenin England, Spanien, Deutschland odersonstwo einmischen sollte. Das scheint mirnicht angebracht und einfach unnötig.