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Nazi-Verbrechen Nazi-Verbrechen: SS-Arzt praktizierte in Magdeburg

Von andreas montag 28.04.2015, 07:20
Überlebende Opfer des Konzentrationslager Neuengamme
Überlebende Opfer des Konzentrationslager Neuengamme Maurizio Gambarini Lizenz

Halle (Saale) - Es ist eine Zeit des Gedenkens, hoffentlich auch des Innehaltens in diesem Frühjahr. Kurz vor dem 70. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai wird allenthalben vermehrt an die zahllosen Opfer erinnert, die bis zur Befreiung der Deutschen von der NS-Diktatur zu beklagen waren. Bei den letzten Schlachten um Berlin sind auf beiden Seiten, der sowjetischen wie der deutschen, noch Zehntausende Soldaten gefallen, Bombenangriffe brachten Tod und Zerstörung über die Städte in Mitteldeutschland.

Aber es ist auch die Zeit, sich besonders die Verbrechen in Erinnerung zu rufen, die von Deutschen noch bis zuletzt verübt worden sind. Der Verantwortung für diese furchtbaren Taten kann man sich nicht entledigen - die Nachgeborenen haben die Pflicht, sich damit zu beschäftigen. Auch das ist der Sinn der Befreiung, die manche auch in der angeblich so durch und durch antifaschistischen DDR viele Jahre lang unter sich den „Zusammenbruch“ nannten. Eines der Gräuel, die es noch im April 1945 gab, ereignete sich im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg, eine der Spuren führt weiter in die DDR, nach Magdeburg.

In Neuengamme wurde an Kindern experimentiert

Damals, als die Alliierten Hamburg bombardierten, bevor die Stadt schließlich am 3. Mai den Briten übergeben wurde, waren die Nazi-Verbrecher eilends damit beschäftigt, die Spuren ihrer Taten zu verwischen. In Neuengamme lebten damals noch 20 jüdische Kinder, zehn Mädchen und zehn Jungen, im Alter von fünf bis zwölf Jahren. An ihnen hatten SS-Leute Experimente von unvorstellbarer Grausamkeit ausgeführt. Die seit 1979 bestehende Vereinigung „Kinder vom Bullenhuser Damm“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl an das Schicksal der Opfer zu erinnern als auch die Namen der Täter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Bundesweit bekannt gemacht hatte den Fall der Journalist Günther Schwarberg (1926-2008), seine Artikelserie im „Stern“ und das darauf fußende, 1979 erstmals erschienene Buch „Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm“ fanden seinerzeit große Beachtung. Schwarberg war selbst noch Soldat gewesen, die Erinnerungsarbeit nach den Naziverbrechen ist ihm dann zu einer Lebensaufgabe geworden.

Kinder als Versuchsobjekte für medizinische Experimente

Was damals, im April 1945, in Neuengamme und in der Hamburger Schule am Bullenhuser Damm, einem Außenlager des Konzentrationslagers, geschah, kann man auch heute kaum in Worte fassen. Monatelang hat der SS-Arzt Dr. Kurt Heißmeyer die Kinder als Versuchsobjekte für medizinische Experimente missbraucht, wie der Verein recherchiert hat: Er hat den Kindern lebende Tuberkelbazillen unter die Haut gespritzt und mit einer Sonde in die Lunge eingeführt. Dann hat er ihre Lymphknoten herausoperiert. Die Kinder bekamen davon hohes Fieber und litten Schmerzen. In einem Verhör im Jahr 1964 hat Heißmeyer erklärt, für ihn habe es „keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Juden und Versuchstieren“ gegeben.

Aber wenn auch das ärztliche Ethos durch Rassenahn und Karrierestreben ausgeschaltet war - die nackte Angst, von den Alliierten für die begangenen Untaten zur Verantwortung gezogen und bestraft zu werden, saß den SS-Leuten im Nacken. So ließen sie die Kinder von Neuengamme nach Hamburg bringen - am 20. April, Hitlers letztem Geburtstag. Den Kindern, so hat die spätere gerichtliche Untersuchung ergeben, wurde Morphium gespritzt. In der Dokumentation der Vereinigung „Kinder vom Bullenhuser Damm“ heißt es dazu:

„Schlafend erhängt man sie an einem Haken an der Wand. Der SS-Mann Johann Frahm hängt sich mit seinem ganzen Körpergewicht an die Kinder, die so dünn sind, dass sich die Schlinge nicht zuziehen kann. In einem Verhör 1946 sagt Frahm, er habe die Kinder ,wie Bilder an die Wand gehängt‘. Keines von ihnen habe geweint.“

Heißmeyer praktizierte bis 1963 als Arzt

Frahm wurde zum Tode verurteilt und am 11. Oktober 1946 hingerichtet. Fast alle der Täter und der Verantwortlichen für dieses Verbrechen sind hart, überwiegend mit dem Tode bestraft worden. Nur ausgerechnet der Arzt Kurt Heißmeyer, der den Beweis hatte erbringen wollen, dass „rassisch minderwertige“ Menschen eher anfällig sind für Tuberkulose, konnte sich zunächst der Strafverfolgung entziehen und in der DDR untertauchen. In Magdeburg hat er bis 1963 als Arzt praktiziert - selbst, nachdem schon bekannt geworden war, welche Vorwürfe gegen ihn wegen seiner Tätigkeit im NS-Regime erhoben wurden. Die Wege von Deutschland nach Deutschland waren manchmal weit in den Zeiten des Kalten Krieges.

Zudem reklamierte ja die DDR-Führung für sich, ein „sauberes“ Land zu führen - im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo allerdings tatsächlich nicht wenige der alten NS-Eliten wieder zu Macht und Ansehen gelangt waren. Heißmeyer wurde 1963 festgenommen und 1966 vom Bezirksgericht Magdeburg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein Jahr später ist der 1905 Geborene im Bautzner Strafvollzug gestorben. (mz)