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Nachruf auf verstorbenen Schauspieler Nachruf auf verstorbenen Schauspieler: Christopher Lee war das pure Böse

Von Frank Olbert 11.06.2015, 16:20
Die Jüngeren kennen ihn vor allem als Saruman aus "Herr der Ringe": Christopher Lee
Die Jüngeren kennen ihn vor allem als Saruman aus "Herr der Ringe": Christopher Lee REUTERS Lizenz

Köln - Auf den Kinoplakaten, die 1958 für seinen ersten „Dracula“-Film warben, beugt er sich über eine Dame mit tief ausgeschnittenem Dekoltee: Die schwarzen Haare stramm zurückgekämmt, die Stirn zerfurcht, die spitzen Zähne bereit zum Biss. Sein Opfer dagegen schmilzt förmlich dahin.

Keiner konnte Dracula so besessen und grimmig, zugleich aber auch so formvollendet und kalt spielen wie Christopher Lee. Mit ihm kam der Tod bipolar daher, und wahnsinnig sexy: Als „terrifying Lover“, so apostrophiert ihn das Plakat, als Liebhaber, der Angst und Schrecken verbreitet, ein Fürst der Unterwelt zwischen Liebe und Tod.

Christopher Lee, so wurde erst jetzt bekannt, starb im Alter von 93 Jahren bereits am vergangenen Wochenende – so wie sein französischer Schauspielerkollege Pierre Brice, mit dem ihn auch im Leben einiges verband. Verschmolz Brice mit der Rolle des Apachenhäuptlings Winnetou, so dass für andere Nuancen kaum noch Raum blieb, so war für Lee Graf Dracula Segen und Fluch zugleich: Das Entree in die Welt des Horrors, die ihn am Ende mit einem Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde als Schauspieler mit den meisten im Abspann genannten Filmrollen wieder entließ. Und das ewige Stigma: Christopher Lee spielte sie alle, die Freaks des Schreckens wie die Pharaonen-Mumie oder Rasputin, den Giftmischer Dr. Fu Man Chu und eben immer wieder Dracula, dem Peter Cushing als Professor van Helsing beharrlich auf den Fersen war. Lee und Cushing – sie waren das Jing und das Jang des britischen Horrorfilms seit den 50er Jahren.

Sir Christopher Frank Carandini Lee wurde 1922 in London geboren – dort starb er, wie erst jetzt bekannt wurde, am vergangenen Sonntag auch. Sein Vater war Offizier der britischen Armee und kämpfte im Ersten Weltkrieg, seine Mutter Estelle Marie Carandini di Sarzano entstammte dem gräflichen Adelsgeschlecht Carandini.

Graf Dracula ist die Titelfigur des 1897 erschienenen Romans „Dracula“ des irischen Schriftstellers Bram Stoker. Der Graf bewohnt ein Schloss in Transsylvanien und plant einen Grundstückskauf in London.

Der Roman ist seit den Anfängen der Kinogeschichte ein beliebter Stoff für Verfilmungen. Friedrich Wilhelm Murnau drehte 1922 „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“. 1931 spielte der ungarische Schauspieler Bela Lugosi Dracula unter der Regie von Tod Browning. Klaus Kinski trat 1979 in Werner Herzogs Remake von Murnaus Nosferatu auf. (F.O.)

Wie Brice lebte Lee also im Goldenen Käfig seines Genres, aber damit war es mit den Gemeinsamkeiten auch schon vorbei – sieht man einmal davon ab, dass auch Lee in Produktionen des Deutschen Horst Wendlandt mitwirkte, nämlich den legendären Edgar-Wallace-Krimis, die den Karl-May-Verfilmungen vorangingen. Was ihn aber von Brice fundamental unterschied, war sein Talent für Ironie.

Noch in den finstersten Gestalten des hünenhaften Lee schwang stets auch ein Hauch von Karikatur mit, ein karnevalesker Schalk, der immer wieder grinsend darauf hinwies: Der Tod steht ihm gut! Diese Fähigkeit, zu sich selbst auf Distanz zu gehen, hat ihm dann doch zum Ausbruch aus dem Käfig verholfen, in dem er zusammen mit Dracula saß.

Tim Burton ist der Regisseur des postmodernen, postklassischen Horrorfilms, seine Filme führen in die verwirrenden Spiegelungen der Kunst. Als er am Ende der 90er Jahre „Sleepy Hollow“ drehte, war er Ende 30 und Lee beinahe doppelt so alt: Dracula war in die Jahre gekommen, aber das gab Burton nur umso mehr Anlass, dem Schauspieler eine beinahe kultische Verehrung entgegen zu bringen. Wie später Martin Scorsese in seiner cineastischen Hommage „Hugo Cabret“ setzte Burton Lee auch später immer wieder in doppelter Funktion ein: In seiner Rolle, und als Ikone des Kinos schlechthin. Wer Christopher Lee mitspielen ließ, hatte ein lebendes Zitat der Filmgeschichte engagiert. Und mit absolutistischer Grandezza sagte dieses Zitat stets: „Das Böse bin ich.“

Er war es als Francisco Scaramanga im „Mann mit dem goldenen Colt“ als Gegenspieler von Roger Moore respektive James Bond. Oder als Count Dooku in den Prequels von George Lucas’ „Star-Wars“-Saga. Er spielte in Peter Jacksons „Hobbit“ mit und war zusammen mit seinem alten Freund Peter Cushing und John Carradine in der Horrorkomödie „Das Haus der langen Schatten“ zu sehen. Nur zwei Herzenswünsche blieben ihm während seiner langen Karriere verwehrt: Er hätte gerne die Zeit zurückgedreht und rückgängig gemacht, dass er es 1976 abgelehnte, Dr. Sam Loomis in John Carpenters „Halloween“ zu spielen – an seiner Stelle bekam Donald Pleasence die Rolle. Und er hätte gern mit Clint Eastwood gedreht.

Eine imposante Erscheinung war Lee auch dank seiner dröhnenden, wuchtigen Bassstimme. Er hat sie auch für den Gesang genutzt und ist in Opern und in Musicals aufgetreten, und noch im vergangenen Jahr nahm er im Alter von 92 Jahren eine Heavy-Metal-Platte auf. Da geht es ja bekanntlich auch häufig ums Mythische und Okkulte, um Eros und Tod und also um alles, mit dem sich Christopher Lee auskannte. Als „Terrifying Lover“ ist er in die Kinogeschichte eingegangen, vor allem aber auch bis in unsere Träume und Ängste vorgedrungen. Nun ist das Unvorstellbare geschehen. Dracula ist tot.

Sir Christopher Lee im Jahr 1948
Sir Christopher Lee im Jahr 1948
Hulton Archive Lizenz