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Nach "Die Welt"-Artikel Nach "Die Welt"-Artikel: Auf das Mansfelder Land einzuprügeln ist einfach ...

Von Andreas Montag 08.11.2016, 19:36
Luther-Museum in Mansfeld: Grundstock eines künftigen Kapitals
Luther-Museum in Mansfeld: Grundstock eines künftigen Kapitals Klaus Winterfeld

Mansfeld - Wer ein Haar in der Suppe finden will, wird es auch finden. Im Falle eines strukturschwachen Gebietes, wie es das Mansfelder Land ist, sind es sicher sogar ein paar Haare mehr.

Auch in der Stadt Mansfeld selber, die vor einiger Zeit der Journalist Tilman Krause besuchte, um für die Tageszeitung „Die Welt“ darüber zu berichten. Erschienen ist der Beitrag Ende Oktober, die Empörung in Mansfeld war danach allgemein.

Nun wird ein Autor, kommt er in eine Gegend, die ihm (und der vermuteten Mehrzahl seiner Leserinnen und Leser) unbekannt ist, zunächst einmal neugierig durch die Straßen streifen, er wird Menschen suchen (und finden), die ihm Auskunft geben. All das hat Tilman Krause auch gemacht, irgendwie. Aber die Geschichte, die er dann aufgeschrieben hat, schmeckt eben doch ein wenig nach Vorsatz, dafür fehlt es komplett an Empathie.

Dies freilich führt an einen Punkt, zu dessen Diskussion Medientheoretiker und Sozialethiker ganze Tagungen abhalten könnten: Was hat der Journalist korrekterweise zu tun? Unbestechlich hinsehen und aufschreiben, was er sieht?

Darüber wird man schnell Einigkeit erzielen. Natürlich muss er das. Und wo er das nicht tut, wie es einige Male bei medialen Eiertänzen vorgekommen ist, die aus falsch verstandener politischer Rücksicht um Fehlverhalten und Straftaten von Asylbewerbern (wie am Kölner Hauptbahnhof) aufgeführt worden sind, hat er einen Fehler gemacht.

Sorgen Journalisten so selbst für den Vertrauensverlust der Medien, für Beschimpfungen wie Lügenpresse?

Dieser führt obendrein zu schwerwiegenden Vertrauensverlusten bei der Kundschaft, das schöne Wort Lügenpresse macht seit geraumer Zeit die Runde und wird von Populisten gern als Waffe gegen Medienbetriebe benutzt.

Darf ein Journalist deshalb aber nicht empathisch, also mitfühlend, sein? Das darf er wohl, nur wird er dann in Kauf nehmen müssen, vielleicht nicht als die schärfste Edelfeder angesehen zu werden, die mancher in der Branche aber gerne wäre.

Es putzt ganz ungemein, wenn man, rhetorische Funken schlagend, so richtig mit Schmackes draufhaut. Handelt es sich bei dem Beobachtungsgebiet um eines in der ehemaligen DDR, macht sich die scharfe Sache vor dem breiten Publikum, das zwar noch nicht dort gewesen ist, aber schon so eine Ahnung hat, wie die Gegend und ihre Bewohner beschaffen sein könnten, um so besser. Auf jeden Fall ist ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit schon mal sicher. Und die will man als Schreiber schließlich haben, wozu sonst hätte man die Mühen einer beschwerlichen Reise auf sich genommen?

„Wo einst Luther wohnte, ist heute alles ausgestorben“, titelte Tilman Krause seinen Beitrag, der viele Mansfelder auf die Palme brachte. Denn siehe, so ausgestorben, wie der Autor das Städtchen sah, ist es offenbar doch nicht, das ihn „aus tausend toten Augen“ geschlossener Geschäfte und unbewohnter Häuser angeblickt hatte.

Aber die wenigen Bewohner, die Krause doch noch ausgemacht hatte, redeten für ihn „in einer merkwürdigen Kindersprache“ miteinander. Da war er sich „nicht ganz sicher, ob sie noch normal sind“. Holla, das hat gesessen.

Nun könnten die Mansfelder auf die pfiffige Idee kommen, dem Verfasser dieser wenig liebenswürdigen Zeilen ein Ticket für einen Auftritt des Duos Elsterglanz zu schenken oder ihn zum Dreckschweinfest in der Hergisdorfer Nachbarschaft einzuladen - womöglich würde er abermals nur Bahnhof verstehen, aber vielleicht eine Ahnung davon bekommen, einem besonderen Menschenschlag begegnet zu sein.

Wie nah kommen journalistische Beobachtungen des Mansfelds an die Wahrheit über die Region?

Was nun aber die Wahrheit über Mansfeld betrifft, so gehört dazu, dass Tilman Krauses Beobachtungen ja nicht der faktischen Grundlage entbehren - die Interpretationen sind es, die einem aufstoßen können. Tatsächlich gibt die Lutherstadt mit ihren rund 9 000 Einwohnern nicht eben das Bild eines aufstrebenden Ortes ab. Die ganze Region leidet an fehlender Wirtschaftskraft, viele jüngere Menschen sind auf der Suche nach beruflicher Perspektive weggezogen.

Und wenn man den Ort betritt, so wechselt der gefühlte Eindruck zwischen schläfriger Beschaulichkeit und fehlender Hoffnung. Dessen sind sich Kommunal- wie Landespolitiker ebenso bewusst wie die Evangelische Kirche, die deshalb seit Jahren Anstrengungen unternehmen, Mansfeld Leben einzuhauchen und eingedenk aller Nöte der historisch bedeutsamen Gemeinde ihre Würde zu lassen.

Dazu gehört, das man Luthers Gegenwart herausstellt, der dort seine Kindheit verbracht hat. Mag sein, dass das neu erbaute Museum einstweilen ein bisschen an einen Fremdkörper erinnert. Aber man kann es auch als den Grundstock für ein Kapital ansehen, das dem Mansfelder Land insgesamt, dessen Reichtum der Bergbau war, noch einmal zuwachsen könnte. Die Hoffnung darauf haben die Menschen wenigstens verdient. Auferstehung, trotz Ruinen. Woher sonst sollten sie die Kraft gewinnen, ihr Leben zu gestalten. (mz)