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MZ-Interview MZ-Interview: «Wie haben wir das nur gemacht?»

20.11.2009, 14:11

LONDON/MZ. - McCartney: Hello, this is Paul McCartney. Sind Sie dran, Martin?

Ja. Es ist ein bisschen seltsam, einen Anruf entgegenzunehmen, bei dem sich der andere als Paul McCartney vorstellt.

McCartney: Für mich ist das ganz normal. Worüber wollen wir reden?

Hello, this is Paul McCartney. Sind Sie dran, Martin?

McCartney: Ja.

Es ist ein bisschen seltsam, einen Anruf entgegenzunehmen, bei dem sich der andere als Paul McCartney vorstellt.

McCartney: Für mich ist das ganz normal. Worüber wollen wir reden?

Reden wir über Schreie.

McCartney: Schreie? Warum nicht.

Mr. McCartney, wenn Sie heute einen Beatles-Song wie "Helter Skelter" spielen, müssen Sie immer wieder diese aggressiven Urschreie ausstoßen. Fragen Sie sich im Alter von 67 Jahren manchmal, wie lange Sie das Ihren Stimmbändern noch zumuten können?

McCartney: Nein. Ich kann solche Lieder nur singen, weil ich mir genau solche Fragen - "wie lange halte ich das noch durch" - gar nicht erst stelle.

Ian Gillan, der Sänger von Deep Purple, gibt heute unumwunden zu, dass er sich Schrei-Hymnen wie "Child in Time" nicht mehr antut - aus Angst, danach zu kollabieren.

McCartney: Wenn ich mich entscheide, einen Song wie "Helter Skelter" im Konzert zu spielen, singe ich ihn zunächst bei der Probe. Es ist ein Test, ich versuche meine Grenzen auszuloten. Wenn ich merke: Das schaffe ich - dann singe ich den Song abends vor Publikum. Ich frage mich aber nicht vorher, ob ich überhaupt noch die Kraft habe, ihn zu singen. I just do it. Ich singe ja auch andere Songs, die den vollen Stimmeinsatz fordern, wie beispielsweise "I'm Down"...

Dabei müssen Sie sich buchstäblich die Lunge aus dem Leib schreien.

McCartney: Ich erinnere mich noch gut, wie ich den Song gemeinsam mit Billy Joel gesungen habe, im Shea Stadium in New York. Es war das letzte Konzert dort, bevor das Stadion abgerissen und durch ein neues, das Citi Field, ersetzt wurde. Billy fragte mich, in welcher Tonart ich diesen Song heute singen würde. "In G", antwortete ich, "so habe ich ihn geschrieben, so singe ich ihn auch heute noch." Er war völlig verdutzt: "Willst du mir ernsthaft weismachen, dass du diesen Song in deinem Alter immer noch in G singst? Du hast deine Stimme nicht auf eine tiefere Tonart runtergeschraubt?" "Nein", sagte ich, "ganz einfach, weil ich nicht weiß, wie ich den Song sonst singen sollte. Ich kenne ihn nicht anders." Ich gehe immer davon aus, dass ich es irgendwie schaffen werde. Und ... dann mache ich es einfach. Ich danke Gott jedes Mal dafür, wenn es klappt. Ich gehöre nicht zu jenen Sängern, die pedantisch auf ihre Stimmen achten und sich ewig lange mit technischen Aspekten des Gesangstrainings befassen. Wenn es funktioniert, ist es doch gut, ich lege einfach los. Immer volle Pulle geben - und die Daumen gedrückt halten.

Keith Richards hat mir mal gesagt, Musiker wie Sie und die Stones seien Pioniere, weil bisher niemand so lange und so erfolgreich Rock-Musik gespielt habe. Das Interview liegt schon 20 Jahre zurück - die Einschätzung ist heute noch zutreffender als damals. Fragen Sie sich wirklich nie, wie lange Sie noch auf der Bühne stehen werden?

McCartney: Nein - und genau das ist Teil des Geheimnis. Es ist auch nicht so, dass ich mich vor einer Tournee hinsetze und frage: Wie schaffe ich es nur, diesmal wieder der erstaunlichste Pop-Sänger der Welt zu werden - oder so was Ähnliches.

Was fragen Sie sich dann?

McCartney: Ich frage mich schlicht: Welche Songs soll ich diesmal spielen. Und dann stelle ich eine Liste zusammen. Die Leute geben viel Geld aus, um mich auf der Bühne zu sehen. Das nehme ich nicht als Selbstverständlichkeit hin. Ich weiß noch, wie ich als Jugendlicher Karten für Bill Haley erstand, als er erstmals in Liverpool spielte. Das war der Anfang des Rock'n'Roll. Ich hatte drei Monate lang gespart, um mir das leisten zu können. Das habe ich nicht vergessen. Ich will den Zuschauern etwas bieten für ihr Geld. Und dann erkundige ich mich zum Beispiel, wie lange die Kollegen denn so spielen. Dann sagt man mir: In der Regel zwei Stunden. Das ist dann auch meine Zielvorgabe. Es kommt aber auch immer wieder vor, dass ich länger spiele, weil es mir auf der Bühne so viel Spaß macht und ich einfach nicht aufhören kann. Und es ist immer wieder verblüffend, was ich nach solchen Auftritten von Zuschauern zu hören bekomme. In den USA sind vor allem die Frauen sehr um mein Wohlergehen besorgt. "Sie haben ja während des ganzen Konzertes nicht mal ein Glas Wasser auf der Bühne getrunken. Sie müssen mehr trinken", hat mir eine Amerikanerin mal gesagt. "Da wo ich herkomme, trinkt man gewöhnlich kein Wasser", antwortete ich ihr, "außerdem gehört es sich nicht, die Show zu unterbrechen, um zwischendurch Wasser zu trinken."

Sie sind aber sehr streng mit sich. Sogar jüngere Sänger gehen heutzutage nicht ohne ihr Wasser oder Bier auf die Bühne.

McCartney: Ich finde, du solltest dein Konzert zu Ende spielen, das ist dein Job. Danach kannst du meinetwegen Wasser trinken - oder was auch immer. Egal, ich bin sehr glücklich, dass sich bei meinen Konzerten noch immer alles so wunderbar zusammenfügt. Ich lasse es einfach geschehen - und das macht mir einen unglaublichen Spaß.

Ihre neue DVD ist ein Live-Mitschnitt Ihrer Konzerte im Citi-Field-Stadion in New York - genau an der Stelle, wo die die Beatles in den 60ern erstmals vor zehntausenden Zuschauern gespielt haben. Damals traten Sie mit winzigen Verstärkern und einer läppischen Lichtanlage vor ein hysterisches Publikum. Heute stehen Sie auf gewaltigen High-Tech-Bühnen, von der aus Arenen mit der Dezibel-Stärke eines Jumbo-Jets beschallt werden. Wundern Sie sich heute manchmal, wieso Ihre frühen Stadionkonzerte mit den dürftigen Mitteln damals überhaupt funktioniert haben?

McCartney: Mehr als einmal. Wie haben wir das bloß gemacht? Ich kann es mir nur so erklären, dass wir zur der Zeit schlechte, sehr harte Auftrittsbedingungen gewöhnt waren. Wir hatten lange Zeit in Tanzsälen und kleinen Clubs wie in Hamburg gespielt. Auch in diesen Schuppen konnten wir uns selbst nur schlecht hören. Das Publikum war meistens sehr laut, manchmal wurde es sehr ruppig und es gab Schlägereien. Solche Sachen eben. Es war eine harte Schule. Dann kam die Beatlemania, die Hallen wurden größer, die Schreie des Publikums noch lauter. Aber das alles war nicht zu vergleichen mit der Hysterie im Shea Stadium. Wir waren die erste Band, die überhaupt versucht hatte, in einem Baseballstadion zu spielen, das war 1965. Wir rannten auf die Bühne, fingen an zu spielen und - wir konnten absolut nichts davon hören. 50 000 Menschen können sehr laut schreien. Es war, als spielten wir in einem Sturm. Wir hatten keine eigenen Verstärker - wir benutzten die Boxen des Stadions, über die auch die Lautsprecheransagen gemacht wurden. Wir mussten nehmen, was da war.

Wie verständigt man sich unter vier Musikern, wenn man sein eigenes Wort nicht mehr versteht?

McCartney: Wir hatten eine gewisse Erfahrung mit dem Wahnsinn um uns herum. Wir wussten instinktiv: Wir müssen hier vor allem unsere Show durchziehen. Das lässt sich nicht intellektuell erfassen. Wir gingen einfach raus und sagten uns: Los jetzt, let's do it. Wir haben uns, glaube ich, ganz gut geschlagen.

Sie haben die Anfänge in Hamburg angesprochen, Ihre Europa-Tournee beginnt am 2. Dezember wieder in der Hafenstadt, in der die Beatles als Band zusammenwuchsen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit damals?

McCartney: Unendlich viele. Die Stadt öffnete uns die Augen. Wir gingen als Kinder dorthin und kamen als - alte Kinder zurück. Auf der Reeperbahn erlebten wir damals eine ziemliche schnelle Feuertaufe in Sachen Sex, Wir waren von der Leine gelassen. Es war eine wilde Zeit. Der Zweite Weltkrieg war ja noch nicht so lange vorbei. Viele Menschen in Liverpool hatten ihn jedenfalls noch nicht vergessen. Deshalb war es gut, dass wir in Hamburg junge Deutsche kennen lernen konnten, Jugendliche, die zu unseren Konzerten kamen. Viele wurden Freunde, Astrid Kirchherr, Klaus Voormann. Wir aßen oft in "Haralds Café" auf der Großen Freiheit. Dort gab es Hamburger, die dort allerdings Frikadellen hießen. Wir konnten nie verstehen, warum sie ausgerechnet in Hamburg nicht Hamburger hießen. Kurios war auch unsere Rückkehr nach Liverpool. Dort kündigte man uns dann folgendermaßen an: direkt aus Hamburg - The Beatles. Wir sahen in unseren Lederjacken ziemlich deutsch aus. Ein paar Mädchen aus Liverpool fragten uns sogar: "Seid ihr Deutsche?" Es war eine prägende Zeit.

Reden wir ein bisschen über die vielen Gesichter und Vorstellungen des Paul McCartney. Das Klischeebild von Ihnen ist das des netten, gefälligen und auch etwas harmlosen Beatles....

McCartney: Ich weiß, Sie haben den Familienmenschen in Ihrer Aufzählung vergessen. Das sind so Projektionen, die von Leuten stammen, die sich nie wirklich mit meiner Arbeit, meinen Liedern beschäftigt haben.

Dabei haben Sie selbst in jungen Jahren viele Songs über Verlust und Tod geschrieben. "Blackbird" beispielsweise oder Zeilen wie "Eleanor Rigby died in the church and was buried along with her name, nobody came." Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich heute anhören, wie Sie als junger Mann über den Tod geschrieben haben?

McCartney: Das ist ein interessantes Gedankenspiel. Tatsächlich habe ich erst kürzlich wieder über den Text von "Eleanor Rigby" nachgedacht. Ich muss Mitte 20 gewesen sein, als ich das damals schrieb. Ich bin oft selbst verblüfft, dass ich in dem Alter so komplexe Texte geschrieben habe.

Von heute aus betrachtet, finden Sie dass Sie damals eine unschuldige, romantische Sicht auf den Tod hatten?

McCartney: Nein, die Lieder haben für mich auch heute eine Tiefe, die mich selbst erstaunt. Deshalb macht es mir im fortgeschrittenen Alter auch immer noch Spaß, sie zu singen. Es ist so, als ob ich sie neu entdeckte. Ich komme mir vor wie ein Beobachter, der sein eigenes jüngeres Ich aus der Distanz in Augenschein nimmt. Und wenn ich über mich selbst überrascht bin, sagt mir die eine Hälfte meines Gehirns: "Hey, das hast du selbst geschrieben." Und die andere Gehirnhälfte antwortet dann meist: "Okay, ziemlich cool."

Auf Ihrem letzten Album "Memory Almost Full" haben Sie darüber gesungen, wie Sie sich Ihre eigene Beerdigung vorstellen - als fröhliches Fest mit tanzenden Kindern. Haben Sie keine Angst vor dem eigenen Tod?

McCartney: Am Anfang fand ich den Gedanken, meine eigene Beerdigung in einem Lied zu besingen, schon beängstigend. Es gab Momente, da wollte ich kneifen und dachte: "Schreib doch lieber über einen Sommerurlaub, das wäre doch nett." Aber dann hatte ich die Platte eines Musikers gehört, der sich auf ähnliche Weise mit seinem eigenen Tod beschäftigte.

Welcher Musiker war das?

McCartney: Ich komme jetzt nicht auf seinen Namen. Ich weiß nur, dass es das sehr mutig fand. Ich fragte mich, ob ich mir so was auch zutrauen würde. Das Thema hat mich dann sehr beschäftigt: Wie würde ich mir meine eigene Beerdigung vorstellen? Wissen Sie, ich habe irische Wurzeln, und die Iren haben eine besondere Form der Totenwache, die Freunde und Trauer miteinander vereint. Der Tod ist für die Iren auch ein Anlass, das Leben des Verstorbenen zu feiern, es ist also nicht nur eine traurige Veranstaltung. Ich fand es reizvoll, darüber zu schreiben. Für mich war es sehr befreiend, eine Katharsis - besser, als ich es mir vorgestellt hätte.

Der Tod beschäftigt Sie auch in Ihren Konzerten. Wenn Sie zwischen den Songs an Ihre verstorbene Frau Linda, an George Harrison und John Lennon erinnern, sind das fast kleine Requiems.

McCartney: Es sagt viel über die heilende Kraft der Musik aus. Tod ist Teil des Lebens. Ich umarme meine verstorbenen Lieben durch die Musik, indem ich ihre Lieder singe. "Something" von George beispielsweise. Was insofern kurios ist, weil ich bei den Beatles nie die Kompositionen von John oder George als Leadsänger gesungen habe. Ich habe immer nur meine Songs gesungen. Ich habe zum ersten Mal eine Komposition von George spielen gelernt und gesungen, als ich nach seinem Tod ein Tribute-Konzert für ihn vorbereitet habe. Es war sehr befreiend, dieses Lied zu spielen. Ich dachte mir nur: "Verdammt, warum habe ich so lange damit gewartet?"

Und - Ihre Antwort?

McCartney: Weil es mir vorher einfach nicht in den Sinn gekommen wäre. Ich hatte schließlich genug eigene Songs, die ich singen konnte. Heute ist es anders. Ich nehme mir die Zeit für diese Lieder.

Ist das eine Form von Altersmilde, dass Sie das eigene Ego zurücknehmen und sich den alten, verstorbenen Kollegen auf diese Weise zuwenden?

McCartney: Es ist meine Art, John und George Respekt zu erweisen und die Erinnerung an sie wach zu halten. Die Zuschauer folgen mir gern auf diesem Weg. Das ist nur menschlich. Wir alle lieben es, uns vor Verstorbenen, die uns nahe standen, zu verneigen, uns an sie zu erinnern. Wenn ich in meinen Konzerten meine Lieblingsfotos von George zeige, einen seiner Lieblingssongs singe - dann tut mir das sehr gut. Das sind für mich immer sehr bewegende Augenblicke. Ich bin in solchen Momenten auch sehr traurig. Aber diese Art der Erinnerung hilft mir, die Traurigkeit zu überwinden.

Take a sad song and make it better?

McCartney: Ja, genau so ist. Musik ist ein enormer Verstärker von Emotionen. Das macht ihre Strahlkraft aus, sie ist ein Vehikel für Traurigkeit - aber auch für Freude. Und wenn es gelingt, beide Extreme zusammenzubringen, entsteht Magie. So ist das Leben.

Ich habe kürzlich mit dem 76-jährigen US-Schriftsteller Philip Roth über das Älterwerden gesprochen. Er meinte, er hätte das Alter einfach nicht erwartet. Es würde ihm helfen, darüber zu schreiben - und wenn er nicht schriebe, würde er verrückt.

McCartney: Das kann ich zum Teil gut nachfühlen. Wobei ich ja nur gelegentlich von meinem persönlichen Standpunkt aus schreibe. Es gehört nicht unbedingt zu meinem Stil, autobiographische Bekenntnisse in Songs zu packen.

Es gibt Hunderte von Büchern, die nichts anderes machen, als den persönlichen Spuren in Ihren Songs nachzugehen.

McCartney: Ich weiß. Mir macht es aber eher wie vielen Schriftstellern Spaß, aus der Perspektive eines anderen zu schreiben, von einem imaginierten Standpunkt aus. Aber es stimmt natürlich: Selbst wenn man die Geschichte von einer dritten Person erzählen lässt, ist es am Ende ja doch meist dein Standpunkt. Wenn Charles Dickens aus der Perspektive einer Frau erzählt, spricht doch immer noch Charles Dickens zu uns. Ich glaube, dass Philip Roth öfter autobiographisch schreibt als ich. Es ist schon seltsam, dass Sie gerade ihn ansprechen. Vor einem Jahr hatte ich meinen Schwager gefragt, ob er mir ein Buch empfehlen könne. Er schlug mir ein Buch von Philip Roth vor.

Welches denn?

McCartney: Ich weiß es nicht mehr genau, irgendwas mit "American..." im Titel.

"American Pastoral" vermutlich.

McCartney: Das war's! Den Titel hatte ich zwar vergessen, das Buch aber nicht. Denn es war das deprimierendste Buch, das ich je gelesen habe. Jeder einzelne Seite hat mich unglaublich runter gezogen.

Immerhin hat sein Porträt den Pulitzerpreis bekommen: die Geschichte einer liberalen jüdischen Familie, die daran zerbricht, dass ihre Tochter aus Protest gegen den Vietnamkrieg einen Bombenanschlag verübt.

McCartney: Damit wir uns nicht missverstehen: Ich fand es kein schlechtes Buch, ich würde sogar sagen, es ist ein großartiges Buch - aber es hat mich zu Tode deprimiert. Ich habe es sogar bis zum Ende gelesen. Aber danach habe ich meinen Schwager zur Rede gestellt: "Mensch, was hast du mir da denn untergejubelt? Ich werde nie wieder ein Buch lesen, das du mir vorgeschlagen hast, so viel ist sicher." Die Lektüre hat mich wirklich gequält. Könnten wir zur Abwechslung nicht über was Heiteres reden?

Also gut. Reden wir über etwas, das in dem nicht enden wollenden Buhei um die Beatles immer untergeht - den Humor Ihrer Band. Oscar-Preisträger Martin Scorsese hat das komödiantische Potenzial der Beatles-Filme "A Hard Day's Night" und "Help" mal mit dem der Marx Brothers verglichen. Wussten Sie eigentlich, was Sie da taten, als Sie zwischen Tourneen und Plattenaufnahmen nebenbei noch Filme aufnahmen?

McCartney: Wir wussten genau, was wir nicht wollten. Es gab anfangs Angebote, in angestaubten britischen Musik-Filmchen mitzuwirken. Einer hieß "Yellow Teddy Bears", aber die Songs waren alle schon geschrieben. Ohne uns, sagten wir. Wir wollten geistreich und witzig sein. Also warteten wir auf den richtigen Moment. Dann lernten wir den Regisseur Richard Lester kennen. Wir kannten seine Arbeit aus der BBC Comedy Serie "Goons Show" mit Peter Sellers. Und wir liebten seinen Kurzfilm "The Running Jumping and Standing Still Film", der etwa zehn Minuten dauerte. Die Handlung ist schnell erzählt. Man sieht am Ende des Horizonts einen Typ, der unendlich langsam auf die Kamera zukommt. Es dauert ewig bis er endlich da ist und neugierig in die Kamera blickt. Dann schnellt plötzlich hinter der Kamera eine Faust hervor und schlägt ihm direkt ins Gesicht. Wir haben uns halb tot gelacht. Das entsprach genau unserer Art von Humor. Richard Lester war unser Mann. Wir haben uns dann mit ihm und einem Drehbuch-Autor zusammengesetzt und an den Gags gefeilt. Da sind all diese Nonsens-Dialoge entstanden, beispielsweise der über meinen Film-Opa. John sagt: "He can't talk, can he." Dann ich: "Course he can talk he's a human being, isn't he." Und dann Ringo: "Well, if he's your granddad, who knows." So was halt. Nach drei Monaten war alles fertig und der Film kam in die Kinos. Wir hatten einen ausgeprägten Sinn für Humor innerhalb der Beatles. Das hat uns über viele Klippen hinweg geholfen. Der Humor half uns, den Druck, den Wahnsinn um uns herum zu verarbeiten.

Wie genau hat das funktioniert?

McCartney: Als wir das erste Mal nach Amerika kamen, wussten die Journalisten dort gar nicht, wie sie uns einordnen sollten. Wir hatten diesen, wie sie damals sagten anarchischen Studentenhumor. Der hat sich damals in Hamburg herausgebildet. Zu unseren Gigs kam existenzialistische Clique um Astrid Kirchherr und Klaus Voormann, die viel abgedrehter war als wir. Das war für uns eine völlig neue Welt. In Amerika dagegen wurden wir bierernst empfangen: Ich erinnere mich noch an die ersten Worte eines Fernsehreporters: "Hello, ich spreche hier gerade mit einem Mitglied der Beatles. Mögen Sie das amerikanische Publikum?" Wir sagten nur: "Yeah." Nichts weiter. Schweigen. Noch mehr schweigen. Der Reporter kam richtig ins Schwitzen. Das waren in den USA berühmte Fernseh-Leute. Und dann standen wir ihnen gegenüber und sagten: "Mir gefällt deine Krawatte nicht." So was hatten die noch nie erlebt. Die Zuschauer liebten es und die Reporter hatten eine Zeitlang richtig Angst, uns zu interviewen. Es war ein unglaublicher Spaß, der unter diesem gewaltigen Druck entstanden ist. Vieles davon ist zeitlos, das ist wohl auch ein Grund, warum die Musik der Beatles so lange relevant bleibt - weil der Humor zeitlos ist.

Das gilt auch für die Musik: Als vor kurzem alle Beatles-Alben noch einmal in einer neuern digitalen Abmischung veröffentlicht wurden, belegten sie wieder weltweit die Charts und wurden teils jede für sich noch einmal separat besprochen. Die New York Times hat sich die Mühe gemacht, alle Zeitungen mit ihren Rezensionen zu den jeweiligen CDs aufzulisten. Bei aller Liebe - ist das nicht selbst Ihnen zu viel der - Heldenverehrung?

McCartney: Ich weiß nicht, mir ging es ähnlich wie vielen Kritikern: Ich habe mir diese Neu-Abmischungen sehr genau angehört und mich manchmal in unsere Sessions zurückversetzt gefühlt. Manchmal dachte ich, John steht neben mir. Es klingt wirklich so, wie ich die Aufnahmen in Erinnerung habe - mit Details, die bisher nicht zu hören waren, jetzt aber herausgearbeitet wurden. Ich bin da keineswegs gleichgültig oder gelangweilt herangegangen, nach dem Motto: "Was regt ihr euch alle so auf, das ist doch nur altes Zeug, das remastered ist." Die Fans konnten all diese feinen Nuancen bisher nicht hören, jetzt geht das. Ich finde es großartig.

Mr McCartney, seit dem Ende der Beatles haben Sie mit Heerscharen von renommierten Musiker zusammengearbeitet: Jimmy Page, Pete Townshend, Stevie Wonder oder U2, die beim Live 8 Konzert in London bereitwillig die Begleitband für Sie gaben und mit Ihnen "Sgt Pepper" spielten. Bono hat erzählt, wie nervös er vor diesem Zusammentreffen war, weil er Angst hatte, es zu vermasseln und sich vor Ihnen zu blamieren. Wie gehen Sie damit um, wenn gestandene Superstars mit zitternden Knien vor Ihnen stehen?

McCartney: Ich liebe es, die Leute nervös zu machen. Nein, im Ernst. Die Nervosität entsteht meist, bevor mich diese Leute tatsächlich treffen. Wenn wir dann gemeinsam im Proberaum stehen, zusammen Musik machen, sind sie meist nicht mehr verkrampft. Aber ich kann diese Anspannung gut verstehen: Wenn ich heute als junger Musiker einen der Beatles träfe, wäre ich auch nervös, darauf können Sie wetten.

Ab und zu suchen Sie sich Kollegen als Partner aus, von denen Sie wissen, dass Sie ihnen widersprechen. Elvis Costello gehörte dazu, ebenso wie Produzent Nigel Godrich, der sich durch seine Arbeit mit Radiohead einen Namen gemacht hatte, von Ihnen aber völlig unbeeindruckt war. Brauchen Sie diese Konfrontation - jemanden, der nicht gleich vor Ehrfurcht erstarrt?

McCartney: Es schadet nicht. Nigel ist mir allerdings zeitweise richtig auf die Nerven gegangen, beispielsweise, wenn er mir sagte: "Dieser Song ist einfach Mist". Da musste ich erst mal tief Luft holen. "Was fällt dir ein? Was glaubst du wer du bist?", dachte ich mir dann.

Aber für das von ihm produzierte Album "Chaos and Creation in the Backyard" bekamen Sie euphorische Kritiken wie seit zehn Jahren nicht mehr.

McCartney: Nigel hatte einen guten Ansatz und er war immer sehr ehrlich zu mir. Es war nicht unbedingt angenehm, mit ihm zu arbeiten. Aber es ist etwas Gutes dabei herausgekommen. Und bei den Beatles war es ja auch nicht immer eitel Sonnenschein.

Welche Art von Partnern bevorzugen Sie: die Denkmalpfleger oder die Legendenzerstörer?

McCartney: Wertschätzung und Konfrontation sind beide wichtig, ich kann inzwischen mit beidem leben, ich nehme es wie es kommt. Manchmal entstehen gute Platten aus einer angenehmen, harmonischen Atmosphäre heraus. Manchmal muss es richtig krachen, damit gute Songs entstehen. Dann musst du dich durchkämpfen, bis du das Licht am Ende des Tunnels siehst. Wichtig ist, was am Ende dabei herauskommt.

Mit Ihrer aktuellen Band spielen Sie nun schon seit zehn Jahren zusammen, länger als Sie es mit den Beatles ausgehalten haben.

McCartney: Stimmt. Und wissen Sie was, wir werden immer besser, weil wir uns untereinander besser kennen und verstehen. Wir können inzwischen einen verdammt guten Lärm veranstalten.

Ist es schwer, die harmonischen Gesänge der Beatles auf der Bühne von anderen Musikern eins zu eins nachzusingen?

McCartney: Nein, denn es ist hilfreich, dass meine Musiker auch alle sehr gute Sänger sind. Wir spielen inzwischen mit viel Verve Songs wie "Paperback Writer", ein Lied, das den Beatles immer schwer fiel, auf der Bühne zu spielen.

Woran lag das?

McCartney: Die Harmonien darin sind sehr vielschichtig, das erfordert ein hohes Maß an Abstimmung und Gespür für Timing und den richtigen Einsatz. Meine aktuelle Band kann das - weil drei von ihnen wunderbar Harmonien singen können. Bei den Beatles war es anders: Gut, Ringo konnte es im Prinzip, aber dann eigentlich doch nicht. Er war bei den Harmoniegesängen nicht so kompetent wie George und John. So gesehen war es damals schwerer, solche Songs live zu singen als heute. Das sind schon seltsame Vorteile, die man erst dann erkennt, wenn man einige Jahrzehnte im Geschäft ist.