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MZ-Gespräch mit dem Philosophen Günther Patzig MZ-Gespräch mit dem Philosophen Günther Patzig: «In dem Punkt bin ich Sozialist»

02.06.2002, 16:56

Halle/MZ. - Herr Professor Patzig, eine heitere Fragezum Beginn: Wir glauben alles zu wissen. Füroffene Fragen gibt es das Internet. Wozu brauchenwir dann noch Philosophie?

Patzig: (lacht) Wir wissen nichts.Wir haben vielleicht die Illusion, wir wüsstenalles. Aber im Grunde wissen wir längst nichtso viel, wie wir wissen müssten. Je mehr manvon einer Sache versteht, um so deutlicherstellt man fest, wie groß der Bereich dessenist, worüber man nicht Bescheid weiß. Ichhalte es hier mit Karl Popper, der sagt, wirkönnten überhaupt nie überzeugt sein, dasseine Meinung, die wir haben, sofern sie überTriviales hinausgeht, auch wahr ist.

Das einzige, was wir wirklich herausfindenkönnen, ist, dass etwas, das wir für wahrgehalten haben, falsch ist - durch Gegenbeweise.

Das setzt auf die Lust des Fragens. Aberes gibt doch auch ein Streben nach verlässlichenWahrheiten?

Patzig: Jede Art dogmatischer Festlegungauf irgendwelche Grundlagen ist gefährlicherals hilfreich. Je stärker die Menschen davonüberzeugt sind, dass das, was sie meinen,die Wahrheit ist, umso mehr neigen sie dazu,andere, die anderer Meinung sind, unter Druckzu setzen. Viel besser wäre zu sagen: Wirhaben viel gelernt, haben über viele Dingeklarere Vorstellungen, als sie die früherLebenden gehabt haben. Was wir haben, istdas Beste, das es zur Zeit gibt. Deshalb sindwir auch geradezu verpflichtet, nach den bestenverfügbaren Informationen zu handeln - wohlwissend, dass diese auch falsch sein können.Das gilt auch für die Philosophie, sie bestehtja geradezu darin, diese Einsicht hervorzubringen,eine ideologiefreie Reflexion auf Grundlagenunserer menschlichen Existenz in Gang zu halten.Wobei wir uns von den großen Philosophen,die vor uns gelebt haben, inspirieren lassen,sie dann aber auch kritisieren, wenn wir ihreArgumente nicht mehr überzeugend finden.

Sie haben sich immer sehr intensiv mitden Ursprüngen befasst.

Patzig: Als ich mit 18 Jahren ausder Gefangenschaft kam, glücklich dem Kriegentronnen, nachdem so viele meiner Freundeums Leben gekommen waren, hatte ich, bei allemAbscheu, den ich vor den Nazis empfand, dochSchwierigkeiten mich zurechtzufinden. Deshalbwollte ich zu den Anfängen zurück. Bei dengriechischen Philosophen kann man in gewisserWeise etwas finden, das verlässlich ist.

Sie wollen die Philosophie frei haltenvon Ideologie. Im Osten Deutschlands ist nachdem Krieg genau das Gegenteil passiert.

Patzig: Man hat es den klassischengriechischen Philosophen übel genommen, dasssie einer Sklavenhaltergesellschaft angehörtenund zum Teil versuchten, diese mit philosophischenArgumenten zu verteidigen. Aber dies ist natürlicheine einseitige Betrachtung. Das war bei denNazis übrigens auch schon so: Da wurde dieAntike wegen ihrer patriotisch-wehrhaftenArt geschätzt, nicht aber wegen ihrer humanistischenGedanken.

Wie haben Sie den Umstand, dass die politischgeteilte Welt auch unterschiedlich dachte,reflektiert?

Patzig: Es schien mir kein großesintellektuelles Problem zu sein. Es hat michnicht gewundert, dass Regierungen, die sichin den Besitz aller Kommunikationsmittel setzenund ihre politischen Auffassungen zu den alleinakzeptablen machen, auch Leute finden, dieaus Karrieregründen tun, was man von ihnenerwartet. Ich habe gelegentlich führende Vertreterder marxistischen Philosophie getroffen understaunliche Gespräche mit ihnen gehabt, indenen sie sich über Meinungsdruck und Mangelan Freiheit beklagten. Vielleicht war es aberauch so, dass sie Anweisung hatten, den Eindruckfreien Denkens zu vermitteln, wer weiß...(...)

Der Text wurde gekürzt. Die vollständige Fassung lesen Sie in der Druckausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 3. Mai 2002.