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Jan Delay auf Tour Herr Delay, machen Sie sich heute mehr Gedanken beim Texten?

Jan Delay kommt am 12. September nach Leipzig. Die MZ hat mit dem Sänger über das Schreiben von Hits, seinen Optimismus und Sensibilität in Liedern gesprochen.

Aktualisiert: 01.08.2024, 11:52
Jan Delay ist nicht nur als Solokünstler aktiv, sondern auch in der Hip-Hop-Combo "Beginner".
Jan Delay ist nicht nur als Solokünstler aktiv, sondern auch in der Hip-Hop-Combo "Beginner". (Foto: IMAGO/Future Image)

Jan Delay alias Jan Phillipp Eißfeldt navigiert seit einem Vierteljahrhundert souverän durch Hip-Hop, Funk, R’n’B und Reggae. Die GEMA ehrte den Hamburger als Deutschlands besten Pop-Texter. In seinen Songs rügt er die Macht großer Konzerne und moniert deutsche Verklemmtheiten. Nun erscheint das Doppelalbum „Forever Jan (25 Jahre Jan Delay)“ mit seinen größten Hits, Nebenprojekten und Raritäten. Mit dem engagierten Rapper sprach Olaf Neumann über den Rechtsruck, das Hit-Schreiben und seine Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg.

Herr Delay, „Forever Jan (25 Jahre Jan Delay)“ ist Ihr erster Karriereüberblick. Ein Best-of-Album markiert ja immer einen Wendepunkt. Ist damit eine bestimmte Phase abgeschlossen?

Jan Delay: Es ist eine romantische Vorstellung, dass ein Best-of-Album einen Wendepunkt markiert. Bei mir ist eher der Moment gekommen, wo die Plattenfirma sagt, wir veröffentlichen jetzt mal ein Best-of-Album. Die machen in Zeiten von Streaming eigentlich gar keinen Sinn mehr, aber ich bin einer der wenigen Künstler, der noch physische Tonträger verkauft. Ich habe total Bock darauf, dieses Album und die Tour abzufeiern, aber es ist kein Wendepunkt.

Auf dem Album sind auch zwei brandneue Songs. Ist es heute leichter, einen Hit zu schreiben, weil praktisch alles über eine Computerdatei läuft?

Jan Delay: Nö, überhaupt nicht. Die Technik erleichtert vieles, aber durch die Simplifizierung ist es für alle machbar geworden. Es kann heute nichts wirklich Eigenes mehr entstehen. Unter rudimentären Bedingungen haben sich früher riesengeile Sachen ergeben, die Grundlage für große Hits waren.

Im Prinzip kann man jetzt ins Studio gehen und der KI sagen: Ich will einen Vocal-Pop-House-Song in C-Dur auf 127 Bpm. Und dann macht sie dir solch einen Beat, und den kannst du dann ein bisschen verändern. Aber einen Hit hinzukriegen ist heute genauso schwer wie vor 50 oder 100 Jahren.

Was braucht ein Song, damit er richtig knallt?

Jan Delay: Das Allerwichtigste ist, dass das Ding auch bei einem oder einer Vierjährigen voll knallt. Dass er das Ganze kapiert, egal ob er die Sprache im Song spricht oder nicht. Der Groove, die Melodien und die Harmonien sind das A und O.

Ich mache Musik, die dafür da ist, dass jemand seinen Arsch bewegt.

Jan Delay

Wenn du den Vierjährigen im Sack hast, musst du von da aus hochgehen. Sprichst du so viele Altersgruppen wie möglich an, hast du einen potenziellen Hit. Solltest du ihn aber mit Kindermucke oder Schlumptechno im Sack haben, sind alle über vier genervt. Also wird es schwer mit dem Hit.

Ihre Tochter ist zehn. Fungiert Sie für Sie zuweilen als musikalische Beraterin?

Jan Delay: Ja, sie ist wirklich ein wichtiger Ratgeber, weil sie sich so entwickelt und verändert, dass ich manchmal baff bin. Sie denkt aber nicht, dass ihr Papa die tollste Musik überhaupt macht, sondern dass das sein Job ist. Sie interessiert sich für alles, was ich mache, hört aber natürlich ganz andere Musik.

Mit Ihrem großen Vorbild Udo Lindenberg nahmen Sie 2006 den Song „Im Arsch“ auf. War diese Single erfolgreich?

Jan Delay: Gemessen an anderen Singles auf gar keinen Fall, aber trotzdem war es für mich ein sehr wichtiger Song. Das Video ist wie ein Mafia-Epos und mein absoluter Favorit.

Hat Lindenberg ein Faible für unkonventionelle Arbeitsmethoden?

Jan Delay: Auf jeden Fall nicht tagsüber. Mit Udo kannst du tagsüber nichts machen. Der ist noch mehr Nachteule als ich.

Jan Delay ist seit Ende Juli mit der „Best of 25 Years – Die Tour“ unterwegs.
Jan Delay ist seit Ende Juli mit der „Best of 25 Years – Die Tour“ unterwegs.
(Foto: IMAGO/Future Image)

Wie kam es eigentlich zu dem düsteren Text von „Im Arsch“?

Jan Delay: Den habe ich Ende 2004 geschrieben. Das war zur Zeit der dritten Beginner-Platte „Blast Action Heroes“. Das erste Mal, dass eine deutsche Rap-Platte auf Platz eins ging. Das war cool, aber zeitgleich drohte die ganze Musikindustrie wegen Napster, Pirate Bay und CD-Brennerei zusammenzubrechen.

Unsere Firma Eimsbush ist damals insolvent gegangen. Und trotzdem hatte „Im Arsch“ einen positiven Kick: dass du genau daraus Kraft schöpfst, ganz neu anfängst und etwas Derberes machst. Und schon bald wurde klar, dass ich auf die richtige Karte gesetzt hatte.

Ist Kunst immer optimistisch?

Jan Delay: Kommt ganz darauf an, was man für Musik macht. Bei Blues ist das nicht wirklich berufserfordernd, bei Schlager wäre es schon nicht schlecht. Ich persönlich habe mich dazu entschieden, dass ich das auf jeden Fall will und brauche.

Klar, es gibt da draußen viel Scheiß, aber letztendlich will man auch dagegen etwas tun und was hilft es, schlecht drauf zu sein. Nee, ich mache Musik, die dafür da ist, dass jemand seinen Arsch bewegt. Man kann versuchen, trotzdem die anderen Dinge anzusprechen, aber so, dass es sich nicht über alles drüberlegt und die Songs pessimistisch klingen.

Sind Sie optimistisch, was die Gesellschaft als Ganzes angeht?

Jan Delay: Die Demos im Januar und Februar haben mir ein bisschen was von der Angst genommen und ein besseres Gefühl gegeben. Das zeigt mir, dass es sich lohnt, optimistisch zu sein.

Es ist auffällig, dass Bewegungen wie Kundgebungen für Demokratie oder der Klimaaktivismus keine Hymnen besitzen. Wieso läuft der Widerstand ohne Popmusik ab?

Jan Delay: Entweder fehlt es an dem richtigen Lied oder dem richtigen Künstler. Vielleicht ist es auch so schwierig, weil heutzutage so viele Dinge auf die Goldwaage gelegt werden. Du musst als Künstler tausendmal mehr aufpassen, was du sagst, als diejenigen, die deinen Song zu einer Hymne machen. Es ist alles so sensibel geworden.

Der Sänger mit Hut, Jan Delay, tritt am 6. September in der Max-Schmeling-Halle in Berlin auf.
Der Sänger mit Hut, Jan Delay, tritt am 6. September in der Max-Schmeling-Halle in Berlin auf.
(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Heutzutage wollen sich alle gegenseitig möglichst wenig weh tun. Wie denken Sie über die hypersensible, achtsame Debattenkultur der Gegenwart?

Jan Delay: Diese Kultur ist gerade auf der linken Seite zuhause, und das macht es oft schwierig, zusammen an einem Strang zu ziehen. Meistens ist es für langweiligere Kunst leichter, größeren Anklang zu finden, weil spannende Kunst oft irgendjemanden anpisst. Aber das war immer schon so.

Machen Sie sich beim Texten heute mehr Gedanken?

Jan Delay: Das alles hat meine Alarmglocken sicher noch einmal geschärft, aber ich finde es gut, dass ich mich verändere und Menschen Wörter, die verletzen, aus ihrem Sprachgebrauch streichen. Aber nicht aus Zwang, sondern, weil es eine gute Sache ist.

Bei dem Song „Türlich, türlich“ von Das Bo und mir zum Beispiel gab es anfangs die Zeile „Gucken spastisch aus der Wäsche wie gekaut und ausgepuckt“. Irgendwann wurde mir bewusst, „spastisch“ ist diffamierend. Seitdem sage ich lieber „dümmlich“.

Sie sind auf Best-of-Open-Air-Tour. Als erfolgreicher Künstler ist man ja die ganze Zeit umringt von Leuten, die applaudieren. Was macht das mit einem?

Jan Delay: Es gibt bestimmt auch Musiker, bei denen niemand applaudiert. Man muss sich das ja auch verdienen. Ich bin dafür sehr dankbar und hebe auch nicht ab, sondern ich analysiere den Applaus lieber. Meine Antennen sind fein justiert.

Ich bin eher der Typ, der hinhört, wie laut die Leute bei welchem Song klatschen, um zu merken, welche Titel wichtig sind, live gespielt zu werden und welche eher nicht. Nicht das Lied, bei dem die Leute am meisten springen, ist das Tollste, sondern es gibt auch viele andere Momente in der Musik.