Mitteldeutsches Institut für Psychoanalyse Mitteldeutsches Institut für Psychoanalyse: In den Landschaften der Seele
Halle/MZ. - Als am zwölften Mai vor 70 Jahren auf dem halleschen Universitätsplatz die Bücher brannten, flogen auch die Schriften Sigmund Freuds ins Feuer. Das Werk des Begründers der Psychoanalyse galt den Nazis als "seelenzerfasernd" und "triebbetont". Die Rückkehr der Psychoanalyse nach Mitteldeutschland blieb denn auch eine lange, von Kämpfen begleitete Geschichte. Erst Mitte der 70er Jahre etablierten sich die tiefenpsychologischen Seelenkundler neu. Namen wie Erdmuthe Fikentscher, Heinz Hennig und Hans-Joachim Maaz sind da zu nennen.
Dabei gibt es Linien, die hierzulande vor das Jahr 1933 zurückführen. In Halle referiert erstmals 1904 ein Psychiater über Freuds Methode. 1911 tagt ein prominent besetzter Kongress in Weimar, unter ihnen der Psychoanalytiker C. G. Jung und die Autorin Lou Andreas-Salomé. In Leipzig betreibt Therese Benedek eine Psychoanlytische Arbeitsgemeinschaft, bevor sie 1936 in Chicago Zuflucht finden muss.
Für Ulrich Bahrke, Oberarzt an der halleschen Universitätsklinik für Psychotherapie und -somatik, sind diese Linien ins Gestern Linien in die Gegenwart. Bahrke ist erster Vorsitzender des Mitteldeutschen Institutes für Psychoanalyse (MiP) in Halle, das vor zehn Jahren gegründet wurde. Das staatlich anerkannte Ausbildungsinstitut, das am Neuwerk 10 seinen Sitz hat, entstand nach der Wende als ein gemeinnütziger Verein, der Psychologen und Ärzten im Anschluss an ihr Studium eine Ausbildung zum Psychoanalytiker ermöglicht.
Der Bedarf Anfang der 90er Jahre war enorm. Inzwischen, sagt Ulrich Bahrke, habe sich die Nachfrage normalisiert, die der Patienten aber sei angewachsen. Bahrke geht es denn, wenn er in die Öffentlichkeit tritt, um etwas anderes. Darum, etwas von der psychoanalytischen Grundhaltung zu zeigen. Das nennt er: den unvoreingenommenen Blick auf den Anderen.
Was all das mit den landläufigen Begriffen von "Kultur" zu tun hat? Alles, erwidert Bahrke. Unabhängig davon, dass das Institut in einer Vortragsreihe öffentlich Kultur und Psychoanalyse ins Gespräch bringt, seien da Freuds alte Bedenken, die Methode allein in die Hände der Mediziner zu geben. Thomas Mann, Dali, Werfel, Arnold Zweig - allesamt Künstler, die Freud nicht zufällig sehr eng verbunden waren. Dabei sei Freuds Name nach außen hin längst zu einem stereotypen Etikett geworden, das die Wahrnehmung der Psychoanalyse mehr erschwert als erleichtert.
Was hat sich geändert? Inzwischen wurden nicht nur Freuds Entdeckungen vertieft, sondern vor allem seine Irrtümer berichtigt. Der Mensch, sagt Bahrke, ist eben nicht - wie noch Freud meinte - "primär narzisstisch" veranlagt, sondern von Anbeginn ein Beziehungswesen. Kunst ist eben nicht, wie noch Freud meinte, nur ein Resultat der "Sublimierung", also des Umlenkens von sexuellen Triebimpulsen, sondern Ausdruck eines Phantasieraumes, der Lebensmöglichkeiten erkundet. Freud meinte, man müsse nur die Tabu-Bereiche - damals Sexualität und Kindheit - aufrichtig zur Sprache bringen, dann stelle sich Gesundheit ein. Das sei zu simpel, sagt Bahrke.
Trotzdem erfreue sich dieses eine Klischee breiter Wirkung: Psychoanalyse sei eine Veranstaltung, in der nervenaufreibend Sexualität und Kindheit abgearbeitet werden. Das sei so, sagt Bahrke, als würde man denken, Physik beschäftige sich heute allein mit den Lehrsätzen Galileis. Unser Erleben aber sei viel weniger statisch und viel mehr durch gegenwärtige Affekte beeinflussbar, als dass es da eine gültige Objektivität geben könne.
Heute steht fest: Viele Patienten sind gar nicht so konfliktfähig, wie es Freuds Psychoanalyse noch vorausgesetzt hat. Bahrke interessieren die sogenannten Symbolisierungsprozesse, also die Fähigkeit, überhaupt erst Träume und Phantasien überhaupt erst entwickeln zu können - was nicht allen Menschen gegeben sei. Früher meinte der Analytiker, dass man die Konflikte der Patienten nur richtig verstehen müsse. Heute wissen wir, sagt Bahrke, dass psychische Erlebnisräume auch zu klein sein können, gestört durch Spaltungen aufgrund von Traumen. Diese Räume wiederherzustellen, sei das, was ihn an seiner Arbeit reize.
Steht Deuschland die Woody-Allen-Mode ins Haus, dass man seinen eigenen Analytiker hochhält wie ein Statussymbol? Nein, sagt Bahrke, das sei auch nur in Großstädten wie Chicago oder New York der Fall gewesen. Es gehe um anderes. Zu erkennen, dass wir Menschen uns selbst und andere oft so behandeln, wie wir selbst behandelt wurden. Anzuerkennen, am eigenen Leid mittätig zu sein, ist eine schmerzhafte Zumutung und dies zu ändern schwer. Leichter sei es, sich selbst als ein Opfer zu verstehen und Wiedergutmachung zu verlangen. Aus dieser Falle herauszutreten, das sei die Herausforderung.