Michael Triegel Michael Triegel: Bei Engeln und Gliederpuppen
LEIPZIG/MZ. - Der alte Herr blickt auf, als habe man ihn bei wichtiger Lektüre gestört: Das Blatt hält er noch in seiner Linken, die Rechte mit dem Fischerring ruht auf der geschnitzten Armlehne des Stuhles. Unter dem weißen Haarschopf verfolgen die Augen hellwach, aber auch misstrauisch die Bewegung des Betrachters. Und im rechten Mundwinkel gibt die Unterlippe den Blick auf einen Zahn frei ...
Es ist kein schmeichelhaftes Bild, das Michael Triegel im Auftrag der Diözese Regensburg von Papst Benedikt XVI. gemalt hat - und das nun den Schlusspunkt seiner Ausstellung "Verwandlung der Götter" im Leipziger Museum der Bildenden Künste setzt. Und dennoch scheint der gebürtige Erfurter vom Jahrgang 1968, der bei Arno Rink und Ulrich Hachulla studierte, für die Aufgabe prädestiniert.
Denn Triegels Kunst ist aus der Zeit gefallen, sie bietet einen auf die Spitze getriebenen Eklektizismus in der Nachfolge der alten Leipziger Meister Werner Tübke und Heinz Zander - eine aus christlicher Ikonografie und antiker Mythologie komponierte Bildwelt, deren Renaissance-Pose sich lediglich durch die technische Beschreibung "Mischtechnik auf MDF-Platte" entzaubert. Michael Triegel hat seinen Ovid so gründlich gelesen wie seine Bibel, er hat das Symbollexikon und das lateinische Wörterbuch stets griffbereit - und bastelt sich mit diesen Zutaten ein Universum, das in eine zeitlich wie geistlich nebulöse Ferne weist.
Beredtes Beispiel dafür ist "Der Bote" am Eingang der Schau. Die Geschichte von Mariä Verkündigung wird aus so vielen Komponenten montiert, das sie ihren eigentlichen Gehalt einbüßt: Der Engel ist ein nackter antiker Kopfflügler, die künftige Muttergottes eine züchtig verschleierte Künstlerpuppe - und über ihrem Haupt schwebt bereits das ungeborene Kind. Dass die sexualisierte Erscheinung des Engels und der biologisch korrekte Uterus dem Glaubensinhalt der unbefleckten Empfängnis widerspricht, ist ebenso offensichtlich wie die Skepsis gegenüber der Marienfigur. Triegel malt atheistische Konfessionen, er ersetzt religiöse Konsequenz durch esoterische Unverbindlichkeit.
Das passt in eine Gegenwart, die Spaß am spekulativen Spiel findet. Verblüffend aber bleibt die Bereitschaft der katholischen Kirche, sich auf diese Attitüde einzulassen: Einige der 70 Gemälde stammen aus dem Museum am Dom der Diözese Würzburg, neben dem deutschen Papst hat auch die inzwischen verstorbene Äbtissin Assumpta Schenkl aus dem Kloster Helfta bei Eisleben Triegel Modell gesessen. Und inzwischen hat der Maler, der seine Bilder als "Sehnsucht nach dem Wunderbaren" verstanden wissen will, den vierten Altar-Auftrag in Arbeit - womit er sich erneut der "edelsten Aufgabe der Kunst" stellt.
Aber kann man mit Triegels Bildern wirklich "Per visibilia ad invisibilia" (Über das Sichtbare zum Unsichtbaren) vordringen, wie es das Paulus-Zitat auf einem seiner manieristischen Selbstporträts behauptet? Seltsamerweise öffnen die klassischen Stillleben, die der Leipziger in einem Triptychon zu den vier Elementen oder in einer Serie zu den fünf Sinnen allegorisiert, weitere Gedankenräume als seine überfrachteten Passionsbilder oder sein olympisches Patchwork. Am spannendsten aber sind Triegels Bilder dort, wo ein Detail beiläufig den hohen Ton ironisiert.
So zeigt ein in schwarz-weißer Grisaille-Technik gemaltes und mit der vom Barockdichter Paul Fleming entliehenen Gedichtzeile "O Heiland, mach mich frei" betiteltes Bild neben gefalteten Händen über einem Totenkopf auch eine Kerze - als handelsübliches Teelicht im Aluminiummantel. Auf dem "Ostertraum" entdeckt man neben der Reproduktion einer Karfreitags-Ikone ein hingekritzeltes Kinderbild des Auferstandenen. Und in einem Selbstporträt windet sich die Zeichung einer Wendeltreppe als DNA-Doppelhelix nach oben - Symbol der Evolutions-Erkenntnis als Gegenmodell zu einer geglaubten Schöpfung. Hier schafft Triegel tatsächlich Spannungsfelder, die das Denken herausfordern, anstatt den Uneingeweihten von vornherein auszuschließen.
Manche der Bilder emanzipieren sich auch von ihren hochmögenden Bedeutungen, wenn man sie betrachtet, ohne einen Blick auf ihren Titel zu riskieren. So zeigt ein schlafender Frauenakt, an den sich eine jener bei Triegel omnipräsenten Gliederpuppen schmiegt, eine intime Begegnung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen - auch ohne dass man den Verweis auf den eigentlich gemeinten Mythos der Ariadne versteht.
Insgesamt aber bleibt der fade Beigeschmack, dass man hier einem virtuosen Handwerker bei raffinierter Täuschung zuschaut. Michael Triegel ist ein intellektuelles Chamäleon, das sich hinter Zitaten der Kunstgeschichte verbirgt. Eine eindeutige Haltung, ein eigenes Bekenntnis sucht man in seinen Bildern vergeblich. Das aber wäre nur dann legitim, wenn er mit seinen surrealistisch überhöhten Arbeiten nicht permanent auf den Glauben der Anderen verweisen würde.
Ausstellung bis zum 6. Februar, Di, Do-So 10-18, Mi 12-20 Uhr