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Michael Haneke Michael Haneke: «Verfall im Alter betrifft jeden»

17.09.2012, 17:25

Halle (Saale)/MZ. - Der 1942 in München geborene Österreicher Michael Haneke gehört zu den spannendsten Filmregisseuren der Gegenwart. Mehrfach war er mit seinen Filmen im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes vertreten und zuletzt zweimal die "Goldene Palme" gewann, 2009 mit "Das weiße Band" und im Mai diesen Jahres mit "Amour", der jetzt unter dem Titel "Liebe" ins Kino kommt. Mit Michael Haneke sprach Rüdiger Suchsland.

Herr Haneke, es gehört zur Qualität Ihrer Filme, dass es in ihnen wenig Zufälle gibt. Warum heißen die Hauptfiguren Ihrer Filme eigentlich immer Georges und Anne?

Haneke: Weil ich keine Fantasie habe (lacht). Das bleibt mein Geheimnis. Ich glaube schon, dass meine Filme immer auch eine über den puren Realismus hinausgehende Dimension ansprechen.

Warum haben Sie jetzt diesen intimen Film über die letzte Lebensphase eines alten Paares gemacht? Gibt es dafür konkrete Auslöser?

Haneke: Ich schreibe keinen Film, um etwas Bestimmtes zu beweisen.Wie fast jeder heutzutage, war natürlich auch ich in meiner Familie mit dem Leiden von jemandem konfrontiert, dem ich hilflos zusehen musste. Das war eine sehr schmerzvolle Erfahrung, die mich dazu gebracht hat, mich damit filmisch auseinanderzusetzen.

Alt wird jeder, der Verfall im Alter ist ein Thema, das wirklich jeden einmal betrifft. Und trotzdem verbannt die Gesellschaft alles, das mit "alt" zu tun hat aus dem Gesichtskreis. Darum muss sich Kunst kümmern.

Das Appartment, in dem der Film spielt, entspricht exakt dem Grundriss der Wohnung ihrer Eltern in Wien. Diese Wohnung ist enorm präsent, wird fast zu einem Mitspieler. Bitte erzählen Sie etwas mehr über diese Wohnung.

Haneke: Weil es mir beim Schreiben leichter fällt, einen konkreten Ort vor Augen zu haben, wollte ich eine Wohnung nehmen, die ich gut kenne. Was aber nicht bedeutet, dass die Geschichte irgendetwas mit meinen Eltern zu tun hat. Die bekannte Geografie half mir beim Erfinden der Details, die hier besonders wichtig sind. Dadurch fallen mir bestimmte Dinge ein.

Hatten Sie beide Hauptdarsteller von Anfang an im Kopf?

Haneke: Ich habe das Buch für Jean-Louis Trintignant geschrieben. Ohne ihn hätte ich diesen Film nicht gemacht. Genauso wie "Caché" damals für Daniel Auteuil oder "Die Klavierspielerin" für Isabelle Huppert. Das ist immer am besten, weil man dann speziell für die Vorteile des jeweiligen Schauspielers schreiben und diese besonders herausarbeiten kann. Für die Figur von Jean-Louis ist es ja ganz wichtig, dass er diese menschliche Wärme verstrahlt, und ich kenne kaum einen Schauspieler, der das in diesem Maße tut.

Ihr Stiefvater war Dirigent. Beide Hauptfiguren im Film sind Musiker - welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Kino?

Haneke: Ich habe drei Lieblingskomponisten - Bach, Mozart und Schubert. Das ist das musikalische Universum, in dem ich mich bewege, ihre Musik kommt in meinen Filmen immer wieder vor.

Schubert zum Beispiel hat ja wunderschöne, sehr traurige Musik geschrieben, und das passte dementsprechend hervorragend. Der Bach-Choral "Ich ruf zu dir Herr Jesu Christ" ist natürlich schon kein Zufall.

Georges hört den Choral und bricht ihn ab...

Haneke: Richtig.

Spielt Musik in diesem Fall dieselbe Rolle wie Religion?

Haneke: Wenn Sie es so lesen wollen...

Glauben Ihre Figuren an etwas?

Haneke: Das weiß ich nicht. Ob Georges religiös ist oder nicht, weiß ich gar nicht genau. Aber, ja, der Bach-Choral ist bestimmt interpretierbar als ein Gebet. Ein Gebet, das er abbricht.

Warum spielt der typische Haneke-Film im Bürgertum?

Haneke: Weil ich selbst daher komme und dieses Milieu am besten kenne. In diesem Film allerdings war es auch eine bewusste Entscheidung: Spielte der Film in einer Familie mit wenig Geld, würden manche vielleicht sagen: "Hätten die mehr, wäre das Problem nicht so groß." Diese Pseudo-Erklärungen wollte ich sofort eliminieren. Es ist egal, ob sie stinkreich sind oder mausarm, das Problem bleibt das gleiche.

Was bedeutet Liebe für Sie?

Haneke: Es ist ein Unsinn, solche Dinge definieren zu wollen, da kann man nur scheitern. Alle großen Themen lassen sich leider nicht definieren.

Die Idee für den Filmtitel stammt übrigens von Jean-Louis Trintignant. Er meinte nach Lesen des Drehbuchs, die Geschichte sei so voller Liebe, warum der Film nicht gleich diesen Titel trage. Damit war eine lange Suche erfolgreich beendet.

Sie haben erst 2009 mit "Das weiße Band" in Cannes die Goldene Palme gewonnen, jetzt bekamen Sie für "Amour" die zweite Goldene Palme. Wie wichtig sind Ihnen solche Auszeichnungen?

Haneke: Es wäre gelogen, zu behaupten, Preise sind mir wurscht. Natürlich ist es angenehm, wenn die Leute etwas gut finden, man arbeitet ja auch für die Anerkennung. Sonst könnte man ja zu Hause bleiben und nichts tun. Sie sind wichtig, denn der Erfolg eines Films bestimmt immer die Arbeitsbedingungen des nächsten.