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Maler und "Arschlöcher" Maler und "Arschlöcher": Georg Baselitz trägt sich ins Goldene Buch von Chemnitz ein

Von Andreas Montag 18.04.2018, 08:00
Georg Baselitz steht  in den Kunstsammlungen Chemnitz vor seinem Werk „Paint Painter“ aus dem Jahr 2007. 
Georg Baselitz steht  in den Kunstsammlungen Chemnitz vor seinem Werk „Paint Painter“ aus dem Jahr 2007.  dpa/Sebastian Willnow

Chemnitz - „Herr Baselitz macht es nicht immer allen leicht“, sagt Barbara Ludwig. „Aber Herr Baselitz hat es auch nicht immer leicht gehabt“, fügt die Chemnitzer Oberbürgermeisterin im gleichen Atemzug hinzu.

Bloß keine Luft heran lassen, die das Feuerchen zum richtigen Brand entfachen könnte. Und das an diesem Tag! Das Goldene Buch der Stadt, die sich mit dem selbst verliehenen Titel „Stadt der Moderne“ schmückt, ist eigens in die Kunstsammlungen am Theaterplatz getragen worden, damit der Malerstar Georg Baselitz sich darin verewigen kann. Nun ist auch der Chemnitzer Olymp erreicht, was beiden, der Stadt wie dem Künstler, zur Freude gereicht.

Da will man natürlich keinen Tumult im Saale haben. Der hätte schon entstehen können, als unmittelbar vor der großen Bescherung die Chemnitzer Künstlerin Dagmar Ranft-Schinke an das Baselitzsche Diktum von den Ost-Künstlern erinnert, die „Arschlöchern“ seien, weil sie in der DDR geblieben sind.

Willi Sitte ist auch dabei

Er wolle das, was er gegen Ende der DDR so nicht gesagt habe, noch einmal richtigstellen, sagt Baselitz. Nicht alle Ost-Künstler habe er gemeint, sondern vier Nationalpreisträger, die ihn und andere aus dem Land verjagt hätten. Eine große Überraschung sind die Namen nicht: Neben Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke ist auch der umstrittene Wahl-Hallenser Willi Sitte mit von der Partie.
Tumult gibt es keinen, dafür ist man in Chemnitz zu freundlich. Aber es grummelt schon vernehmlich im Publikum, schließlich hat man Werke der genannten Künstler auch vor Ort schon gezeigt. Mattheuer zumal, der dort früher gewürdigt worden ist als in seiner Heimatstadt Leipzig. Alle vier aber sind inzwischen verstorben und müssen den Titel „Arschloch“ posthum tragen.

Die beiden Sätze der SPD-Politikerin Ludwig (Jahrgang 1962) über das Leicht-Machen und Leicht-Haben, mit denen sie die Wogen glättet, bevor sie noch entstehen können, verraten Kenntnisse in Dialektik. Die hat seinerzeit schon die Polytechnische Oberschule angeboten. Baselitz, der Geehrte, der ja auch aus dem Osten stammt, wird sie ebenfalls mitbekommen haben.

Was aus Barbara Ludwigs Mund ein wenig nach Gemeinplatz klingt, hat wohl vor allem mit Lebenserfahrung zu tun. Der protestierenden Dagmar Ranft-Schinke, immerhin Mitbegründerin der in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) 1977 gegründeten, hoch angesehenen freien Künstler- und Produzentengruppe „Clara Mosch“, wird mit bestimmender Höflichkeit Ruhe verordnet: „Ich schätze Sie“, sagt die Stadtobere eher kühl als herzlich. Dies aber sei jedenfalls weder die Zeit noch der Ort für eine solche politische Debatte.

Und so wird der Frieden gerettet, auch wenn die Wunden, die einst der Klassenkampf schlug, allenfalls oberflächlich vernarbt sind. Vor allem bei Künstlern und Schriftstellern. Was auch kein Wunder ist, denn ordentlich versorgt wurden die Blessuren nicht. Und ein offenes Gespräch hat praktisch nicht stattgefunden. Nun, da viele der Betroffenen schon tot und die Verbliebenen alt sind, schmecken die späten Siege bei nachgeholten Heimspielen eher schal. Den mehr als selbstbewussten Baselitz, der endgültig berühmt wurde, als er seine Bilder auf den Kopf stellte, wird das nicht anfechten.

Verpasste Chancen

Viele Chancen sind während und nach der deutsch-deutschen Sturzgeburt von 1990 verpasst worden. Und wenn man nun einen „Vertriebenen“ wie Baselitz heimholt, wäre in der Tat auch über die Bedingungen seiner Vertreibung zu reden. Aber wer will das jetzt noch hören? Sitte, Tübke & Co. sind tot. Baselitz hat gewonnen.

Den meisten der Jüngeren sind die Schlachten von vorgestern sowieso schnurzegal. Das Durchschnittsalter im Chemnitzer Saal dürfte bei 60 plus gelegen haben. Und gerade ältere Ossis ballen gern die Fäustchen in der Tasche, wie sie es gelernt haben. Im Übrigen: Es gibt nicht nur die Lutz Bachmanns dieser Welt. Es gibt auch eine intellektuelle Form von Pegida, die sich nicht souveräner gebärdet als die pöbelnde.

Natürlich soll Eines nicht vergessen werden: Es ist wunderbar, dass Chemnitz und der bekennende Sachse Baselitz, der 1938 als Hans-Georg Bruno Kern in Deutschbaselitz (heute zu Kamenz gehörig) zueinander gefunden haben. Baselitz hat der Stadt etwas geschenkt, Chemnitz hat etwas gekauft von ihm - ein Deal zum beiderseitigen Vorteil, eingefädelt von der scheidenden Kunstsammlungs-Chefin Ingrid Mössinger. Die Chemnitzer werden Staat mit ihrem Baselitz machen. Die sonst allgegenwärtige Gefahr, dass honorige Werke im Depot zur Ruhe gebettet werden, ist hier wohl kaum gegeben. Das ist immerhin schön.  (mz)

Ausstellung bis zum 8. Juli, Chemnitz, Theaterplatz 1, Di-So sowie feiertags 11-18 Uhr; Eintritt: 7, ermäßigt 5 Euro