Literatur Literatur: Zum 50. Todestag viel Lob für Thomas Mann und sein Werk

Lübeck/dpa. - Reich-Ranicki bekam Szenenapplaus, bevor er auch nur ein Wortgesprochen hatte. Beifall brandete auf, als der wegen seinerScharfzüngigkeit gefürchtete 85-Jährige mit Hilfe des Leiters desBuddenbrookhauses, Hans Wißkirchen, seinen Platz am Mikrofon einnahm.«Das habe ich mir nie träumen lassen, dass ich in der LübeckerMarienkirche, in der Thomas Mann getauft und konfirmiert wurde, überihn aus Anlass seines 50. Todestags werde sprechen dürfen», sagteReich-Ranicki. Er rede als einer jener Leser, die in den BüchernManns ihre Not, ihr Elend und auch ihr Glück wiedergefunden hätten.
«Seit ich als Halbwüchsiger 'Tonio Kröger' gelesen habe, bewundereich Thomas Mann. Seit ich sah und erkannte, dass er mit seinerExistenz wie einst Goethe den Begriff Deutschtum neu definierte,verehre ich ihn wie keinen anderen Autor des 20. Jahrhunderts, javielleicht wie keinen anderen seit 1832», sagte Reich-Ranicki weiter.
Munter plauderte der Literaturkritiker über Thomas MannsTagebücher, die «im Grunde keinen literarischen Wert» hätten, aberdas «Selbstporträt eines von Unsicherheit und Furcht gequältenNeurotikers und Hypochonders» zeigten. «Er hatte die Kraft, den Mutund die Größe, die von ihm selber entworfene Legende seiner Existenzrücksichtlos zu demontieren, sich vor unser aller Augen zuentblößen», erklärte der 85-Jährige. Nach einer Welle der Kritik inden 70er Jahren sei jetzt eine Thomas-Mann-Renaissance zu beobachten,mit steigenden Verkaufszahlen seiner Bücher und einer Wiedergeburtdes Erzählens in der Literatur, resümierte Reich-Ranicki. Schließlichsei es Heinrich Breloers Fernsehfilm gewesen, der einemMillionenpublikum bewusst gemacht habe, dass die Geschichte derFamilie Mann ein Lehrstück für Deutsche sei.
Auch Bundespräsident Horst Köhler lobte den Breloer-Film alsbeispielhaften Weg der Kulturvermittlung. Mit zehn Minuten Verspätungwaren er und seine Ehefrau am Nachmittag im Lübecker Buddenbrookhauseingetroffen. Im Schnelldurchgang besichtigte Köhler gemeinsam mitReich-Ranicki die dort gezeigte Ausstellung über die Familie Mann.
Von deutscher Kultur zu sprechen sei weder provinziell nochnationalistisch, sagte Köhler. Kultur gehöre zur Identitätsfindung:«Wer wir sind, wissen wir nur dann, wenn wir wissen, woher wirkommen». Gerade bei Thomas Mann sei so unendlich viel darüber zulernen, was eigentlich deutsche Kultur bedeute - aber auch, welchefatalen Irrwege möglich waren und seien, sagte der Bundespräsident.Thomas Mann habe der Welt ein Universum hinterlassen, dasseinesgleichen suche, sagte Köhler in seiner Ansprache in St. Marien.
Mit der Veranstaltung in St. Marien ging eine Festwoche zum 50.Todestag Thomas Manns in Lübeck zu Ende. Auftakt war vor einer Wochedie Verleihung des Thomas-Mann-Preises an den Schriftsteller WalterKempowski. Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und setzte seinerHeimatstadt mit dem Roman «Buddenbrooks» ein literarisches Denkmal.Erst drei Monate vor seinem Tod verlieh ihm die Hansestadt dieEhrenbürgerwürde.
Zu den Werken des Literatur-Nobelpreisträgers zählen unter anderem«Der Zauberberg», «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» und«Der Tod in Venedig». Mann starb am 12. August 1955 in der Schweiz.
