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Klassiker-Kopie Klassiker-Kopie: Schillers Schreibtisch reist nach Buchenwald

Von Christian Eger 20.04.2005, 17:31

Halle/MZ. - Bestes Apfelbaumholz

Friedrich Schiller verfügte als ein Erfolgsdichter bereits seinerseits über sehr viel Aura. Dinge, die er anfasste, wurden sozusagen auratisch vervielfacht. Sein Weimarer Schreibtisch zum Beispiel: "Apfelbaumholz, furniert. Klassizismus", wie es im Katalog des Hauses heißt. Eine gefeierte Großreliquie, gebaut um 1780. Sieben Schubfächer: drei links, drei rechts, eines in der Mitte. Goethe hatte einst eine dieser Schubläden aufgezogen: "Als ich sie öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen, daß sie voller Äpfel war. Ich trat sogleich an ein Fenster und schöpfte frische Luft". Dass Schiller solcherart Duft-Drogen benötigte, macht seinen Tisch zusätzlich merkwürdig - nicht nur die Schriften, die er auf diesem verfasste.

Der Kölner Erzähler Dieter Kühn hat nun die Geschichte des Weimarer Schreibtisches aufgeschrieben - von allem Anfang an. Ihre Pointe findet die Recherche während des letzten Drittels des Dritten Reiches. Am 17. Februar 1942 wurde in Weimar beschlossen, "Möbel, Gegenstände usw. aus dem Schillerhaus" als Duplikate "anfertigen" zu lassen, für den Fall, dass die Originale während eines Luftangriffes zerstört werden könnten. Man wollte Schillers Haus zur Erbauung der Volksgenossen möglichst lange offen halten, wennauch mit Kopien nach Originalen.

Nicht dieser Wunsch ist spektakulär, sondern die Adresse seiner Verwirklichung: die 1940 von der SS gegründeten Deutschen Ausrüstungswerke (DAW), Filiale Konzentrationslager Buchenwald. Dorthin wurden am 14. Mai 1942 Schillers Schreibtisch, Spinett und Bett, ein Lehnstuhl und Stuhl mit "Lederbezug" geliefert. Knapp anderthalb Jahre später wurde der neue Tisch geliefert - mit dem Original, das ja als Vorlage diente. "Schillers Schreibtisch in Buchenwald" heißt Kühns Buch (S. Fischer, 256 S., 18,90 Euro), es hätte auch Schiller in Buchenwald heißen können.

Goethe ist kein Nazi

Kühn recherchierte, wo Schillers Originaltisch im Lager gestanden hat: Nämlich zwischen Erschießungsplatz, Massenlatrine, Krematorium und Hinrichtungskeller - dort befand sich die Tischlerei-Baracke. Sogar den Namen des Tischlers ermittelt der Autor. Willy Werth, Jahrgang 1913, ein Mann mit niedriger Häftlingsnummer, der also zu Jenen gehörte, die das Lager vom Juli 1937 an errichtet hatten. Werth war wegen wiederholten Diebstahls verurteilt und nach der Strafverbüßung sofort (und wie damals üblich ohne Nennung von Gründen) erneut verhaftet worden; er starb im Jahr 1987.

Schillers und nicht Goethes Möbel erhielten Zweitausgaben. Die Nazis konnten mit Goethe wenig anfangen. Goebbels 1944 im Tagebuch: "Goethe ein krasser Egoist", Schiller hingegen "Revolutionär, Idealist und Phantast" - Hitler sehe das genau so. Bereits 1932 hatte Hans Fabricius die Schrift "Schiller als Kampfgenosse Hitlers" vorgelegt, die Kapitel trugen Überschriften wie "Sozialismus und Führertum (Die Räuber)" und "Volksstaat und Führerehrgeiz (Fiesko)". Dass sich Hitler 1943 gezwungen sah, den "Tell" zu verbieten (Tyrannenmord!), fiel diesem schwer. Er klagte: "Ausgerechnet Schiller musste diesen Schweizer Heckenschützen verherrlichen". Die falschen Schiller-Möbel wanderten 1946 unter das Dach des Weimarer Rathauses. Sie sollen für Klassikeraufführungen des Deutschen Nationaltheaters verliehen worden sein.

Heute steht Schillers KZ-Tisch in einem Depot im ehemaligen NS-Casino am Ettersberg. Im Augenschein etwas gepflegter, im Detail aber nicht so differenziert gearbeitet wie das Original, schreibt Kühn. Ein Klon, dessen stumpfe Aura die des Lagers, nicht die des Dichters ist. Dass die Kopie aus dem KZ vor der Stadtgrenze versteckt wird, das allerdings ist echtes Weimar.