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Kinostart: 26. Februar Kinostart: 26. Februar: «Der Vorleser»

Von Peter Claus 19.02.2009, 18:33
Michael Berg (David Kross) liest Hanna Schmitz (Kate Winslet) in einer Szene von «Der Vorleser» im Bett vor. In der Verfilmung des Weltbestsellers von Bernhard Schlink verliebt sich ein 15 jähriger in eine deutlich ältere Frau und findet nach ihrem Verschwinden heraus, dass sie KZ-Aufseherin war. (FOTO: DPA)
Michael Berg (David Kross) liest Hanna Schmitz (Kate Winslet) in einer Szene von «Der Vorleser» im Bett vor. In der Verfilmung des Weltbestsellers von Bernhard Schlink verliebt sich ein 15 jähriger in eine deutlich ältere Frau und findet nach ihrem Verschwinden heraus, dass sie KZ-Aufseherin war. (FOTO: DPA) Senator Film

Hamburg/dpa. - Noch stärker als das Buch dürfte derFilm eine Debatte über die Frage anstoßen, wie freizügig Kunst mitden Schrecken des deutschen Faschismus und deren Folgen umgehen kann.

Der Roman über die in den 1950er Jahren angesiedelte Liebe einesJungen zu einer Analphabetin, von der schließlich bekannt wird, dasssie KZ-Aufseherin war, erschien 1995 in Deutschland und 1997 in denUSA. Das Echo war zunächst weitgehend positiv. Zahlreiche Preise undder Spitzenplatz auf der Bestseller-Liste der «New York Times»festigten den Erfolg des Buches, das inzwischen in 39 Sprachenübersetzt wurde.

Erst relativ spät, im Jahr 2002, wurde heftige Kritik am Roman desJuristen und Rechtsphilosophen Schlink laut. So polemisiertebeispielsweise der britische Schriftsteller und Sprachgelehrte JeremyAdler, Professor für Deutsche Sprache am King's College London, mitBegriffen wie «sentimentale Geschichtsfälschung» und«Kulturpornographie» gegen das Buch.

Durch die am 10. Dezember schon in den USA und im Januar bereitsin mehreren europäischen Ländern angelaufene Literaturverfilmungkönnte die Debatte erneut aufflammen. Denn mit dem üppigen Einsatzgefühliger Musik und einem süßlichen Erzählton provoziert der Film innoch sehr viel stärkerem Maß als die literarische Vorlage die Frage,wie weit Einzelne, die in den Jahren 1933 bis 1945 an dermillionenfachen Ermordung von Menschen durch die Nazis beteiligtwaren, mit durchschnittlichen Maßstäben beurteilt werden können.

Zweifellos: Drehbuchautor David Hare und Regisseur Stephen Daldry,die vor sieben Jahren mit «The Hours» einen Welterfolg hatten, bietenstilistisch reifes Kino. Die in Rückblenden erzählte Geschichte dersexuellen Erweckung des halbwüchsigen Michael Berg (David Kross, imAlter gespielt von Ralph Fiennes) durch die wesentlich ältereStraßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) ist zunächsterst einmal spannend. Diese Spannung resultiert vor allem aus demexzellenten Spiel des deutschen Jungschauspielers Kross und derbritischen Charakterschauspielerin Winslet, die dafür bereits einenGolden Globe und eine «Oscar»-Nominierung erhielt.

Problematisch wird es, wenn der Film in der zweiten Hälfte dieVergangenheit Hannas als KZ-Aufseherin ins Zentrum rückt. Diesgeschieht durch die ausführliche Darstellung desKriegsverbrecherprozesses gegen sie aus der Sicht des Jungen, derinzwischen Jura studiert und zufällig als Zuschauer die Verhandlungenvor Gericht verfolgt. Hanna wird hier nur als Opfer gezeigt,zusätzlich dadurch ins Abseits gedrängt, dass sie weder lesen nochschreiben kann und nicht den Mut hat, dies öffentlich auszusprechen.Hier operiert der Film in Bild und Ton mit derart vielSentimentalität, die der Roman nicht ausstrahlt, so dass dieBehandlung des Themas «Schuld in der Nazidiktatur» zweifelhaft undoberflächlich wirkt.

Wenn dann schließlich in langen Sequenzen gezeigt wird, wie Hannaim Gefängnis lesen und schreiben lernt und sich schließlich, durchdie Kraft der Literatur, so wird es suggeriert, geläutert, Suizidverübt, verliert der Film die Hauptfigur und deren im Buchwesentlichen Konflikt völlig aus den Augen: Bei Schlink geht esnämlich insbesondere darum, wie weit sich der Junge durch seinSchweigen während des Prozesses und durch seine Hinwendung zu Hannamitschuldig macht an dem Grauen, dass Deutschland in der Zeit desFaschismus über die Welt gebracht hat. Der Roman fragt, welcheVerantwortung die Kinder und Enkel der Täter- Generation haben? DerFilm stellt diese Frage nicht, sondern bietet Schluchzen und Tränen,untermalt von aufwühlender Musik.

Das tatsächlich Aufregende an der Geschichte verdeckt der Filmdurch seine kitschige Art und, so widersprüchlich das klingt, durchKate Winslets grandioses Spiel: Die Schuld von Menschen, die sichnicht zu eigenständigem Handeln aufraffen können und damit dieGrundlage von Menschlichkeit verraten, sondern schweigend mit demStrom mitschwimmen. Insofern wurde hier die Chance für einen wirklichaufrüttelnden Spielfilm über ein wichtiges Thema vertan.