Kantig und karg: «Der Schimmelreiter» in Hamburg
Hamburg/dpa. - Die gespenstische, im Nordfriesland des 18. Jahrhunderts angesiedelte Geschichte von menschlicher Anmaßung gegenüber Natur, Nächsten und Gott hatte der Dichter aus Husum kurz vor seinem Tod 1888 verfasst. Eine eher karge und kantige, oft betont statische, dabei in sich stimmige Bühnenversion schufen nun Dramaturg John von Düffel und Regisseurin Jorinde Dröse am Hamburger Thalia-Theater. Das Premierenpublikum begeisterte sich auch dafür: Die Urheber und ihre neun Akteure samt Ole Lagerpusch als Hauke Haien erhielten starken Beifall und viele Bravo-Rufe.
Bereits das Bühnenbild von Susanne Schuboth bietet kein wildes Nordsee-Szenario: Hier liegt ein abstrakter, schwarzer, nach hinten offener Raum unter Wasser. Die Menschen gehen und stehen auf Bretterwegen - wenn sie nicht gerade ins Nass fallen oder wie der alte Deichgraf (Helmut Mooshammer) darin senil-infantil in einem Papierschiff herumschwimmen. Auch eine Mauer gibt es, auf die setzt sich das Paar Hauke und Elke, wenn es an Boden zu verlieren droht. Autor Düffel verzichtete auf beide Rahmenhandlungen, strich und ging kreativ mit der Sprache um: Das Problem der vielen Beschreibungen im Prosawerk löst er, indem er solche Stellen in Monologe verwandelt. Außerdem leistet er sich Neuerungen wie «Haste 'mal 'ne Kippe?» - «Nee.»
Dafür folgt Düffel dem Original in dessen bis heute bedeutsamen Kernthemen: Vereinsamung eines Selbstgerechten, Tumbheit der Gemeinschaft, kurzsichtiger Umgang mit der Natur - und eine spröde Liebe. Der junge Lagerpusch gibt den Techniker, der einen neuen Deich entwickelt und wie besessen für dessen Bau kämpft, als unreifen, ungestümen Mann, der sich in die Hybris, schlimmste aller Todsünden, hineinsteigert: Er reißt die Arme in die Luft, wenn er an den «Hauke-Haien-Koog» denkt - «Mein Werk. Das achte Weltwunder.» Seine Lebensliebe stellt eine abgehackt sprechende Paula Dombrowski als scheinbar verschlossen, fast zickig dar: Und doch ist ihre Elke die Stärkere in dieser innigen Beziehung, alle wesentlichen Impulse gehen von ihr aus.
Die abergläubischen Dörfler, gekleidet in altbackene Arbeitskleidung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, verkörpern Tradition und Trägheit des Menschengeschlechts. Sie widersetzen sich rationalen Argumenten, tratschen und intrigieren gegen den tatendurstigen Hauke. Ihre Hartleibigkeit und ihren Neid zeigt die 31-jährige Dröse in herben, einfachen Bildern, aber auch mit Improvisationslust und schrägem Humor: Setzen sich die Darsteller etwa plötzlich nebeneinander auf umgedrehte Plastikeimer und zünden sich eine Zigarette an, heißt das, dass sie sich jetzt im Dorfkrug befinden. Die extrem lakonischen Dialoge, die diese Friesen dann miteinander führen, erinnern manchmal gar an die Werbung für ein Bier aus Deutschlands Norden.
Bühnenregen prasselt, wenn bei Düffel und Dröse die Geschichte auf den katastrophalen Deichbruch zutreibt, durch den sich Hauke endlich zum sozialen Wesen läutert: «Herrgott, nimm' mich, verschon' die andern.» Die rund einhundert Minuten kurze Theater-Fassung vermittelt konzentriert Storms Warnung vor der Selbstüberhebung des modernen «Machers». An Intensität und Facettenreichtum der auch mehrfach verfilmten und am Theater gezeigten Novelle ragt sie dennoch nicht heran. So bedeutet die Reduktion der Übernatürlichen - das Wiedergängermotiv etwa taucht nicht auf - auch Verlust an unter die Haut gehender Spiegelung von Schuld und Sühne.
Mit Erfolg wagte das Thalia-Theater jüngst immer wieder Versionen von Erzählwerken: 2005 schrieb Düffel ein «Buddenbrooks»-Stück und Dröse inszenierte «Effi Briest».