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Jutta Resch-Treuwerth Jutta Resch-Treuwerth: Liebe kennt kein Alter

Von ANDREAS MONTAG 15.04.2011, 18:16

Halle (Saale)/MZ. - Die Autorin, selbst vom Jahrgang 1942, ist der Generation ihrer früheren Leserinnen und Leser treu geblieben. Wer seinerzeit in jüngeren Jahren ungeduldig auf "Unter vier Augen", die Ratgeber-Kolumne der FDJ-Zeitung "Junge Welt", gewartet hat, gehört nun exakt in die Zielgruppe, der sich die Journalistin, Ehe- und Familienberaterin Jutta Resch-Treuwerth in ihrem Buch "Warum denn nicht!" angenommen hat: Frauen und Männer jenseits der 50.

Heute wie damals geht es ihr um das Thema Nummer eins: Sexualität und Liebe. Warum denn nicht! - der Titel ist Programm, bis zum Ausrufezeichen, das ihn selbstbewusst abschließt. Damit wird gleich klargestellt, dass hier nichts Randständiges, Ungehöriges oder gar Abwegiges verhandelt wird. Die Protokolle nach Gesprächen mit 14 Frauen zwischen 50 und 70 Jahren sollen vielmehr auf die Selbstverständlichkeit des Anspruchs hinweisen, auch jenseits der Jugend noch einmal (oder überhaupt zum ersten Mal) ein erfülltes Liebesleben und eine erfüllte Partnerschaft zu erleben.

Eigentlich müsste darüber gar nicht gesprochen werden - jedermann hält es für die normalste Sache der Welt, dass die Generation 50 plus eine bedeutende Rolle in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft spielt. Auch Reisen und sinnstiftende Hobbys werden den jungen Alten zugestanden. Aber ein neues Glück, nachdem das alte, wenn es denn eines war, zerbrochen ist? Sex ganz und gar? Da schlüpfen junge Leute unversehens in das Klischee, das sie den Eltern nur allzu gern zugeordnet haben: Sie verhalten sich spießig. Natürlich steht dann, wenn Mutter oder Vater in vorgerücktem Alter noch einmal neu beginnen, auch einiges auf dem Spiel. Da droht plötzlich ein festgefügtes Elternbild zu verrutschen, nicht selten kommt die Sorge um das erwartete, vielleicht schon verplante Erbe hinzu.

Von all diesen Dingen ist in Jutta Resch-Treuwerths gescheitem, im besten Sinne unspektakulärem Buch auch die Rede. Vor allem aber von der schwierigen Ausgangslage der porträtierten Frauen, zunächst sich selbst ihre Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe und Sexualität einzugestehen und dann, noch schwieriger, den entscheidenden ersten Schritt auch zu tun.

Marina zum Beispiel, 65 Jahre alt und Redakteurin von Beruf, erzählt, wie sie per Annonce im "Magazin" nach einem geeigneten Partner Ausschau hielt und schließlich Jochen fand. Den Mann, ein Künstler, der ihr auf den ersten Blick langweilig erschien. Der eine ungeheuerlich anmutende Forderung stellte: Sie solle sich, wenn sie bei ihm auf dem Lande aufkreuzte, bitte "nicht so anmalen". Mit dem sie dann doch geschlafen hat, gleich beim ersten Besuch. Und mit dem sie ein gemeinsames Leben baut.

Nicht alle Geschichten gehen so glatt wie diese, einige der Frauen geraten nach gescheiterten Beziehungen mit ihren neuen Freunden vom Regen in die Traufe. Was die Erfahrungsberichte aber eint, ist die Entschlossenheit der Frauen, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen und nicht andere zu Sachwaltern ihres Glücks zu machen. Und manchmal begegnet man dem mit 70 Jahren so unverhofft, wie es einem mit 17 passiert ist.

Lena schildert einen solchen "Fall". Im Flugzeug nach Stockholm hat sie Göran, "den alten Schweden", kennengelernt. Der ist aus gutem Hause und steckt voller Fantasie. Einer, der nicht aufgehört hat, ein Kind zu sein und trotzdem im Leben steht. "Mit Göran erlebt Lena den besten Sex ihres Lebens", meldet die Autorin. Ein Satz, der fast beiläufig, jedenfalls aber ganz alltäglich klingt, obwohl er doch eine starke Botschaft trägt: Die Liebe kennt kein Alter, Zärtlichkeit und Leidenschaft werden nicht zu irgendeinem Zeitpunkt abgeschaltet. Der Regisseur Andreas Dresen hat vor drei Jahren mit seinem Film "Wolke 9" ein wunderbares Plädoyer in dieser Sache gehalten, Jutta Resch-Treuwerts Buch beglaubigt den Künstler mit nachhaltigen, dokumentarischen Mitteln.

Die Liebesgeschichte von Lena und Göran hat dabei selber das Zeug zum Filmstoff. Am Ende kann nicht einmal Görans Tod die beiden wirklich trennen. Lena schafft es, die deutsche Bürokratie zu besiegen. Sie reist, die Urne mit seiner Asche auf dem Beifahrersitz, nach Schweden. Dort wollte Göran beigesetzt werden. Und Lena erfüllt ihm seinen letzten Wunsch.