Ingo Metzmacher Ingo Metzmacher: Keine Angst vor neuen Tönen

Berlin/dapd. - Bei den Salzburger Festspielen 2009 galt es alsmutiges Wagnis, mit Luigi Nonos «Al gran sole» ein sperrigesOpernwerk des 20. Jahrhunderts, eine Anklage gegen die sozialenUngerechtigkeiten der Welt, in den Mittelpunkt des glamourösenFestivals zu stellen. Doch dann wurde die Oper zum meistdiskutierten Ereignis des Sommers beim verwöhnten Festspielpublikum.Dem Dirigenten Ingo Metzmacher verhalf dieser Erfolg maßgeblich zurAuszeichnung «Dirigent des Jahres» der Fachzeitschrift «Opernwelt»und er festigte seinen Ruf als engagierter Spezialist für NeueMusik. In diesem Sommer lag ihm das Publikum in Salzburg erneut zuFüßen: diesmal für die Uraufführung von Wolfgang Rihms Oper«Dionysos». Am Freitag (10. Dezember) ist der 53-Jährige zum erstenMal in einem Berliner Opernhaus mit einer Neuproduktion zu erleben.Er dirigiert Igor Strawinskys «The Rake's Progress».
Metzmacher gilt als einer der besten Dirigenten seiner Generationmit einer besonderen Vorliebe für die zeitgenössische Musik. In dieWiege wurde ihm das nicht gelegt, denn er wuchs ganz inklassisch-romantischer Tradition auf. «Ich habe von der Neuen Musikgar nichts gewusst, bis ich 17 oder 18 Jahre alt war. Das war fürmich toll, so ein neues Feld zu entdecken», sagt er. Einem breitenPublikum wurde er dann ab 1995 als Generalmusikdirektor derHamburgischen Staatsoper bekannt. Da war zum einen seinewitzig-charmant dargebotene Reihe von Neujahrskonzerten mit NeuerMusik, aber vor allem war es die kongeniale Zusammenarbeit mitRegisseur Peter Konwitschny, die das Hamburger Opernhaus für einigeJahre zum Maßstab für zeitgenössisches Musiktheater machte - stetsbegleitet von Buh- und Bravo-Gewittern. Doch 2005 war alles aus, derkulturpolitische Wind blies dem dynamischen Duo in Form vonSubventionskürzungen eiskalt ins Gesicht. «Wenn man so eine Art vonMusiktheater macht, wie Konwitschny und ich es gemacht haben,braucht man die Rückendeckung der Politik», sagt Metzmacher. Die gabes nicht mehr, und so verließen die beiden Hamburg, «obwohl wir nochviele Ideen hatten».
Zwtl.: Metzmacher selbst sieht sich als Generalist
Der in Hannover geborene Dirigent fand seine neue künstlerischeHeimat für ein paar Jahre in Amsterdam als Chef der NederlandseOpera, ab 2007/2008 war er Chef des Deutschen Symphonie-OrchestersBerlin. Dort schuf er eine Programmreihe, die sich mit dem Deutschenin der Musik beschäftigte. Doch auch dort mangelte es ihm zuletzt anpolitischer Rückendeckung. Als freier Dirigent zieht es ihn nunwieder verstärkt in die Oper: «Die Oper ist immer größer als diemeisten Stücke, die man im Konzert dirigiert», sagt er. Aber zumRepertoire-Dirigenten will er auf gar keinen Fall werden, sondernlieber bei Neuproduktionen die ganze Probenzeit über dabei sein.«Für mich ist es immer wichtig, dass ich meinen musikalischen Ansatzmit der Inszenierung zusammen entwickle», sagt er. Dabei arbeitet ergerne mit Regisseuren zusammen, die selber großes Interesse an derMusik haben. «Ich habe inzwischen so viel Erfahrung, dass ich auchsehr früh eingreife, wenn ich das Gefühl habe, die Regie geht an derMusik vorbei.»
«Keine Angst vor neuen Tönen», so heißt ein schon vor Jahrenerschienenes Buch Metzmachers, in dem er locker und leicht lesbardie Musik des 20. Jahrhunderts erläutert. In der Schublade «Dirigentder Moderne» möchte er sich dennoch nicht gerne verschwinden: «Wennman sich meine Arbeit der letzten Jahre genau anschaut, sieht man,dass die Neue Musik keineswegs überwiegt. Es ist dennoch nichtschlecht, dass ich als jemand gelte, der Moderne erfahrbar umsetzenkann», sagte er mit Stolz. Er sehe sich selbst aber als Generalist.Durch die intensive Beschäftigung mit der Moderne habe sich auchseine Sicht auf die Musik generell verändert. «Bei Beethoven,Mozart, Wagner, Schubert oder Brahms interessiert mich auch dasUnkonventionelle, das Ausbrechen aus der Form. Danach suche ich beialler Musik.»
Gemeinsam mit Konwitschny war es Metzmacher in Hamburg gelungen,Werke der Moderne wie Alban Bergs «Moses und Aron» und Brecht/Weills«Mahagonny» ins Repertoire zu befördern. «Es gibt so vielegroßartige Werke zum Beispiel von Berg, Leos Janacek oder FranzSchreker, die man verstärkt spielen sollte», sagt Metzmacher. Doches brauche einen langen Atem, viel Kraft und auch politischeRückendeckung, um auch das Repertoire des 20. Jahrhundertsregelmäßig zu zeigen, statt es als Rarität nur ab und zu malaufzuführen. Denn auch künstlerisch hält Metzmacher viel von denMusikwerken dieses Jahrhunderts: «Opern wie etwa Rihms 'Dionysos'oder Nonos 'Al gran sole' erzählen keine Geschichte im klassischenSinne mehr, sondern beschreiben Zustände.» Da werde vor allem dieMusik zum Träger der Botschaft. «Das finde ich sehr aufregend an derModerne und es interessiert mich mehr als ein in Musik gesetztesLibretto wie im 19. Jahrhundert.»