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Himmelpfort Himmelpfort in Brandenburg: Der Kampf für Kunst und Kultur auf dem Lande

Von Andreas Montag 16.12.2017, 10:40
Eine Ansicht aus wärmeren Tagen - mit einem der herrlich irritierenden Elefanten vor dem Haus, die in der Deutschen Oper Berlin ausgemustert und von Tilman Kunowski aufs Land geholt worden sind.
Eine Ansicht aus wärmeren Tagen - mit einem der herrlich irritierenden Elefanten vor dem Haus, die in der Deutschen Oper Berlin ausgemustert und von Tilman Kunowski aufs Land geholt worden sind. Brit Eismann

Himmelpfort - Himmelpfort? Da war doch was! Richtig: In dem kleinen Dorf im reizvollen Norden von Brandenburg, wo man es sich als Feriengast gern mal so richtig gut gehen lässt, residiert im Advent der leibhaftige Weihnachtsmann.

Sogar ein eigenes Postamt unterhält er dort, und an den Wochenenden werden unzählige Wunschzettel rotbäckiger Kinder auch direkt angenommen. Vom obersten Wunscherfüller höchstpersönlich.

Abgesehen von diesem saisonalen Hotspot ist Himmelpfort, unweit von dem Städtchen Fürstenberg an der Havel gelegen, ein ruhiger, hübscher Ort, den man zufällig finden und in den man sich dann heftig verlieben kann.

Brit Eismann und Tilman Kunowski ist es im Jahr 2011 so ergangen. Zwei Stadtmenschen mit Berlin-Erfahrung, die dachten, es müsste auch noch etwas anderes in ihren Leben geben. Etwas mit Arbeit und Freiheit und Gemeinschaft, ohne dass man gleich eine Kommune gründen muss. Aber auch ein klassischer Beherbergungsbetrieb schwebte ihnen nicht vor, nichts mit Fertigmodulen, Plastikböden und Pressspan aus dem Baumarktregal.

Am 1. Januar 2012 hat das Paar das alte Mühlengelände in Himmelpfort gekauft, einschließlich des „Hochhauses“. Mit diesem Begriff weist ein Anwohner dem Fremden den gesuchten Ort. In der Tat: Das ehemalige Speichergebäude kann man nicht verfehlen. Nach dem Aus für den Mühlenbetrieb, wohl um 1920, war es zum Kinderheim umgebaut worden, nach 1990 wechselten die Betreiber oft, schließlich war Feierabend. Und Sanierungsbedarf.

Stadtmenschen bringen ein „Craftwerk“ nach Himmelpfort

Was Brit, Jahrgang 1972, und Tilman, der 1958 geboren wurde und sich im Theater wie in der Gastronomie auskennt, nun daraus machen, ist sehens- und erlebenswert. Ein „Craftwerk“ soll es werden, so heißt ihr 2013 gegründeter Verein mit Sitz auf dem Mühlengelände.

Menschen verschiedenster Profession bringen ihre Kenntnisse aus Bereichen wie Kunsthandwerk, Zirkus, Theater, Jugendbildung, Sozialarbeit und ländlicher Entwicklung ein. Warum sie das tun? Weil sie glauben, dass Kunst und Kultur einen Platz haben müssen auch auf dem Land, wo es immer stiller wird, je weiter die Landeshauptstadt entfernt ist.

Dabei gehen regionale und dörfliche Strukturen schon mal über die Wupper - oder, wie hier, eben über die Havel, wenn keiner etwas unternimmt. Und nur darauf zu warten, dass sich etwas ändert, ändert nichts. Man muss selbst etwas tun. Und schon entsteht auch Freude, bei aller täglichen Plackerei und dem Ärger mit bürokratischen Behörden. Mühle und Speicher, beide zum Wohnen genutzt, stehen um ganze acht Zentimeter zu dicht beieinander. Es hat teure Gutachten und viel Geduld gekostet, bis das Amt schließlich seinen Segen gab.

Brit und Tilman bauen mit Hilfe ortsansässiger Handwerker (die manchmal den Kopf geschüttelt haben über den Eigensinn der Bauherren und dann doch immer mit Ehrgeiz dabei gewesen sind), unter Anwendung alter Techniken mit natürlicher Materialien wie Lehm - und mit sehr viel eigenem Schweiß einen Ort für Leute, die man neudeutsch gern Kreative nennt.

Bei diesem Begriff denkt man sofort an ewig gestresste, aber cool wirkende Hipster aus der Stadt, immer online und ein Tablet zur Hand, immer einen neuen Plan im Kopf. Und kein Stäubchen auf den Biosandalen.

Aber an einen Ort wie jene „Legebatterien“ (Tilman) in Berlin und anderen Metropolen, wo man Intellektuelle aller Schattierungen in klimatisierten Käfigen hält und miteinander arbeiten lässt, haben die Gründer des Himmelpforter Himmelreichs nicht gedacht. „Coworking“ heißt dieser Modeschlager. Nichts für das Landleben. Hier wird mit „Sloworking“ dagegengehalten.

Kunowski: „Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir hier nie fertig werden“

Diesen hübschen Begriff haben sich die Aktivisten vom Verein Craftwerk e. V. beim Deutschen Patentamt als Marke eintragen lassen. Die Urkunde aus München, ordentlich gedruckt und mit dem amtlichen Adler der Republik im Hintergrund, trägt das Datum von 4. Dezember 2017.

Brit und Tilman sind stolz auf ihren Coup. Und auf ihre Idee, die tatsächlich Gestalt gewinnt - Schritt für Schritt, in fester Entschlossenheit, das Richtige zu tun. Aber ohne Hast. Womit die Idee von „Sloworking“ eigentlich schon beschrieben wäre.

Es geht dabei um ein Programm, die beiden Erfinder bieten es zur Nutzung an, ohne sich selbst schon am Ziel zu sehen, das man das gute Leben nennen könnte - einen Traum, über den in Studierstuben reichlich und fruchtbar nachgedacht worden ist. Die Himmelpforter Bauherren wollen ihn praktizieren - ohne Illusionen: „Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir hier nie fertig werden“, sagt Tilman.

Himmelpfort: Appartements, Seminarräume und Gemeinschaftküche sind schon entstanden

Der Weg ist das Ziel. Und vieles ist schon entstanden: Fantastisch eingerichtete Appartements, modern ausgestattete Seminarräume und eine Gemeinschaftsküche im alten Speicher zum Beispiel. Dazu eine Bibliothek. Man kann hier allein oder in Gruppen arbeiten - oder auch mal ein paar Ferientage genießen.

Ideen sind stets willkommen, die man bei gemeinsamer Tätigkeit, beim Kochen und Essen oder nach einer Lesung auf dem Roten Sofa im Saal „ausbrüten“, diskutieren und mit anderen Freiwilligen umsetzen kann. Ohne Stress, aber verbindlich.

Wie das praktisch aussieht? In Himmelpfort entsteht gerade ein Kulturzentrum. Nicht weit von der Mühle entfernt. Überhaupt sind die Wege kurz auf dem Lande. Das ist durchaus ein Vorteil. Das Haus, an dem noch gebaut wird, lässt die vor sieben Jahren durch Brandstiftung fast völlig zerstörte mittelalterliche Klosterbrauerei wiedererstehen. Ein Stück Heimatgeschichte.

Tilman arbeitet im Vorstand der Bürgerstiftung, die das Projekt trägt. Es geht um Identität dabei, aber solche hehren Worte hört man hier weniger. Auch von der viel beschworenen Nachhaltigkeit ist keine Rede. Warum auch? Es gibt genug zu tun. Gutes Essen auch. Und abends die Stille. So lässt es sich leben.

››Das Projekt im Internet: www.muehlehimmelpfort.de

(mz)

Auf dem Bürosofa: Brit Eismann und Tilman Kunowski
Auf dem Bürosofa: Brit Eismann und Tilman Kunowski
Andreas Montag