1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. «Halt auf freier Strecke»: «Halt auf freier Strecke»: Kinodrama über Leben und Sterben

«Halt auf freier Strecke» «Halt auf freier Strecke»: Kinodrama über Leben und Sterben

Von NADJA NAUMANN 19.11.2011, 12:08
Milan Peschel als Frank Lange, Mika Nilson Seidel als Mika, Steffi Kühnert als Simone Lange und Talisa Lilly Lemke als Lilli (v.l.) in einer Szene des Kinofilms «Halt auf freier Strecke». (FOTO: DPA)
Milan Peschel als Frank Lange, Mika Nilson Seidel als Mika, Steffi Kühnert als Simone Lange und Talisa Lilly Lemke als Lilli (v.l.) in einer Szene des Kinofilms «Halt auf freier Strecke». (FOTO: DPA) dpa-Film

Halle (Saale)/MZ. - Frank wird sterben, so viel steht fest. Wie das für die Ehefrau, die beiden Kinder Lilli (Talisa Lilli Lemke), Mika (Mika Seidel) und die Verwandten werden wird, ist ungewiss.

Wie soll man mit einer Diagnose Tod durch Gehirntumor, die einem der Arzt unverblümt und schonungslos offen verkündet, umgehen? Vorerst bleibt alles beim alten, bis Frank eines Abends am Esstisch vor der Familie zusammenbricht.

"Halt auf freier Strecke" von Andreas Dresen ist keine leichte Kost, denn das Drama handelt vom unausweichlichen Sterben und das derart authentisch, dass man nicht glauben mag, dass das ein Spielfilm ist. Das liegt vor allem daran, dass es kein Filmskript gab und die Schauspieler ihre Dialoge improvisieren mussten. Was diesen Film auch noch so unheimlich real macht ist, dass es Dresen gelungen ist, die Rollen der Ärzte und Krankenpfleger nicht mit Schauspielern zu besetzen, sondern echte Fachleute dafür gewinnen konnte.

Dresen begleitet den todgeweihten Frank und zeigt damit gleichsam dokumentarisch den unausweichlichen Verlauf der Krankheit.

Am Anfang versucht das Paar, die Diagnose vor den Kindern geheim zu halten, was natürlich nicht gelingen kann, denn mit einem Mal ist alles anders für die Familie. Schockierend ist die Haltung von Franks Mutter (Christine Schorn), die es von einem bestimmten Punkt an nicht mehr erträgt, dem Sohn beim unaufhaltsamen körperlichen Verfall zuzuschauen.

Dagegen entwickelt sein anfangs ablehnender Vater (Otto Mellies) Verständnis für den Sohn. Ungemein gesund reagiert Simones Mutter (Ursula Werner) auf den Schwiegersohn, die beiden haben richtig Spaß miteinander, als ob es keine Krankheit gäbe.

Gibt man sich in der ersten Phase noch kämpferisch, wird es dann zunehmend schwieriger, damit umzugehen. Denn Frank verändert sich in seinem Wesen und wird immer vergesslicher. Da kommt es dann schon mal vor, dass er in das Zimmer seiner Tochter pinkelt, weil er vergessen hat, wo sich das Badezimmer im Haus befindet.

Simone, die ihren Mann liebt, nimmt all das Leid auf sich, denn sie will Frank nicht in einem Krankenhaus sterben lassen. Hilfe erfährt sie durch Dr. Petra Anwar, die auch im richtigen Leben als Palliativärztin arbeitet.

Auf einen künstlichen Eingriff hätte Dresen durchaus verzichten können: Er personifiziert den Gehirntumor (Thorsten Merten). An diesen Stellen büßt der Film an Authentizität ein, Dresen nimmt ihm kurzzeitig das Spröde, das Kantige, das dem Zuschauer in der Tat unter die Haut geht. Denn es kann jeden eine derartige Diagnose im Familien- und Bekanntenkreis ereilen, mit der eigentlich niemand richtig umgehen kann.

Diese wertungsfreie Sicht des Films macht ihn zu etwas Besonderem, allerdings ist das Hinschauen manchmal fast unerträglich. Das liegt vor allem an Milan Peschel, der sich in den todkranken Frank vorbehaltlos hineinversetzen kann. Steffi Kühnert als seine Frau Simone ergänzt das Spiel hervorragend. Deren ungehemmt rollenden Tränen am Anfang des Films, als der Arzt die tödliche Nachricht mit ihnen bespricht, bleiben einem unvergessen. Ebenso die Szene, wenn Frank, der mittlerweile ans Bett gefesselt ist, Sex mit Simone hat.

"Halt auf freier Strecke", eine Koproduktion unter anderem des RBB und des Kultursenders Arte, lief in diesem Jahr als einziger deutscher Beitrag auf dem Filmfestival in Cannes in der Sektion Un Certain Regard und gewann dort den Hauptpreis gemeinsam mit dem koreanischen Film "Arirang" von Kim Ki-duk.

Regisseur Andreas Dresen und seine Hauptdarstellerin Steffi Kühnert werden ihren Film am Sonntag um 17 Uhr im Kino Lux in Halle vorstellen.

Drama, D 2011, Regie: Andreas Dresen

FSK: ab 6 Jahre

Der Film startet u. a. im halleschen Kino Lux, Seebener Str. 172.