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Geschichte Geschichte: Auf Langlaufskiern über die Grenze

Von Daniel Wenisch 29.07.2011, 12:17
Statt ihren Männern in den Westen zu folgen, landet Robertos Frau Susanne 1984 im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck (Sachsen). Die Einrichtung war auch nach der Wende ein Gefängnis, wurde jedoch im April 2001 geschlossen. (ARCHIVFOTO: DPA)
Statt ihren Männern in den Westen zu folgen, landet Robertos Frau Susanne 1984 im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck (Sachsen). Die Einrichtung war auch nach der Wende ein Gefängnis, wurde jedoch im April 2001 geschlossen. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Berlin/dapd. - Oft heiße es heute, es sei nicht alles schlecht gewesen in der DDR, sagt Heike Otto und beklagt, dass die schlechten Seiten zu oft beiseitegeschoben würden. «Familien wurden in dieMangel genommen.» Deshalb hat die Journalistin reagiert und eindramatisches Schicksal einer Familie aufgeschrieben, die durch das SED-Regime auf grausame Weise entzweit wurde.

«Dieses Buch ist gegen das Vergessen», sagt sie und erhält dafürbei der Buchpräsentation von «Beim Leben meiner Enkel - Wie eineDDR-Flucht zum Familiendrama wurde» in Berlin viel Beifall. Der Saalim Bildungszentrum der Stasi-Unterlagen-Behörde ist dabei bis aufden letzten Platz gefüllten. Das Interesse an der Publikation istgroß, unter den Besuchern sind viele Opfer der sozialistischenDiktatur.

Ottos Werk handelt von der Familie Resch. Die Brüder Jürgen undRoberto fliehen 1984 auf spektakuläre Weise gemeinsam aus der DDR.Auf Langlaufskiern überqueren sie die innerdeutsche Grenze. IhreFrauen sollen ihnen später auf dem politischen Weg derFamilienzusammenführung in den Westen folgen. Doch es kommt andersals geplant: Robertos Frau Susanne landet im berüchtigtenFrauengefängnis Hoheneck.

Jürgen plagt das Heimweh und er nimmt den gleichen Weg zurück inden Osten, auf dem er nur wenige Monate zuvor geflohen war. Nureinen Tag, nachdem er wieder zuhause angekommen war, nimmt die Stasiauch ihn fest. Noch während er in Untersuchungshaft sitzt, lässtsich seine Frau Kerstin von Jürgen scheiden und heiratet einenanderen Mann. Die Verzweiflung treibt ihn sogar zu einemSelbstmordversuch, der missglückt.

Frage nach dem Maulwurf

Die Frage, die die Gemüter bis heute beschäftigt, lautet: Wer hatJürgen an die Stasi verraten? Während Otto, deren Schwester heutemit Jürgen liiert ist, die Geschichte bei der Buchvorstellungdetailreich erzählt, merkt man ihr an, dass sie zwischen den Stühlensitzt. Sie habe während ihren Recherchen mit allen Beteiligtenstunden- oder sogar tagelang gesprochen und dabei gegensätzlicheAussagen zu hören bekommen.

Jürgen ist überzeugt, dass es Kerstin war. «Jemand hat dieSchlafzimmertür eingetreten und dann standen sie im Schlafzimmerdrin», berichtet Jürgen in einem mit dramatischer Musik unterlegteneingespielten O-Ton. Er berichtet dabei von seiner Verhaftung. «Indem Moment war mir noch nicht klar, dass es nur meine Frau gewesensein konnte, die mich verraten hat.» Diese bestreitet dies, schwörtsogar «beim Leben meiner Enkel», dass sie es nicht war. Ottoberichtet von einem Spießrutenlauf, den Kerstin durchmachen musste.Jahrelang sei sie auf der Straße Anfeindungen ausgesetzt gewesen.

Meterhohe Stasi-Akten

Auch die Liebe von Susanne und Roberto wurde durch die Maßnahmender Stasi zerstört. Die Zeit, die Susanne unter schrecklichstenBedingungen im Gefängnis verbracht hatte, habe die beidenentfremdet, sagt Otto. Nachdem sie aus der Haft freigekauft wurdeund in den Westen kam, hätten die beiden nicht wieder zu einandergefunden. Eine Ursache seien dabei auch die Methoden der Stasigewesen, die Susanne durch gefälschte Briefe davon überzeugenwollte, dass Roberto sich von ihr trennen wolle. Davon, und von denvielen anderen subtilen Methoden der Staatssicherheit, die Menschenbrechen und zerstören sollten, berichtet Ottos Buch.

Gerade zum 50. Jubiläum des Mauerbaus am 13. August sei dieErinnerung an solche Schicksale besonders wichtig, betont dieAutorin. Während der Gespräche mit den Beteiligten seien vieleTränen geflossen, schmerzhafte Erinnerungen hochgekommen und es habeauch laute Worte gegeben. «Aber ich habe das Gefühl, dass die Arbeitan dem Buch jeden Einzelnen etwas weiter gebracht hat», sagt Otto,die für das Buch auch die meterhohen Stapel der Stasi-Unterlagen derFamilie Resch unter die Lupe genommen hat.

Was die Unterlagen zu der Frage sagen, wer Jürgen verraten hat,dazu will sich Otto dann aber nicht äußern: «Lesen Sie das Buch»,antwortet sie auf die Frage aus dem Publikum.