Friedrich Schiller Friedrich Schiller: Streit-Strategien für die schöne Seele
Halle/MZ. - Kraft der Begeisterung
Eine große Szene, viel zitiert. Auch Rüdiger Safranski eröffnet seine 2004 vorgelegte Schiller-Biografie mit der Obduktion des Dichters. Er wagt eine scharfe These, in dem er den Schillerschen Idealismus aus Doktor Huschkes Bericht erklärt. "Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als es der Körper erlaubt." Ein Satz, ganz im Sinne des teuren Toten. Schiller galt der Wille als das Organ der Freiheit, das Erlangen der Freiheit als Zielpunkt seiner lebenslangen Kunstanstrengung. Zu beweisen nämlich, dass es möglich ist, die Dinge zu beherrschen, statt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Frei nach Sartre: Es kommt darauf an, etwas aus dem zu machen, wozu man gemacht worden ist.
Um an Schiller Gefallen zu finden, ist die Lektüre seiner Theorie der Welt- durch Selbstverbesserung unabdingbar - das also, was als Schillers Idealismus notiert wird. Der ist nicht so leicht nachvollziehbar, die Missverständnisse lauern bereits in den Begriffen. Zum Beispiel darin, dass das Attribut "ideal" heute umgangssprachlich im Sinne von "bestens" oder "musterhaft" genutzt wird. Gemeint ist Letzteres aber höchstens in dem Sinne, dass da auf ein Muster der Weltdeutung verpflichtet wird, das andere ausschließt: alle Spielarten des Materialismus zum Beispiel.
Für Schiller ist jede Wirklichkeit, die uns begegnet - weil sie ja durch uns gespiegelt wird - eine interpretierte, also "ideelle" Wirklichkeit. Noch der "Materialismus" gilt ihm als ein Produkt des Geistes: eine Idee von der Welt, die sich selbst als absolut setzt. Was Schiller als "Wahrheit" gilt, ist nichts, das von außen einherkommt, "sondern etwas, das die Denkkraft selbsttätig und in ihrer Freiheit hervorbringt". Dieser strahlende Wille zum strahlenden Ich verfügt über einiges soziales und politisches Aufstörungs-Potenzial. Nicht zufällig wirken Schillers Weltanschauungs-Aufsätze - so die Briefe "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" - bis hinein in ihre Sprachgestalt so dynamisch wie athletisch.
Kleid und Körper
Schillers Idealismus findet seinen Leitstern in der Freiheit zur Selbstbestimmung. Als Medium dient diesem Stern das, was wir "die Schönheit" nennen. Letztere ist für Schiller "Freiheit in der Erscheinung", deren "lebendige Gestalt". Schönheit wirkt auf uns zurück, so wie wir wiederum auf andere Personen - am Ende schafft der solcherart verbesserte Mensch ("die schöne Seele") die bessere Gesellschaft. Schillers "ästhetische Erziehung" ist - zwischen den politischen Entwürfen von links und rechts - ein "Dritter Weg". Aber was ist Schönheit? Die volle Entfaltung einer Sache so gut wie die eines Wesens. Schiller: "Wann sagt man wohl, daß eine Person schön gekleidet sei? Wenn weder das Kleid durch den Körper, noch der Körper durch das Kleid an seiner Freiheit leidet." Entsprechend gilt ein Kunstwerk als schön, bei dem weder die Manier als Effektsucht, noch Inhalt oder Funktion den Vorrang gewinnen. Leicht gekalauert: Zu viel Manier ist Kunst- und zu viel Botschaft ist Gunstgewerbe.
Das alles ist heute mit Gewinn und einigem Vergnügen zu lesen. Schillers Idealismus: eine begrifflich ausgefeilte Supertheorie, die psychologisch, artistisch und politisch weit und sehr anregend ausgreift. Verstörend in einer Zeit, die zur Schönheit so wenig wie zur Freiheit ein vitales Verhältnis hat.
In lockerer Folge präsentiert die MZ Beiträge zum Thema Schiller. Demnächst: Schillers Schreibtisch in Buchenwald