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Film Film: An den Rändern der deutschen Gesellschaft

Von Wilfried Mommert 07.12.2010, 17:50
Hans-Jürgen Syberberg lebt in Nossendorf, Vorpommern. (ARCHIVFOTO: DPA)
Hans-Jürgen Syberberg lebt in Nossendorf, Vorpommern. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Berlin/dpa. - Es hat wohl niemand so poetisch-allegorisch diedeutschen Schrecken des 20. Jahrhunderts im Film künstlerischverarbeitet wie der Film- und Theaterregisseur Hans-Jürgen Syberberg.«Hitler in uns», aber auch Karl May, Ludwig II. und Richard Wagnersind Lebensthemen dieses manischen Filmemachers, der am Mittwoch (8.Dezember) 75 Jahre alt wird. Er hat noch mit Bertolt Brecht amBerliner Ensemble und mit Fritz Kortner in München gearbeitet.

Der am 8. Dezember 1935 in Nossendorf (Vorpommern) geborene undAnfang der 50er Jahre in den Westen gegangene Syberberg gilt als«deutscher Spurensucher» und großer Außenseiter des Nachkriegsfilms.Sein mehrteiliger Hitler-Film und die spektakuläre mehrstündigeInterviewdokumentation mit der «Herrin vom Grünen Hügel» vonBayreuth, Winifred Wagner, haben Filmgeschichte geschrieben.

In Deutschland aber fühlte sich der Film- und Theaterregisseur,dessen Zusammenarbeit mit Edith Clever in Monologstücken wie «DieNacht» legendär ist, immer missverstanden. Im Ausland, vor allem inFrankreich und den USA, gilt er mehr als zuhause.

Allein mit seinem ebenso monumentalen wie anspruchsvollensiebenstündigen Leinwand-Opus «Hitler. Ein Film aus Deutschland» hater Filmhistorie geschrieben. Kritiker sahen in dem vierteiligenHitler-Film von 1977 mit den beziehungsreichen Teilen «Der Gral»,«Ein deutscher Traum», «Das Ende eines Wintermärchens» und «WirKinder der Hölle» den «geschlossensten Versuch», sich mit derdeutschen Vergangenheit und Volkspsyche auseinanderzusetzen, dem«Wahnsinn in unserem Innern».

Syberberg habe damit «alles hinter sich gelassen, was man je aufder Leinwand gesehen hat», jubelte die amerikanische Publizistin undKunsttheoretikerin Susan Sontag. Andere Fürsprecher wurden derfranzösische Autor und Philosoph Michel Foucault und der Hollywood-Regisseur Francis Ford Coppola - während die bundesdeutsche Kritikauf Distanz ging und Syberberg unter anderem eine naive «Re-Mythologisierung» Hitlers vorwarf. Auf Festivals wie der Berlinalezwar im Mittelpunkt, wurde der Film in Deutschland nur seltengezeigt. Sogar Hass schlug Syberberg entgegen, Kritiker warfen ihmeinen «infamen Ästhetizismus» vor, «Lügen durch Ästhetik».

«Ich habe die Gewalt der 68er kennengelernt», erinnert sich derFilmemacher in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpaanlässlich seines 75. Geburtstages und einer Retrospektive seinerFilme in Berlin. «Sie haben getobt, randalierende Akademiker,Studenten, selbst Wurfgeschosse gab es, ich musste durch denHintereingang. Ästhetik war damals nicht gefragt. Die Argumentationder 68er war aktionistisch. Das war ja auch Fassbinders Problem, derdazu nur meinte: "Ich mache Filme und schieße nicht!" MeineTheaterarbeiten fanden allerdings in Berlin immer großen Zuspruch undBeifall.»

Schon 1970 hat Syberberg mit dem Film «San Domingo» die Gewalt inden Vorstädten thematisiert, also lange vor den Pariser Unruhen dervergangenen Jahre. «Das sind Leute, die das Establishment ablehnenund den Punkt suchen, wo die Gesellschaft verletzbar ist», meint derRegisseur dazu. Heute taucht das Thema in neokommunistischenManifesten wie «Der kommende Aufstand» wieder auf. Es ist ein bisheute verkannter Film Syberbergs.

Heute wohnt Syberberg überwiegend in seinem von ihm mühevollrekonstruierten Vaterhaus im mecklenburgischen Nossendorf bei Demmin- sein Münchner Haus dient als Archiv. Der Regisseur, der schon «DieMarquise von O.» dramatisierte, könnte sich auch vorstellen, seinenBeitrag zum Kleist-Jahr 2011 (200. Todestag von Kleist) zu leisten.Immerhin hat er in den 80er Jahren noch Oskar Werners letzteBühnenarbeit mit Kleists «Der Prinz von Homburg» 1983 dokumentiert.Bis zu einem möglichen Kleist-Projekt arbeitet Syberberg weiter anseinem Internet-Tagebuch aus Nossendorf, vom pommerschen Gutshofseiner Kindheit.