Falkenberg Falkenberg: Ja zum Nein
Halle (Saale)/MZ. - Natürlich Neil Young. Und Bob Dylan. Große Fußstapfen, die deutlich zu sehen sind, wenn Ralf Schmidt aus dem Fenster seines Studios im Dachgeschoss seiner Wohnung in der halleschen Innenstadt schaut. Nicht wirklich natürlich. Aber wer ein Album "Freiheit" nennt, stellt sich automatisch in eine Ahnenfolge aus großen Namen.
Ralf Schmidt, der sich Falkenberg nennt, hat es dennoch getan. "Freiheit war schon immer der stärkste Antrieb in meinem Leben", sagt er, "jetzt war Zeit für ein neues Nachdenken über den Begriff". Ein Nachdenken ohne Nachdenken darüber, ob das passt, ob das ankommt, "ob das jetzt der typische Sound von Falkenberg ist". Musikalisch eine Rückkehr zu den Wurzeln, ist Falkenbergs insgesamt 12. Soloalbum inhaltlich erneut ein Schritt nach vorn.
War sein voriges Album "Hautlos" noch ein grübelndes Stück Innerlichkeit, das schwere Themen in beinahe schwerelosen Melodien auflöste, beginnt der Nachfolger mit einer galoppierenden Attacke auf den "kleinen Mut", der nicht einmal ein Vierteljahrhundert nach dem Aufbruch vom Herbst '89 an die Stelle der systemstürzenden Tapferkeit getreten ist. Das Lied, angemacht mit scharfen E-Gitarren, ist kein Klagegesang. "Die Freiheit schreit es ist soweit", singt Falkenberg, bekennender Sympathisant von sozialen Protest-Bewegungen wie Occupy Wall Street, und der Mahlstrom der Melodie dreht sich für einen Moment auf der Stelle. "Der erste Schritt", heißt es dann, "ist das erste Nein" - eine Bezugnahme auf den Schriftsteller Nicolas Chamfort, der zu Zeiten der französischen Revolution als Erster erkannte, dass nicht das Ja-, sondern das Neinsagenkönnen über Abhängigkeit und Unabhängigkeit, über Freiheit und Unfreiheit entscheidet.
Die unten können es nicht, die oben zünden sich darob freudig erregt "mit unserer Freiheit die Siegeszigarren an", beschreibt das folgende Stück "Vor den Kathedralen" unmissverständlich. Die Kathedralen sind irdischer Macht gebaut; Bankentürme, Regierungsviertel. Die Hoffnung dagegen, das sind die bunten Zelte, die Rettung, das ist der weltweit wachsende Widerstand gegen immer längere Verwertungsketten und immer höhere Schuldenberge, gegen Verbriefungen und Rettungspakete.
Drinnen die, draußen wir, die Geschichte von Friede den Hütten, Krieg den Palästen, ein Kampfgesang mit Ohrwurmqualitäten. "Vor den Barrikaden brennt morgen das Papier, das niemals mehr wert war als eure Gier", singt der Mann, der mit der Stern Combo Meißen einst die Hitparaden stürmte. Das Händchen für Harmonien hat er bis heute, wie das Lied zeigt, das sich zur Hymne aufschwingt.
Der Sound ist warm hier, selbst die elektrischen Instrumente klingen akustisch, erdig wie ein knarrender Dielenfußboden, natürlich wie flackerndes Kaminfeuer. In der wehmütigen Rückschau "Die Wiesen der Kindheit" erzählt eine Geige Geschichten, die jeder kennt: Die Freiheit blutiger Nasen, die aufgeschlagenen Knie, der Geruch von grünem Gras und langen Nachmittagen in der Sonne. Es folgt das "Abenteuer Leben", wie es im Text heißt, und ehe man sich versieht, ist aus der Blumenwiese der unbegrenzten Möglichkeiten "ein Parkplatz oder ein Garten" geworden.
Das Wort ist Freiheit, aber "der Kern, um den alles kreist, ist Angst", beschreibt Falkenberg selbst. Auf der einen Seite die Angst, "die wir selber nähren, auf der anderen die Angst, die uns in kleinen Dosen von freundlichen Verkäufern injiziert wird". Das Lied dazu begrüßt den Hörer mit einem zynischen "Willkommen im Land der Sicherheit, Willkommen im Land der Angst", ein aktuelles Deutschlandporträt der galligen Art, in dem die Furcht Polka tanzt.
Der Bogen spannt sich vom Politischen zum Privaten, etwa in "Immer bei mir", einem berührenden Liebeslied an die Eltern, oder in "Meine letzte Ewigkeit", in dem das Lächeln einer Frau das Versprechen auf Freiheit in sich trägt.
In diesen Augenblicken ist Ralf Schmidt, geboren in Halle, ausgebildet im Stadtsingechor und in den 80ern als IC Falkenberg der erfolgreichste DDR-Popmusiker, ganz nah dran am Mikrophon, ein Verseflüsterer, der für die, die zuhören können, noch in jedem Reim einen doppelten Boden versteckt hat.
So klingt kein Großstadtalbum, das aufs Tempo drücken muss, um wahrgenommen zu werden. Aber "Freiheit" schrieb der langjährige Wahlberliner ja auch, nachdem er nach Halle zurückgekehrt war, in die Pop-Provinz, die weder in ist noch schick, dafür aber ein bisschen ehrlicher als die deutsche Trendhauptstadt.
Der neue Ort hat die Perspektive geändert, die poetische Kraft aber ist geblieben. Das erste Lied, das Falkenberg hier in der alten Heimat zulief, nähert sich dem Thema Freiheit aus unerwarteter Richtung: "Die Stadt, die keiner kennt" ist unverkennbar Halle, es könnte aber auch Bernburg, Magdeburg oder Dessau sein. Eine Momentaufnahme der Stadt als Panoramabild ihrer Bewohner, dieser Menschen, die ihr Lächeln nicht verschenken. Sie haben gelernt, dreimal Nein zu sagen, ehe ihnen ein Ja über die Lippen geht. Wer sie kennt, muss sie allein dafür schon mögen.