1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Erinnerungen einer DDR-Autorin: Erinnerungen der DDR-Autorin Gisela Steineckert : Damals im Honecker-Land

Erinnerungen einer DDR-Autorin Erinnerungen der DDR-Autorin Gisela Steineckert : Damals im Honecker-Land

Von Andreas Montag 13.05.2016, 05:33
Gisela Steineckert in ihrer Berliner Wohnung.
Gisela Steineckert in ihrer Berliner Wohnung. Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Halle (Saale) - So, dem hat sie es nun aber gegeben! Dem Biermann, diesem undankbaren, querulantischen, arroganten, verlogenen und Frauen verachtenden Ausbund, der ihrer Freundschaft nicht wert war - und auch nicht der ihres zweiten Ehemannes, des Dichters Heinz Kahlau. Wolf Biermann, dem Gisela Steineckert in ihrem Erinnerungsband „Eines schönen Tages“ das Kapitel „Über die Biermann-Legende“ nicht widmet, sondern wie einen Fluch nachwirft, muss wohl, wenn man der Autorin glauben will, 1976 ganz zu Recht aus dem Paradies der Arbeiter und Bauern vertrieben worden sein.

Von Honecker und Biermann

Letztere waren dann ja gehalten, sich im „Neuen Deutschland“, dem Zentralorgan der SED, aber auch in Bezirkszeitungen wie der halleschen „Freiheit“, von dem bösen Buben zu distanzieren. Was machte es schon, dass die meisten DDR-Bürger zuvor noch nie von dem Mann gehört hatten? Wie auch, da er ja mehr als zehn Jahre lang mit Auftrittsverbot belegt worden war und nicht publizieren durfte im gelobten Land, in das der Hamburger Junge auf Einladung der vor einer Woche 89-jährig in Chile verstorbenen Margot Honecker gekommen war.

Auch diese Geschichte erzählt Frau Steineckert, die jetzt 85 Jahre alt wird, in ihrem im Verlag Neues Leben erschienenen Buch. Dass der Vater der gebürtigen Hallenserin Margot Feist, wie sie vor der Ehe mit Erich Honecker hieß, und Biermanns Vater, Kommunisten beide, Freunde waren, steht darin. Nachdem auch Margots Vater den Nationalsozialisten zum Opfer gefallen war, habe Biermanns Familie die bereits Mutterlose aufgenommen, schreibt Steineckert.

Ein flottes Urteil über Menschen

Das ist eine der vielen erschütternden Geschichten, die aus der Zeit der Diktaturen des 20. Jahrhunderts überliefert ist - viele sind bis heute nicht bekannt und werden für immer verloren sein. Andere sind längst vergessen - wie die der Trude Richter, einer kommunistischen Schriftstellerin. Deren Tragödie hat den Autor dieses Beitrages erst nicht schlafen, dann immer zorniger werden lassen, als er die alte Frau in den späten siebziger Jahren davon erzählen hörte.

Trude Richter war wie ihr Lebensgefährte Hans Günther nach Moskau emigriert, beide gerieten, wie Hunderttausende, vielleicht Millionen Unschuldiger in die Mühlen des stalinistischen Terrors. Günther starb in Sibirien, Richter wurde nach langjähriger Verbannung erst 1956 rehabilitiert.

Dieser Frau ist Steineckert in Petzow, der DDR-Schriftstellerverbands-Idylle am Schwielowsee bei Ferch in Brandenburg begegnet, hat sie aber nicht sonderlich gemocht. Die Wahrheit über ihr Leben habe sie erst erfahren, als sie Richters Memoiren las - „viel zu spät“, räumt Steineckert ein, die ein flottes Urteil über Menschen hat. Und manchmal eben auch ein eher oberflächliches. Das versucht die Autorin, ihr zur Ehre muss es gesagt sein, ebenso wenig zu vertuschen wie ihre Leidenschaft, die sich gegen Biermann richtet.

Der Sache treu

Nun kann man von dem großmäuligen Dichtersänger, der sich vom Bonzenfeind zum Kommunisten westeuropäischer Prägung wandelte und schließlich sogar einmal auf dem Sofa der CSU gelandet ist, denken, was man will. Nur ist sein hasserfüllter Spott über die Funktionärs-Eliten der DDR („Sindermann, blinder Mann“) vor allem Ausdruck einer tiefen Enttäuschung: Diese Leute, die mit Filzpantoffeln in ihren stasigesicherten Kleinbürgerhütten hockten, sollten die Träger der Fahne sein, für die sein jüdischer Vater sein Leben gelassen hatte? Das hat einen schon schaudern lassen können, auch wenn Steineckert sich in Rage redet. Weshalb auch nicht? Sie hat ja auf der anderen Seite gestanden, war eine Mutterfigur für die auf SED-Kurs segelnde FDJ-Singebewegung und später als Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst auch eine Funktionärin. Natürlich haben Menschen in solchen Ämtern, der zwiespältige Schriftsteller-Präsident Hermann Kant ist ein Paradebeispiel, nicht nur Böses getan, nicht nur Karrieren ausgebremst, sondern Kollegen auch geholfen - aber sie waren ihrer Sache treu und haben es mit dem Widersprechen nicht übertrieben.

Kein Liebeslied

Wer dies klug zu wägen wusste, kam zurecht im Honecker-Land. Der durfte ein Abonnement auf die hübsche Villa in Petzow anmelden, wo es immer interessante Kollegen, noch interessanteren Klatsch (etwa über Brigitte Reimanns Männergeschichten) und an jedem Nachmittag herrlichen, selbst gebackenen Kuchen gab. Steineckert schreibt über Kolleginnen wie Irmtraut Morgner und die verflossenen Zeiten liebevoll und nicht ohne Wehmut, es ist nicht alles schlecht gewesen im Honecker-Land.

Und schließlich war sie selbst eine erfolgreiche Frau, es stand ihr zu, was sie bekam. Filme und Bücher hatte sie geschrieben, viele Songtexte, darunter für den 1987 herausgekommenen Hit „Als ich fortging“ der Ostband Karussell. Eigentlich ein Liebeslied, ist das Stück mit den Jahren zu einer elegischen Absage an die DDR stilisiert worden. Das kommt einem, liest man Steineckerts Buch, als subversiver Hintergedanke allerdings eher unwahrscheinlich vor.

Nicht so einfach

Sei’s drum, mit dem Karussell-Sänger Dirk Michaelis ist Steineckert heute noch unterwegs, auch an ihrem Geburtstag zu einer Konzert-Lesung in Königs-Wusterhausen. Da wird „Als ich fortging“ nicht fehlen auf dem Liederzettel.

Immerhin, eine Erkenntnis hält das Buch, in dem auch von Papst Franziskus und dem Schlagersänger Frank Schöbel die Rede ist, am Ende noch bereit: „Aber im Leben ist das meiste nicht so einfach, wie wir es uns machen.“ Ja.

Gisela Steineckert: „Eines schönen Tages. Erinnerungen“, Berlin, Verlag Neues Leben, 222 S., 14,99 Euro (mz)