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Elfriede Brüning Elfriede Brüning: Leben ohne Happy End

Von CHRISTIAN EGER 07.11.2010, 18:31

BERLIN/MZ. - Sie ist die Letzte. Eine Überlebende, die übrig blieb. Die ostdeutsche Schriftstellerin Elfriede Brüning, die am Montag 100 Jahre alt wird, ist das letzte lebende Mitglied des 1928 von Johannes R. Becher gegründeten Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, dem einst Autoren wie Anna Seghers und Egon Erwin Kisch angehörten.

Sie ist die wahrscheinlich einzige noch auskunftsfähige Augenzeugin der Bücherverbrennung am zehnten Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz. Einer Nacht, in der es in Strömen regnete. Und in der die nicht emigrierten Mitglieder des Bundes in die Nähe des großen, von laufenden Lastkraftwagen aus bestückten Scheiterhaufens zogen, um sinnfällig zu begreifen, was da geschah und noch kommen würde.

Eine Übriggebliebene. Auch aus eigener Kraft. Zu keinem Zeitpunkt hat die 1910 in Berlin-Prenzlauer Berg geborene Tochter eines Tischlers und einer Näherin ein einfaches Lebens geführt. Nicht als Autorin. Nicht als allein erziehende Mutter einer 1942 geborenen Tochter. 28 Bücher hat Elfriede Brüning verfasst: Titel wie "Ein Kind für mich allein" (1950), "Regine Haberkorn" (1955) oder "Kinder ohne Eltern" (1968). Eine Autorin mit einer Gesamtauflage von 1,5 Million Büchern, die vom DDR-Literaturbetrieb als "kleinbürgerliche" Fachfrau für das Zwischenmenschliche verachtet wurde - sehr zu Unrecht. Über Brünings Bücher urteilt die Berliner Publizistin Sabine Kebir richtig: "Es gibt kein Happy End, aber die Protagonistin entwickelt immer mehr Selbstständigkeit".

Dieser Tage ist Elfriede Brünings Autobiografie "Außerdem war es mein Leben" in einer Neuausgabe erschienen. Alles ist drin: Lebens- und Zeitgeschichte, das halbe Jahr Gestapohaft 1935 nach dem Verrat des illegal fortarbeitenden Autorenbundes, die Beziehungen zu Männern aus dem geistig-künstlerischen Milieu, die in der Regel Katastrophen waren. Unsentimental, lakonisch und mit rücksichtsloser Genauigkeit schreibt die Brüning, auch im Erotischen. Das ist etwas anderes als die gern kunsthandwerkelnde Auslassungs- und Verhüllungsprosa in Sachen DDR-Gesellschaft. Ein großes und verstörendes Werk. Ein Buch, das bleibt.

Die letzte proletarisch-revolutionäre Schriftstellerin trägt einen grau-weiß-gestreiften Blazer, beigefarbene Hose, weiße Sportschuhe. Auf einen Gehwagen gestützt, öffnet die mittelgroße weißhaarige Frau die Tür zu ihrer kleinen Wohnung im sechsten Stock eines Plattenbaus in Berlin-Mitte. Das Wohnzimmer: dunkle Bücherwand, Schreibsekretär, Sitzgruppe mit Nostalgiesofa. Fotos der Eltern, die eine Leihbücherei betrieben, des Bruders, der zum Filmstab von Leni Riefenstahl gehörte. Über dem Sofa ein Gemälde, das die Tochter - und heutige Spanisch-Dolmetscherin - Christiane Barckhausen als 15-Jährige zeigt. 1948 trennte sich Brüning von dem 1937 geheirateten Vater, dem Lektor und Drehbuchautor Joachim Barckhausen.

19 Jahre alt war die Zehn-Klassen-Absolventin, als erste Artikel von ihr im Feuilleton des "Berliner Tageblattes" und der "Vossischen Zeitung" erschienen. Was hielten die Bund-Kollegen davon? "Gar nichts!", sagt Elfriede Brüning, "Die verachteten das als Sonntagsliteratur. Die forderten, ich solle in die Welt der Arbeitslosen gehen." Die Welt ihrer Herkunft. 1930 trat sie in die Kommunistische Partei ein. Warum? "Es herrschte bittere Armut bei uns zu Hause. Mein Vater musste sein Tischler-Gewerbe aufgeben und stempeln gehen." Nach dem Besuch eines Vortrages des Physikers Albert Einstein an der Berliner Universität habe ihr ein Bekannter das Aufnahmeformular für die Partei zugesteckt, das sie alsbald ausfüllte. "Ich dachte, da muss etwas geändert werden."

Was eine junge proletarische Autorin um 1930 an bürgerlicher Literatur las: "Knut Hamsun mit Begeisterung und Manfred Hausmann. Tucholsky? Sicher auch." Emigrieren konnte sie nicht. "Das kam für uns junge Autoren gar nicht in Frage." Man hatte weder Kontakte noch Geld - im Gegensatz zu den Großen des Vereins. Ein Handicap nach 1945. Die DDR-Kulturspitze um Johannes R. Becher wollte mit den unbekannten Kollegen von gestern nichts mehr zu tun haben. "Wir galten plötzlich als Proletkult", sagt Elfriede Brüning.

Nach der Gestapohaft zog sich Brüning gesellschaftlich zurück. Sie spricht von "Innerer Emigration", einem Leben "wie unter der Glasglocke". Dass sie überlebte, machte sie nach 1945 verdächtig. "So lange Becher lebte, tauchten wir nicht in den Anthologien des Bundes auf. Er warb um die bürgerlichen Autoren, um Hauptmann, Fallada und Kellermann, nicht um uns." Becher als Mensch? "Ich habe ihn nicht gemocht", sagt Elfriede Brüning.

Immer habe sie ihre Bücher verteidigen müssen. "Kinder ohne Eltern", das sich mit der Jugendfürsorge beschäftigte: 17 000 Vorbestellungen lagen vor, nur 5 000 Bücher wurden gedruckt. Das Thema gefiel nicht. Ging es den DDR-Frauen besser? "Sie hatten einen Beruf, waren selbstständig, wirklich gleichberechtigt." Die Berufstätigkeit war doch dem Mangel an Arbeitskräften geschuldet? Auch, räumt Brüning ein. "Die Doppelbelastung war nicht einfach." Eine Männer-Gesellschaft sei die DDR geblieben. Warum? "Na ja, verbohrt war man", sagt Brüning, die Mitglied der Partei Die Linke ist. Zu deren Zustand will sie nichts sagen: "Ich bin keine Diskutiererin".

Was waren die besten Jahre? "Tja, darüber habe ich oft nachgedacht. Ich bin nicht zu einem richtigen Ergebnis gekommen. Die 50er Jahre? Nein. Die kalten Winter, der Mangel an Essen." Es war also stets gleich bleibend schwierig? Ja, sagt Elfriede Brüning, so könne man es sagen. Auch hier: Kein Happy End.

"Es ist kein Leben mehr", sagt die Autorin über ihr Ur-Alter. "Ich komme kaum noch aus der Bude raus." 2009 musste sie ihren Führerschein abgeben. Also liest sie: die Briefe von Anna Seghers "Mir fliegen die Tage wie Staubsand". Mit Uwe Tellkamps Dresden-Roman "Der Turm" könne sie nichts anfangen. Was sie heute innerlich umtreibt? "Ich muss jetzt viel an meine Mutter denken. Vielleicht schreibe ich doch noch etwas über meine Kindheit", sagt sie. Ob sie noch Wünsche habe? "Ja, ich habe einen Plan. Ich will im Mai oder Juni für acht Tage eine Fahrt nach Norwegen machen. Das ist mein Wunsch von früher Jugend an, seit ich die Bücher von Hamsun las."

Elfriede Brüning: Und außerdem war es mein Leben. Verlag Neues Leben, Berlin, 400 Seiten, mit zahlr. Abb., 22,95 Euro