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Der «Rohkunstbau» Der «Rohkunstbau»: Ein tiefer Blick in die Abgründe der Kinderseele

Von Andreas Hillger 18.08.2005, 16:45

Groß Leuthen/MZ. - In seinem zwölften Jahr nimmt das von einem Berliner Kurator ins Leben gerufene Projekt den Ort so ernst wie nie: "Kinderszenen" ist - in Anlehnung an einen Klavierzyklus von Robert Schumann - die Ausstellung überschrieben, die so prominente Namen wie Louise Bourgeois, Jake und Dinos Chapman und Via Lewandowsky vereint. Und was zunächst nach nostalgischer Erinnerung klingt, entpuppt sich als tiefer Blick in die Abgründe der menschlichen Seele.

Bereits in der Eingangshalle wird der Besucher von Laura Fords Kreaturen empfangen, die aus der wie somnambule Kinder wirken. Erst beim Näherkommen sieht man unförmige Klauen statt nackter Füße - ein Zug von Monstren, die den Blick vor der eigenen Gestalt verhüllen. Mit ähnlichen Irritationen wartet Yann Delacour auf, der ein harmloses Spielzeug in entsetzliche Dimensionen hebt: Tausende von Playmobil-Soldaten lässt er in einem Saal des Schlosses zu einer Schlacht aufmarschieren, die schiere Masse zwingt den Gast zum Zweifel an seiner eigenen Größe. Auch Sergey Bratkovs inszenierte Fotografien, die Kinder als Mörder und Opfer zeigen, zählen zu den Schock-Momenten.

Louise Bourgeois, die Grande Dame der Bildhauerkunst, geht wesentlich subtiler zu Werke: Auf alten Familienfotos markiert sie ihre eigenen Hände, die nach der Mutter und dem Vater greifen: "Do not leave me alone, please" schreibt sie in gestickten Lettern unter die intimen Szenen. Die existenzielle Angst des Verlassenwerdens wird Anlass für dekorative Handarbeit.

Neben Via Lewandowskys Schnitt-Mengen und Michael Sailstorfers Diashows, neben Michael Kutschbachs amorphem Blasenraum und den sinistren Bilderbuch-Szenen von Marcel Dzama überraschen vor allem die Chapman-Brüder mit ihrer Arbeit. Die Meister des kalkulierten Entsetzens geben sich erstaunlich dezent, wenn sie einen ganzen Raum mit übermalten Kopien von Comicstrips ausstatten.

Weil der Parcours jedoch auf die Augenhöhe kindlicher Besucher berechnet ist, wird der erwachsene Betrachter zu einer unbequem gebückten Haltung gezwungen. Dass die Wahl der Schumannschen Vorlage auch getroffen wurde, weil man ebenso viele Räume zu bespielen hatte, wie der Zyklus an Szenen vereint, wirkt zwar ein wenig elaboriert. Doch dass man die Geister im einstigen Waisenhaus und Jugendwerkhof beschwört, gibt der Schau beklemmende Relevanz.

bis zum 28. August, Mi-Fr 14-20, Sa und So 10-20 Uhr.