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Der Funktionär mit Händchen für Hits Der Funktionär mit Händchen für Hits: Hartmut König hat wieder zur Gitarre gegriffen

Von Steffen Könau 26.05.2019, 10:00
Hartmut König schrieb deutsche Rockgeschichte, wurde später FDJ-Kulturfunktionär und rückte als ZK-Mitglieder der SED und Vize-Minister für Kultur in die Spitze der Nomenklatura des Arbeiter- und Bauernstaates auf.
Hartmut König schrieb deutsche Rockgeschichte, wurde später FDJ-Kulturfunktionär und rückte als ZK-Mitglieder der SED und Vize-Minister für Kultur in die Spitze der Nomenklatura des Arbeiter- und Bauernstaates auf. Volkmar Otto

Halle (Saale)/Berlin - Die Stimme ist ein wenig älter geworden, tiefer und rauer. Der Tonfall aber stimmt. Er ist derselbe wie damals, als Hartmut König das „Lied an die Kapitalisten“ sang. Das war eine Art Trauerrede an den untergehenden Westen, getextet auf schmissige Flamenco-Gitarren. „Kleines Kaff am Arsch der Welt“, singt derselbe Mann heute. Ein düsteres Porträt der entleerten Gegenden im deutschen Osten, wo die Häuser zerfallen und der gesellschaftliche Zusammenhang gleich mit.

Die Gitarren sind immer noch akustisch. Der Ton aber ist Moll. Und der Takt der einer Biermann-Moritat. Hartmut König gründete Anfang der 60er mit Thomas Natschinski die Gruppe Team 4 und war damit der Erfinder der ersten Beatband der DDR. Heute ist er 71 Jahre alt. Er hat 47 Jahre lang keine Musik mehr gemacht, sondern Politik.

Und wie. Hartmut König war Studentenfunktionär und FDJ-Zentralratssekretär, Vizepräsident des DDR-Friedensrates, Mitglied des ZK der SED und Vize-Minister für Kultur. Dass der gebürtige Berliner ein Händchen für Hits hat, war vergessen. Obwohl aus seiner Feder „Mokka-Milch-Eisbar“, „Die Straße“ und der Agitprop-Pop von „Sag mir, wo du stehst“ stammen.

Hartmut König - Funktionär mit Sprachgefühl 

Aber dieses Sprachgefühl, dieses feine Händchen für Formulierungen und Bilder, das kann man nicht lernen. Also verlernt man es auch nicht. König, ehemals Teil des auf den Tod Erich Honeckers wartenden Schattenkabinettes von Egon Krenz, verfügt noch immer über die Fähigkeit, elegant zu reimen.

Die „neue Zeit“, in die die zweite Garde der DDR-Führung zu ziehen geglaubt hatte, ist nicht gekommen. Glasnost und Perestroika, die die DDR retten sollten, waren am Ende das Tor zu deren schnellem Untergang. 1990 trat König aus der SED-PDS aus. Er arbeitete bis 2010 als Prokurist und Anzeigenleiter eines Zeitungsverlages in Brandenburg. „Der Wind ist kalt, die Lage heiß, das wirft kein´ Linken aus dem Gleis“, reimt er heute. Der „alte Traum des Volkes“, wie der gebürtige Berliner die DDR im gesungenen Rückblick „Macht euch die Trauer nicht bequem“ singt, ist nicht ausgeträumt, behauptet König.

Sänger aus und für die Überzeugung: Hartmut König

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, sie braucht eben nur doch noch etwas mehr Zeit. Und die Hoffnung auf eine Rückkehr des Sozialismus, sie stirbt zuletzt. Bis dahin heißt es „Immer wieder aufstehen“ (Liedtitel), ein Lied, das klingt wie eine Mischung aus Ton Steine Scherben und ZDF-Fernsehgarten. Fidel Castro, Mao und Tito ziehen hier als Parade der Helden einer Parallelwelt vorüber. Dann kommt auch noch Che Guevara dazu und Lumumba muss - damit es sich reimt - eine „Freiheits-Rumba“ trommeln.

Wie in seiner im vergangenen Jahr erschienenen Autobiografie „Warten wir die Zukunft ab“ (Verlag neues leben, 558 Seiten, 24,99 Euro) sieht König keinen Grund, von seinem Lebenstraum zu lassen, nur weil der geplatzt ist. Eine gerechte Gesellschaft sei möglich, da ist er sicher. Dass das misslungene Experiment DDR Millionen Lebenswege gekrümmt hat, wo es Menschen selbst anders gewollt hätten, ficht den Überzeugungssänger nicht an.

Neue Strophe für Evergreen „Sag mir wo du stehst“

König, nur fünf Jahre jünger als Klaus Renft, ein anderer Pionier der Rockmusik im Arbeiter- und Bauernstaat, war nie ein Rebell wie der querköpfige Sachse. Er ist der personifizierte DDR-Pop: Als Kind schon hatte er sich mit Thomas Natschinski angefreundet, dem Sohn des DDR-berühmten Komponisten Gerd Natschinski („Mein Freund Bunbury“). Als die Beatles und Elvis Presley im Westen Furore machten, etablierten die beiden 17-Jährigen mit Team 4 dann eben eine Art Beatband für den Sozialismus.

Selbst der Umstand, dass ihre Band ihren unsozialistischen Namen auf Druck der Behörden ablegen musste, sorgte nicht für Lackschäden am Überzeugungsmodell. Hartmut König schrieb wie am Fließband Lieder, die darauf zielten, Menschen vom Sozialismus zu überzeugen. Die Frage aus seinem Evergreen „Sag mir, wo du stehst“ beantwortet er bis heute von einem festen Klassenstandpunkt aus: Der Klassiker, hier neben sechs anderen alten Songs noch einmal kredenzt, hat vom letzten Überlebenden der FDJ-Singebewegung ein Update erhalten. Hartmut König singt in einer neuen Strophe nun gegen den Einzug von Nazis in Parlamente an.  (mz)

Hartmut König, Sag mir, wo du stehst, Eulenspiegel-Verlag.
Hartmut König, Sag mir, wo du stehst, Eulenspiegel-Verlag.
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