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Charles Crodel Charles Crodel: Zu Hause in Arkadien

Von günter kowa 29.11.2012, 18:51

Halle (Saale)/MZ. - Es ist das Arkadische, Paradiesische, Fabulierte, auch Heiter-Kindliche und Schwerelose, das die Menschen immer schon für die Malerei von Charles (oder Carl) Crodel (1894-1973) eingenommen hat, gerade auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. "Verträumt und in eine liebenswerte Märchenwelt versponnen, innig fein in den Farben" schwärmt eine Rezensentin namens Marie-Louise Metzner über Crodels "Schöpfungen" in der ersten Nachkriegs-Kunstausstellung in der halleschen Moritzburg und fühlt sich an Mozarts Musik erinnert. Eröffnet "auf den Tag genau ein Jahr nach Kriegsende", wirkten die "heiter und festlich stimmenden, mit nahezu arkadisch anmutenden Farbklängen gemalten Werke Carl Crodels" auf den jungen Journalisten und angehenden Studenten der Kunstgeschichte, Wolfgang Hütt, "wie der Entwurf einer Gegenwelt zur Realität mit ihrer materiellen Not".

Solche Zeiten sind mittlerweile mythisch fern, und dennoch kann Crodels Kunst auf seh-begieriges Publikum zählen, erst recht in Halle, wo der Maler als Lehrer an der "Burg" fünf Jahre lang bis zur "Machtergreifung" der Nazis - danach auf privater Basis und dann nochmals für kurze Zeit nach Kriegsende - ein prägender Einfluss auf seine Burg-Studenten und die hallesche Schule generell war. Wo sein Malstil unter jeweils veränderten Vorzeichen der Diktatur gerade nicht als "liebenswert" zu preisen, sondern als gesellschaftlich zersetzend anzugreifen war.

Crodels Weggang nach München nach den Diffamierungen der "Formalismus"-Debatte im Jahr 1952 hinterließ nicht die einzige Lücke in der halleschen Nachkriegs-Malerschule, die aufzuarbeiten eines der Anliegen des Kunstvereins Talstraße in Abständen immer wieder ist. In seiner Galerie unweit von Crodels einstiger Wohn- und Wirkungsstätte zeigt er nun Bilder überwiegend aus dessen Nachlass.

Dieser ist auf zwei Familienzweige verteilt, und es ist gut möglich, dass das Konvolut, das in Hamburg aufbewahrt wird, mit dieser Ausstellung erstmals seit sehr langer Zeit wieder das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Die Bilder, die ganz der "materiellen Not" entsprechend auf Sperrholz, Hartfaser oder Pappe gemalt wurden, sind nun eigens für die Ausstellung gerahmt worden. Man darf also auf kleine Entdeckungen aus dem Oeuvre Crodels gefasst sein. Im besten Falle entsprechen sie der ätherischen Qualität des "Kinds mit Strohhut und Blumen" von 1933, das nicht umsonst zum Motiv des Plakats gewählt wurde. Was an malerischen Finessen von Crodel zu lernen war, das Vibrierende seines Pinselstrichs, die pastellene Palette, bei jeglicher Abwesenheit von Pose und Perfektion, ist in diesem luftig hingehauchten Kabinettstück, oder Pendants wie der "Rosenpflückerin" zu betrachten.

Auch wenn manche Betrachter Zeithistorisch-Hintergründiges (gar Abgründiges) in Crodels Idyllen erkennen wollen (schließlich sind sie in düsteren Zeiten mit erkennbar expressionistischen An- und Nachklängen gemalt), so sind sie in ihrer Haltung doch arkadisch und verträumt. Seine Schüler wussten schon, warum sie vom "Überzeitlichen" in Crodels Kunst sprachen. Gelegentlich wächst sich diese Haltung ins Sakrale aus, wie im "Halleschen Konzert" von 1944, bei dem hinter einer Musiker-Gruppe eine Art Anna-Selbdritt-Gruppe rot gewandet die Bildmitte einnimmt, umgeben von Quasi-Heiligen in Anbetung. Bei "Kinder und Weihnachtsbaum" - eine wiederum musikalische Szene mit Flötenspiel und Gesang - kann es auch mal einen Zug ins Sentimentale geben.

Crodels frei erzählte mythologische Szenen haben jedoch etwas von Hans von Marees' "Sehnsuchtslandschaften" und ihrem lose mit griechischen Sagen verknüpftem Personal - in der malerischen Technik freilich ohne dessen Schwere. Aber wenn man die historischen Fotos anschaut, die Crodel und seine Schüler bei der Arbeit an Wandmalereien zeigen, oder die Aufnahmen des (überstrichenen) Bilderfrieses im Moritzburg-Gewölbe zur Hand nimmt, dann denkt man unwillkürlich an Marees' neapolitanischen Freskenzyklus von entspannten Figuren in mediterraner Landschaft.

Und es ist ein überaus passender Zufall, dass im "Kunstforum" der Stadtsparkasse von den Schülern des eigenwilligen Burg-Lehrers der wiederum eigenwilligste zur Zeit in einer eigenen Schau zu betrachten ist. Auch dort stammen die Bilder aus dem Nachlass des Künstlers. Albert Eberts Studium an der Burg und bei Crodel hat nicht lange genug gedauert, um aus dem Autodidakten einen akademischen Maler zu machen. Aber man kann verstehen, was ihn zu Crodel hinzog, der in seiner Malerei das Un-Akademische pflegte, seine Blumen so duftig hintupfte und seinen Gestalten solch familiäre Züge gab.

Kunstverein Talstraße Halle, Talstraße 23: bis 17. Februar, Di-Fr 14-19, Sa, So 14-17 Uhr. Katalog: 54 Seiten, 14 Euro