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Burgtheater Roßlau Burgtheater Roßlau: Vom Wasser des Lebens

Von Andreas Hillger 22.07.2002, 16:22

Roßlau/MZ. - Jean Giraudouxs "Undine", die sich dieLenz-Bühne für ihren sechsten Theater-Sommerin der Burg Roßlau gewählt hat, ist einesjener hellsichtigen Kunstmärchen, die unterihrer fragilen, transparenten Oberfläche erstaunlichenTiefgang verbergen. Der Gang über dieses dünneEis ist gefährlich und lohnend zugleich: Einerseitsgestattet der Blick durch die Membran dieEntdeckung von enormen Abgründen und phantastischenWesen, andererseits aber droht beim kleinstenFehltritt der Einbruch. In Augustin KramannsInszenierung nun gelingt das kleine Wundereines sowohl beherzten als auch behutsamenZugriffs. Und damit wird die romantische Parabelauf die Aggregatzustände der Liebe in einerangemessenen Weise erzählt.

Das freie Ensemble um die Gründer HeidrunKaletsch und Andreas Jungwirth, die sich diesmalals Organisatoren im Hintergrund hielten,gliedert die Märchenwelt in drei Sphären.Da ist das kühl-blaue Reich des Wasserkönigs,die gold-gelbe Ebene des Menschengeschlechtsund schließlich die blutig-rote Zone des Gerichts,das sich im Finale ein Urteil über das amphibischeWesen Undine anmaßen will. Dass der Titelheldindabei selbst keine der unvermischten Grundfarbenzugewiesen wird, verstärkt ihren Ausnahme-Status:Sie ist dem geliebten Ritter Hans so fremdwie den Adoptiv-Eltern, versteht die RivalinBertha so wenig wie den Dichter Bertram.

Die Masken werden auch darum betont, weilKramanns Ausstatterin Antje Johnigk mit Bühneund Kostümen auf die Kunst der Improvisationsetzt: Ein Schemel und einige Schüsseln, einegroße Kiste und eine Leiter genügen zur Behauptungvon Fischerhütte und Thronsaal. Lediglichdie Herrscher zu Wasser und zu Lande werdenmit grotesk gesteigerten Attributen ihrerMacht - einer hautengen Badekappe und einerturmhohen Krone - ausgestattet, den übrigenInterpreten ist ihre zweite Haut eher zweckdienlichangemessen.

So kokettiert man mit dem Charme des Volkstheaters,ohne freilich in dessen Niederungen zu gründeln.Die Lesart gestattet kräftiges Chargierenneben psychologisch genauer Zeichnung undkonzentriert damit den Blick des Publikumsauf die zentralen Figuren. Ritter Hans (WernerWilkening) ist beileibe kein strahlender Heldin schimmernder Rüstung, sein Schwärmen fürdie auf gesellschaftliche Konvention bedachteBertha (Anja Karmanski) scheint eher der beiderseitigenSelbstbestätigung als wirklicher Zuwendunggeschuldet.

Wie anders - und wunderbar - ereignet sichdagegen jenes Naturwesen, das sich keinerRegel beugen will und am Ende nirgendwo heimischwird. Nanda Ben Chaabane lebt und liebt dieseUndine mit selbstverständlichem Staunen, dassich bald auf den Zuschauer überträgt. Mitschöner Natürlichkeit treibt sie den Wahrheitendes Textes ihr Gewicht aus und lässt sie schwerelosschweben, ihre bedingungslose Hingabe an dasGlück des Augenblicks hingegen macht das seitFouque und Lortzing unvermeidlich traurigeFinale noch unausweichlicher und wuchtiger.

Am Ende gelingt Kramann, der als Wasserkönigauch auf der Szene die Fäden in der Hand behält,ein bezwingend schönes Bild für das doppelteSterben des unvereinbaren Paares. WährendUndine mit einem selig-entseelten Lächelnin das Vergessen geht, wird Hans von hölzernenStützen in der Senkrechten gehalten. Erstals sich Bertha zu seinen Füßen in ihrenSchleier gehüllt hat, sprudelt das Wasserdes Lebens wie ein Springquell aus seinenPoren hervor. Dann sinkt das Blau der Nachtin den Burghof - und Applaus brandet auf.