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Bernd-Lutz Lange Witze hinter dem Eisernen Vorhang

Anfrage an Radio Jerewan: Der Leipziger Kabarettist erinnert sich an Witze aus der DDR und den sozialistischen Bruderstaaten.

Von Kai Agthe 06.10.2021, 20:00
Er sammelt Witze: Der Leipziger Kabarettist Bernd-Lutz Lange
Er sammelt Witze: Der Leipziger Kabarettist Bernd-Lutz Lange Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Halle/MZ - „Was passiert, wenn man in der Wüste den Sozialismus aufbaut? Zunächst gar nichts, aber mit der Zeit wird der Sand knapp.“ Ein Witz, der die Miss- und Mangelwirtschaft in der DDR auf den Punkt brachte. Bernd-Lutz Lange hat diesen und andere Witze, so erinnert er sich, bereits im Jahr 1967 Westdeutschen erzählt, die auf der Leipziger Messe zu Gast und begierig auf Ost-Witze waren. Nachzulesen ist das in seinem neuen Buch „Freie Spitzen“, in denen er nicht nur die Witzekultur der DDR, sondern auch der sozialistischen Staaten vorstellt, die, wie es im Westen hieß, der Ostblock waren.

Das Buch des früheren Kabarettisten - der erst bei den Leipziger „Academixern“ und ab 1988 mit Gunter Böhnke auf der Bühne stand - ist mehr als eine Witzesammlung. „Es ist mir wichtig, nicht nur Witze mitzuteilen, sondern auch die historische Situation zu erläutern, in denen sie jeweils entstanden sind, und das Ganze auch mit meinen eigenen Erinnerungen zu verweben“, sagt Lange, der nicht nur historische Ansichtskarten von Leipzig und seiner Heimatstadt Zwickau sammelt, sondern seit früher Jugend eben auch Witze. „In den 60er Jahren habe ich als Student das ‚Café Corso‘ in Leipzig nie verlassen, ohne einen neuen Witz mitzunehmen. Die gehörten am Marmortisch einfach dazu wie die Sahne zum Kaffee.“

Allein mit dem Parteichef

DDR-Witze, die in den 60er Jahren auch im Leipziger „Corso“ von Mund zu Ohr gingen, drehten sich nicht zuletzt um Walter Ulbricht (1893-1973). Die Kürzestgeschichten, die sich um den aus Leipzig gebürtigen Staatsratsvorsitzenden mit der Fistelstimme ranken, gehören mit zum Besten, was die DDR-Witzekultur hervorbrachte.

Seit 30 Jahren gibt es keine neuen Witze, schon gar keine politischen.

Bernd-Lutz Lange, Kabarettist

Dafür nur ein Beispiel aus Langes stattlicher Kollektion: „Walter Ulbricht war im Krankenhaus hervorragend gepflegt worden. Die nette Krankenschwester durfte sich deshalb von ihm etwas wünschen: ‚Ich wünsche mir, dass Sie die Mauer für einen Tag öffnen.‘ Darauf der Parteichef: ‚Na, du kleiner Schäker, du willst bloß mit mir allein sein.‘“

Zu der Idee für das von dem Leipziger Künstler Egbert Herfurth dezent illustrierte Buch fand Lange, weil er, wie er sagt, mit 77 Jahren in einem Alter sei, in dem es ihm ums Bewahren geht. Die von ihm mitgeteilten Witze sind, wie etwa die sowjetischen Beispiele über die Gründung der Kolchosen zeigen, bis zu 100 Jahre alt und diejenigen, die sie überlieferten, nicht mehr da.

Mehr noch: „Seit 30 Jahren gibt es keine neuen Witze, schon gar keine politischen“, so Lange. Umso wichtiger sei es, den großen Witzeschatz zu hüten, den die osteuropäischen Diktaturen hervorgebracht haben. „Mit dem Buch möchte ich dem Geist, Widerstand und Humor des Volksmundes dieser Länder ein kleines Denkmal setzen“, sagt Lange.

Von der Sowjetunion lernen, hieß siegen lernen. Das galt weniger für die Wirtschaft als für den Witz. „Was ist ein sowjetisches Streichquartett? Ein sowjetisches Symphonieorchester nach der Rückkehr von einer Westtournee.“ Ja, auch in der früheren Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) blühte, wie Lange zeigen kann, der subversive Witz, mit dem man die Mächtigen verlachte. Doch wie konnte der Autor diese aufschnappen? „Politische Witze gingen in Osteuropa ja auf Wanderschaft. Aber auch junge Leute, die in der Sowjetunion studierten, brachten Witze mit in die DDR“, erklärt Lange.

Keine Witze im DDR-Kabarett

Im Riesenreich waren vor 1989 etwa jene Schnurren beliebt, die sich um den Armenischen Rundfunk drehten, der bei uns als Radio Jerewan ein Witzelieferant ist. „Anfrage an Radio Jerewan: Kann man den Kommunismus auch in der Schweiz einführen? Antwort: Nein. Zu klein für so viel Unglück.“ Oder: „Anfrage an Radio Jerewan: Hat sich die Rechtsprechung nach Stalins Tod verändert? Antwort: Im Prinzip ja; jetzt ist es verboten, die Angeklagten vor dem Urteil zu erschießen.“

Obwohl es nahegelegen hätte, haben es Lange und seine Kabarettkollegen vor dem Wendejahr 1989 vermieden, Witze, die im Land kursierten, in ihre Programme einfließen zu lassen. „Unsere Programme wurden in der DDR vor der Premiere einer Abnahme unterzogen. Das war nur ein anderes Wort für Zensur. Wir haben keine Witze verwendet, denn der Volkswitz ist unzensiert und hätte keine Chance gehabt, durchzukommen“, erklärt Lange.

Er selbst mag vor allem den jüdischen Witz, der für ihn dessen intelligenteste Form ist. „Der jüdische Witz serviert die Pointe nicht sofort, sondern verlangt Nachdenken“, so Lange. Ein schönes Beispiel für einen Witz, den in der UdSSR lebende Juden erzählten, zitiert der Autor am Ende des Gesprächs: „Was ist Glück? Glück ist, dass wir in der Sowjetunion leben. Und was ist Pech? Pech ist, dass wir so viel Glück haben.“

Bernd-Lutz Lange: „Freie Spitzen - Politische Witze und Erinnerungen aus den Jahren des Ostblocks“. Mit Illustrationen von Egbert Herfurth, Aufbau-Verlag, 316 Seiten, 20 Euro